Heftigst umstritten und eigentlich bereits abgeschafft, doch noch immer am Leben. So lässt sich der Status Quo der heftig debattierten Schülerversicherung in Baden-Württemberg beschreiben. Nachdem das Bundesland die bisherigen Gruppenverträge mit den beiden Versicherern Württembergische Gemeindeversicherung (WGV) und Badische Versicherung (BGV) zum Ende des Schuljahres hat auslaufen lassen, springen nun die Kommunen als Partner ein.

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Wie die Stuttgarter Zeitung am Donnerstag berichtet, wird die Stadt Stuttgart den Vertrag für ihre 78.125 Schüler an öffentlichen Schulen fortführen, sobald die großen Ferien vorbei sind. Das hat der Gemeinderat der südwestdeutschen Landeshauptstadt am Donnerstag beschlossen. Vertragspartner ist die WGV Versicherung.

Der Nutzen? Ja, aber...

Bei der Schülerzusatz-Police handelt es sich um eine Art Kombi-Produkt aus privater Haftpflicht-, Unfall- und Sachversicherung. Bereits seit 1974 existiert sie in Baden-Württemberg. Teuer sind die Verträge nicht, sie kosten lediglich einen Euro pro Schuljahr und Schüler.

Bundesweite Kritik an den Verträgen kam erstmals auf, nachdem „Der Spiegel“ 2018 darüber berichtet hatte. Denn in mehreren Fällen ist der Schutz doppelt gemoppelt und überflüssig, wenn die Schüler bereits anderweitig abgesichert sind. Beispiel Haftpflicht-Baustein: Besitzen die Eltern selbst eine private Haftpflichtversicherung, sind in der Regel auch die Kinder mitversichert. Kein seltener Fall: Nach der jüngsten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018 des Statistischen Bundesamts haben mehr als acht von zehn Haushalten (83 Prozent) eine entsprechende Absicherung (der Versicherungsbote berichtete).

Ist der Zusatzvertrag mit Blick auf den Haftpflichtschutz also nutzlos? Dem widerspricht Norbert Brugger, Bildungsdezernent des Städtetags. Bereits im April machte er auf ein Problem aufmerksam: Für Schulpraktika und Aufenthalte in Schullandheimen werde immer häufiger eine private Haftpflicht verpflichtend verlangt. Nicht nur müssten die Lehrer vor solchen Veranstaltungen umständlich erfragen, in welchen Familien eine Privathaftpflicht besteht und ob die Kinder über die Eltern mitversichert sind. Existiert kein solcher Vertrag, könnten die betroffenen Kinder zudem ausgeschlossen werden und nicht teilnehmen dürfen. Laut einer GDV-Studie sind gerade Familien mit geringen Einkommen oft nicht haftpflichtgeschützt. Hier greift die Schülerversicherung.

Eine ähnliche Debatte gibt es mit Blick auf den Unfallschutz. Auch dieser greift bei der Schülerzusatzversicherung ausschließlich in der Schule, bei Praktika und dem Weg dorthin. Die gesetzliche Unfallversicherung würde hier auch zahlen, wenn den Schülern in der Schule oder auf dem Schulweg etwas passiert: der Schutz wäre also ebenfalls doppelt gemoppelt. Allerdings gibt es eine Erweiterung des Deckungsbereiches durch die WGV: zusätzlich abgesichert sind nämlich Abweichungen vom direkten Schulweg, etwa zur Nachhilfe oder Musikschule. Auch für private Aktivitäten im Rahmen schulischer Ausflüge und Veranstaltungen zahlt der Versicherer. Für beide Fälle würde die gesetzliche Unfallkasse nicht aufkommen.

Nicht ganz nutzlos, aber weiter sehr lückenhaft

Nicht ganz nutzlos, aber immer noch sehr lückenhaft: So ließe sich der Versicherungsumfang der Schülerzusatzversicherung vielleicht beschreiben. Der Schutz greift eben nur in der Schule, bei Praktika, Klassenfahrten und auf dem Weg dorthin, wo es für Schüler schon eine Grundabsicherung gibt. Der Bund der Versicherten (BdV) hat die Police 2018 zum „Versicherungskäse des Jahres“ gewählt und zeigt auch beim überarbeiteten Schutz mit dem Daumen nach unten. Ein Grund sind die sehr niedrigen Versicherungssummen für Haftpflicht und Invalidität, die weit unter dem üblichen Marktniveau privater Versicherer liegen. Zahlen viele Versicherer für Haftpflichtschäden zum Beispiel pauschal 15 Millionen Euro, erstattet die WGV für Schüler nur drei Millionen (der Versicherungsbote berichtete).

Der Verbraucherverband verweist auch auf einen Fehlanreiz, der durch die Verträge gesetzt wird. So könnten Eltern darauf verzichten, ihre Kinder bei Freizeitaktivitäten gegen Unfall und Invalidität abzusichern: da sind sie aber weit häufiger bedroht, verunglücken doch viele Kinder beim Spielen oder gar zu Hause. „Das Angebot über Schulen gaukelt Eltern eine trügerische gute und vollumfängliche Absicherung vor, die jedoch nicht gegeben ist“, so BdV-Sprecher Axel Kleinlein. Ohnehin sind nur 0,3 Prozent aller Kinder durch Unfälle schwerbehindert und 60 Prozent aufgrund einer Krankheit, wie aus Daten der Versorgungsämter hervorgeht. Deshalb ist für Kinder eine Invaliditätsversicherung eigentlich die sinnvollere Alternative: Sie zahlt ab einem bestimmten Grad der Invalidität unabhängig von der Ursache.

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Nun hat sich also die Stadt Stuttgart bereit erklärt, die Kosten für den Gruppenschutz der WGV pauschal zu übernehmen. Rund 63.000 Euro zahlt die Stadt pro Schuljahr dafür, berichtet die "Stuttgarter Zeitung". Immerhin kann damit ein Kritikpunkt als erledigt gelten. Die Lehrer müssen nicht mehr, wie bisher, die Anträge für die Versicherungspolicen jedes Jahr an die Schüler austeilen und den Beitrag einsammeln. Damit werden sie auch nicht zu Versicherungsvermittlern - ohne Erlaubnis, wohlgemerkt. Auch datenschutzrechtliche Bedenken konnten so ausgeschaltet werden.

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