Wer sich in diesen Tagen auf Konferenzen und Kongressen der Versicherungsbranche tummelt, kann einer Frage kaum entkommen: kommt die Megaplattform für Versicherungen? Ob jüngst beim SV-Versicherungstag oder den Düsseldorfer Maklergesprächen der Bipro, überall wird hitzig über das Entstehen einer oder mehrerer solcher Plattformen oder Ökosysteme diskutiert.

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Philipp Kanschik

Philipp Kanschik

Dr. Philipp Kanschik ist Geschäftsführer von Policen Direkt und dort verantwortlich für Technologieentwicklung und Maklernachfolge.

Ich habe an dieser Stelle schon einige Male über die Unabhängigkeit der Makler geschrieben (z.B. "Vom Versicherungsexperten zum Datenknecht?" oder "Sechs Gründe, warum Pool-Makler keine richtigen Makler sind"). Mehr noch als MVPs oder Pools scheint aktuell die Mega-Plattform die ultimative Bedrohung für die Unabhängigkeit der Makler zu sein. Der Begriff der Mega-Plattform erinnert mich dabei ein bisschen an die „Dunkle Energie“ der theoretischen Physik: jeder hat schon mal davon gehört, es gibt sogar eine gewisse empirische Evidenz – die Stichwörter lauten Ping An oder Amazon Protect – , aber ihre genaue Beschaffenheit und Rolle im Universum der Assekuranz ist weiterhin einigermaßen unklar. Das macht sie zum idealen Diskussionsthema und Anlass, der Sache in dieser Kolumne auf den Grund zu gehen.

Die neue Welt: Versicherer -> X -> Makler -> Kunde

Die traditionelle Versicherungswelt scheint aus heutiger Sicht so geordnet, dass man fast nostalgisch werden möchte. Da gab es Versicherer, deren Produkte entweder von der hauseigenen AO oder einem Makler an den Kunden vertrieben wurden. Das Schema: Versicherer -> Makler / AO -> Kunde., so einfach, so überschaubar.

Die Idee der Plattform besagt im Kern, dass sich weitere Akteure in diese Kette schieben und zwar an die Stelle zwischen Makler und Versicherer. Und die Idee der Megaplattform besagt, dass es einem oder mehreren dieser Akteure gelingt, ein Monopol / Oligopol zu errichten—was bedeuten würde, dass nahezu alle kaufmännisch relevanten Versicherungstransaktionen über eine oder mehrere dieser Plattformen laufen. Zwischen Maklern und Versicherern gibt es in dieser Welt keine direkte Verbindung mehr.

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In anderen Branchen sind Plattformen schon sehr erfolgreich. In der Assekuranz haben wir momentan noch eine sehr zersplitterte Landschaft. Die zentralen Fragen sind nun, „wird sich das ändern?“, und „wer könnte eine solche dominierende Plattform bauen?“

Die Mega-Plattform = Vergleicher + MVP + Pool

Schauen wir uns doch mal an, wer im deutschen Versicherungsmarkt alles gerne Plattform wäre. Da hätten wir zunächst die Vergleicher. Vergleichsanbieter helfen dem Makler, einen Überblick über das vorhandene Angebot zu gewinnen. In anderen Branchen konnten vergleichbare Anbieter Plattform-Rollen erringen. Amazon oder Airbnb sind letztlich Vergleichsportale. Solche Portale sind ideale Kandidaten für eine Mega-Plattform, weil der Kunde und die Makler zu ihnen kommen, wenn neues Geschäft entsteht.

Was den Vergleichern im Hinblick auf die Megaplattform fehlt, ist allerdings die Kompetenz den „Bestand“ zu verwalten. Das ist in anderen Branchen nicht so entscheidend wie in der Assekuranz. Die Beziehung zum Kunden endet nicht mit dem Abschluss. Tatsächlich werden die erworbenen Produkte für die Kunden oft erst Jahre oder Jahrzehnte später nützlich. Die Megaplattform der Assekuranz muss also auch die dauerhafte Bestandsverwaltung ermöglichen: Vertragsdaten aktualisieren, Verträge optimieren, Schäden regulieren – möglichst automatisiert und effizient. Hier kommen die MVP-Anbieter ins Spiel, bei denen alle Vertragsdaten zusammenlaufen.

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Darüber hinaus zeichnet die Megaplattform sich dadurch aus, dass sie Kunden und Dienstleistern einen sehr effizienten Back-office-Support anbietet. Hier kommen in der Welt der Assekuranz die Maklerpools ins Spiel. Diese zeigen auch ein anderes wichtiges Merkmal von Plattformen: das clevere Ausspielen eigener Einkaufsmacht.

Die Mega-Plattform übernimmt für den Makler also alles in einem: die Rolle des Pools, MVPs und Vergleichers in einem integrierten System, zu welchem auch der Kunden einen Zugang per App / Portal hat. Gibt es nur noch eine oder mehrere solcher Plattformen, werden die Makler von diesem abhängig, wenn sie einen guten und relevanten Service bieten wollen. Ohne Nutzung der Mega-Plattformen wäre das nicht mehr möglich.

