Alle Jahre wieder entbrennt die Debatte um die Bürgerversicherung. Dabei bringen beide Befürworter und Gegner regelmäßig neue/alte Argumente in Stellung. Während die Privaten Krankenversicherer kürzlich die Stärkung medizinischen Versorgung auf dem Land und in strukturschwachen Städten durch die PKV herausstellten, lag der Ball nun wiederum bei den Fürsprechern der Bürgerversicherung. Doch diese ließen nicht lange auf sich warten und brachten nun eine Studie der Bertelsmann-Stiftung in Position.

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Die Studie des Berliner IGES Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung soll untermauern, wie ungerecht doch das duale System in der Krankenversicherung ist. Denn das gibt es nur in Deutschland und nur hier könnten sich Privatversicherte dem solidarischen Risikoausgleich entziehen. Dies ginge ganz klar zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). "Wenn alle Bundesbürger gesetzlich versichert wären, würde die Gesetzliche Krankenversicherung jährlich ein finanzielles Plus in Höhe von rund neun Milliarden Euro erzielen.", haben die Studiemacher errechnet. Dadurch könne der Beitragssatz um 0,6 bis 0,2 Prozentpunkte sinken. Im besten Falle könnten GKV-Versicherte und Arbeitgeber zusammen pro Jahr durchschnittlich 145 Euro an Beiträgen einsparen. "Würden die durch den Wegfall der PKV anfallenden Honorarverluste der Ärzte ausgeglichen, wären es 48 Euro jährlich.", heißt es weiter.

"Der durchschnittliche GKV-Versicherte zahlt jedes Jahr mehr als nötig, damit sich Gutverdiener, Beamte und Selbstständige dem Solidarausgleich entziehen können. Das ist der Preis dafür, dass sich Deutschland als einziges Land in Europa ein duales Krankenversicherungssystem leistet", sagt Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann-Stiftung.

Zudem würden Privatversicherte deutlich besser verdienen und seien im Durchschnitt auch gesünder als gesetzlich Versicherte. So verdienten Krankenvollversicherte im Schnitt 56 Prozent mehr als Kassenpatienten. Auch sei der Anteil mit mindestens einem Krankenhausaufenthalt pro Jahr mit 17 Prozent deutlich geringer als bei GKV-Versicherten (23 Prozent). Überdies fänden sich Menschen mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen oder Pflegebedürftigkeit unter gesetzlich Versicherten wesentlich häufiger als bei Privatversicherten. Die nicht so attraktiven Versicherten seien also mehrheitlich in der Gesetzlichen Krankenversicherung.

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Eine Bürgerversicherung würde laut Bertelsmann-Stiftung auch den sozialen Zusammenhalt stärken. "Nur wenn sich alle Versicherten unabhängig vom Einkommen zusammentun, um die Risiken zwischen Gesunden und Kranken auszugleichen, kann eine tragfähige Solidargemeinschaft entstehen. Die Aufspaltung der Krankenversicherung in einen gesetzlichen und einen privaten Zweig wird diesem Solidaranspruch nicht gerecht und schwächt den sozialen Zusammenhalt", betont Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung.

hypothetisch, unrealistisch und klar verfassungswidrig

Die Antwort seitens der Versicherer ließ nicht lange auf sich warten. So titelt die PKV-Lobby: "Vorsicht Falle: Bertelsmann rechnet die medizinische Versorgung kaputt" und kommt schließlich zu dem Schluss „Die Bertelsmann-Studie ist ein Rechenexempel im luftleeren Raum.". Grund dafür seien unter anderem Aussagen in der Studie. Darin heißt es: „Dabei handelt es sich um eine rein rechnerische Schätzung von Finanzierungseffekten für den hypothetischen Fall, dass alle gegenwärtig in der PKV vollversicherten Personen in der GKV versichert wären. Damit handelt es sich ausdrücklich nicht um ein realistisches, ‚umsetzungsnahes‘ Szenario“.

Konkret moniert der PKV-Verband sieben Punkte der Studie, die eigens in einem "Faktencheck" festgehalten wurden. So ginge unter anderem "die angebliche Ersparnis von 145 Euro im Jahr voll zu Lasten der ärztlichen Versorgung. Denn was die Versicherten sparen, wird den Arztpraxen genommen. Die 145-Euro-Illusion von Bertelsmann beruht darauf, dass der PKV-Mehrumsatz für die Ärzte ersatzlos wegfiele. Damit gingen jeder Arztpraxis in Deutschland im Schnitt über 54.000 Euro pro Jahr verloren – wodurch sich die Wartezeiten und die Versorgungsqualität für alle Patienten drastisch verschlechtern würden.", erklärt Florian Reuther, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV).

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Auch die von Bertelsmann angeführte Ersparnis von jährlich 48 Euro - , wenn nur der PKV-Mehrumsatz für ambulante Medizin in Höhe von 6,4 Milliarden Euro pro Jahr ausgeglichen würde - hinkt laut Verband. Schließlich sei der tatsächliche Mehrumsatz der PKV mit 13,2 Milliarden Euro pro Jahr mehr als doppelt so hoch. "Wenn also dem Gesundheitssystem keine Mittel entzogen werden sollen, dreht der Beitragseffekt nach der Bertelsmann-Rechnung sogar ins Minus – die gesetz­lich Versicherten müssen draufzahlen.", konstatiert Reuther.

Komplett außen vor blieben in der Studie dagegen die Herausforderungen des demografischen Wandels und die Folgen der Alterung in Deutschland. Schließlich würden die heute so attraktiven Privatpatienten älter, kränker und kostenintensiver. Bei der Überführung in die GKV würden sie also irgendwann auch zur Last. Dabei haben sie bisher keinen Cent in die GKV eingezahlt und würden quasi aus dem Vollen schöpfen. Gleichzeitig hat die PKV kapitalgedeckte Alterungsrückstellungen gebildet. Inzwischen haben sich mehr als 270 Milliarden Euro angesammelt. Man könnte meinen, die Studienmacher zielten genau auf diese Summe als Sofortentlastung für die GKV ab.

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An dieser Stelle bringt der PKV-Verband das Grundgesetz ins Spiel. Denn das Grundgesetz schützt sowohl das Recht der Versicherten auf Vertragsfreiheit als auch die Grundrechte der Versicherungsunternehmen (Berufsfreiheit). Dieser verfassungsrechtliche Bestandsschutz werde in der Regel auch von Befürwortern der Bürgerversicherung anerkannt. Ergo sei dieses Szenario vollständig unrealistisch und klar verfassungswidrig.

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