„Auf innovative Geschäftsmodelle scheint die eine oder andere Vorschrift nicht richtig zu passen. Wie so oft hinkt die Rechtsentwicklung der Lebenswirklichkeit hinterher. Unternehmer aus der Gesundheitsbranche brauchen aber mehr Rechtssicherheit, und dazu wollen wir mit Musterprozessen beitragen“, sagte Körber im Juni 2018, als die Wettbewerbszentrale erstmals über die Klage auf ihrer Webseite berichtete.

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Frage nach Qualitätsstandards - und Defizite der Diagnose

Aber es gibt auch Gründe, weshalb die Fernbehandlung eben doch eine heikle Sache sein kann: und ihr Grenzen gesetzt werden müssen. So ist es zum Beispiel fraglich, wie ein Fernbehandler den Pflichten nach dem Infektionsschutzgesetz nachkommen und meldepflichtige Krankheiten erkennen soll, schreibt die Wettbewerbszentrale. Zudem ist dauernde ärztliche Tätigkeit in Deutschland an die Niederlassung, also an einen Praxissitz, gebunden.

Auch die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist nach deutschem Recht an einen persönlichen Besuch beim Arzt verbunden — zu groß die Sorge, Beschäftigte könnten die Ferndiagnose missbrauchen und sich am Bildschirm schlicht krankstellen, um einen freien Tag zu ergattern.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie bei telemedizinischen Leistungen die Qualitätsstandards gesichert werden können. Kritiker haben auf dem Ärztetag in Erfurt schon das Schreckgespenst schlecht ausgebildeter Callcenter-Mitarbeiter beschworen, die im Auftrag gewinnorientierter Konzerne Diagnosen am Fließband ausstellen und in Konkurrenz zu Vertragsärzten und Klinikbetreibern treten. Darüber hinaus hat der Arzt nicht die Möglichkeit, den Patienten zu befühlen, zu betasten und Körperregionen abzuklopfen: Der körperlichen Untersuchung sind durch die Distanz Grenzen gesetzt.

Haftung umstritten

Die Wettbewerbszentrale hebt ein weiteres Moment hervor, weshalb man sich zu einer Klage gegen Ottonova entschlossen hat: Haftungsfragen sind strittig, etwa bei Fehldiagnosen. Das gilt besonders dann, wenn die Ärzte wie in diesem Fall in einem Nicht-EU-Land sitzen. Es sei nicht geklärt, wohin sich die Patienten wenden können, um zum Beispiel die Diagnose zu überprüfen.

In Deutschland wäre für Privatpatienten zwar ohnehin der Versicherer erster Ansprechpartner, da sie nicht das Prüfverfahren des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Anspruch nehmen können. Der MDK stellt Gutachten zu vermeintlichen Behandlungsfehlern aus, aber nur für gesetzlich Versicherte. Zusätzlich sind für Privatversicherte die Schlichtungsstellen der Ärztekammern mögliche Vermittler zwischen Arzt und Patient.

Gilt deutsches oder Schweizer Recht?

Die Unklarheit bei der Haftung ist ein wesentlicher Grund, weshalb die Wettbewerbszentrale gegen Ottonova vor Gericht zog. Die Krankschreibung per Telefon oder Videokonferenz bei unbekannten Patienten ist in Deutschland weiterhin nicht zulässig, auch wenn das Fernbehandlungsverbot gelockert wurde: in der Schweiz nur in bestimmten Grenzen. Hier ist auch die Frage, welches Recht anzuwenden wäre.

Während die Wettbewerbszentrale darauf beharrt, dass die Behandlung in Deutschland stattfinde und entsprechend deutsches Recht gelte, sieht dies Ottonova anders. Die Werbung für telemedizinische Video-Konsultation wäre nur dann unzulässig, wenn die Art der angebotenen Fernbehandlung selbst unzulässig wäre, heißt es in einem Statement, das der Versicherer anlässlich der Klage im Juni 2018 verschickt hat. Weil aber Telemedizin in der Schweiz erlaubt sei, verstoße man auch nicht gegen das Gesetz.

Hier hat sich nun das Landgericht München für eine strenge Auslegung des Heilmittelwerbegesetzes entschieden: ohne dass genaue Details zur Begründung bisher bekannt wären. Roman Rittweger, Vorstandsvorsitzender der Ottonova Holding AG, betrachtet dies als nicht mehr zeitgemäß:

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„Ich bedaure die Entscheidung des Landgerichts, das sich streng am Wortlaut des §9 HWG orientiert und anscheinend die aktuellen Gesetzesinitiativen und Entwicklungen zur Zukunft der Telemedizin außer Acht lässt", sagte Rittweger. Und weiter: "Wir appellieren an die Bundesregierung, das neue Digitalisierungsgesetz zügig zu verabschieden und umzusetzen, damit wir in Deutschland nicht weiterhin wegen veralteter Gesetze den Anschluss im internationalen Wettbewerb um innovative Gesundheitsdienstleistungen verlieren".

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