Keine Mega-Plattform in Sicht

Stand heute gibt es allerdings keinen Akteur, der das Pool-, Vergleicher- und MVP-Geschäft so effektiv bündeln kann, dass die Mega-Plattform entsteht. Ein wichtiger Grund ist die fehlende Standardisierung. 20 Jahre nach der Erfindung des GDV-Datensatzes ist die Branche in Deutschland immer noch weit entfernt von einer Normierung der Datenströme. Gerade diese Standardisierung braucht jedoch jede Mega-Plattform.

Im Resultat finden wir eine zersplitterte Landschaft von Dienstleistern für Pool-, MVP- und Vergleichsservices. 50 MVPs werden in Deutschland aktiv genutzt. Dazu kommen 18 Pools, die jeweils mehr als 10 Mio. EUR Jahresprovisionen verwalten. Bei den Vergleichern ist die Konsolidierung etwas weiter, aber auch hier gibt es noch zahlreiche Anbieter, die in verschiedenen Sparten eine große Relevanz haben. All diese Dienstleister müssen mit einer Welt klarkommen, in der 100-150 relevante Versicherer ihr eigenes Süppchen kochen statt sich an einen Branchenstandard zu halten.

Naturgemäß versuchen viele dieser Akteure durch Zukäufe oder Portfolioerweiterung zur Plattform zu werden und auf diese Weise für Standardisierung zu sorgen. Diese Konsolidierung wird erfolgen—aber wie schnell, weiß keiner. Aufgrund des fehlenden Willens zur Standardisierung und der momentanen Zersplitterung ist die Aufgabe in unserer Branche schwieriger und langwieriger als in anderen.

Nur ein Makler mit eigener IT ist unabhängig

Was bedeutet all das für uns Makler? Unsere Unabhängigkeit wird zu Recht in Frage gestellt. Wir können immer weniger von Abschlussprovision leben, werden regulatorisch immer stärker in unseren Möglichkeiten auf den Kunden zuzugehen eingeschränkt und stehen immer härterer Online-Konkurrenz gegenüber. Gleichzeitig sind wir von Intermediären längst abhängig. Eine Anbindung mit attraktiven Courtagesätzen ist für 95% der Makler aufgrund fehlender Größe nicht machbar, ebenso wenig ein effizientes Datenmanagement.

Unser Problem ist daher aktuell nicht die Abhängigkeit von den Megaplattformen, sondern ihr Fehlen. Als Makler wollen wir uns mit unseren Kunden beschäftigen—und nicht mit digitalen Schadenformularen, Datenimporten und Vergleichstechnologie. Eine Plattform würde uns diese Arbeit abnehmen und wäre die optimale Synthese von MVP, Maklerpool und Vergleichsanbietern.

Bei Policen Direkt glauben wir, dass es eine solche Plattform so schnell nicht geben wird. Es gibt zwar bereits erfolgreiche Schritte in diese Richtung und einige vielversprechende Kandidaten. Aber die fehlende Standardisierung—und auch die Trägheit der Kunden beim Wechsel zu neuen digitalen Versicherern/ Maklern—bedeutet, dass sich all das noch Jahre hinzieht. Auch weil träge Akteure unter den Maklern und Versicherern nicht so schnell abgestraft werden wie die „Nokias“ und „Kodaks“ in anderen Branchen.

Meine Prognose lautet daher: Megaplattformen in der Versicherungsbranche setzen sich erst zum Ende des gerade begonnenen Jahrzehnts durch.

Das Fehlen der Megaplattformen bedeutet, dass wir als Makler uns aus verschiedenen Dienstleistern unsere eigene Plattform zusammenstricken müssen, in der wir andere Dienstleister modular anbinden. Dafür braucht ein Makler eine starke IT, die verschiedene Dienstleister zusammenführen kann. Wir haben daraus z.B. längst die Konsequenzen gezogen. Bei Policen Direkt ist die Abteilung IT so groß wie die Abteilung Kundenservice. Das kann und will sich natürlich nicht jeder Makler leisten. Bloß: wer sich keine IT leistet, muss weiter auf die Mega-Plattform warten. Kommt sie, kann er effektiv arbeiten, wird aber von ihr abhängig und über kurz oder lang verschwinden. Kommt sie nicht, ist er zwar weniger abhängig, aber auch nicht mehr effektiv. Nur eine starke eigene IT schützt vor diesem Dilemma.

Übrigens bedroht die Existenz der Megaplattform nicht nur die Unabhängigkeit der Makler. Noch bedrohlicher ist sie vermutlich für die Versicherer, insbesondere für jene ohne starke Eigenmarke. Vielleicht haben die Versicherer gerade deshalb kein Interesse an einer funktionierenden Standardisierung, die das Entstehen von Megaplattformen ermöglichen würde. Aber das ist ein anderes Thema für ein anderes Mal.

Über den Autor: Philipp Kanschik ist Bereichsleiter für das digitale Maklergeschäft und Nachfolgelösungen bei Policen Direkt. Einerseits ist er promovierter Philosoph, Weltreisender und Gitarrist und andererseits Experte für technologiebasierte Online-Versicherungs-Plattformen sowie Maklerbestandsübernahmen. So wirft er einen ganz eigenen Blick auf die digitalen Herausforderungen der Versicherungsbranche.

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