Komplexe Finanzkonstrukte: Transparenz-Problem für die Kunden

"Indexgebundene Rentenversicherungen" oder sogenannte Indexpolicen kommen mit einem verheißungsvollen Versprechen daher: Sicher sollen die Produkte sein wie „klassische“ Lebensversicherungen, zugleich aber können Anleger an der Entwicklung eines Börsenindex partizipieren (der Versicherungsbote berichtete). Wer nun aber meint, in Zeiten niedriger Zinsen sei den Versicherern mit Indexpolicen eine Art Quadratur des Kreises gelungen, der muss sich auf dem zweiten Blick bescheiden.

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Die meisten Gelder fließen ins Sicherungsvermögen

Denn zum Ersten werden Beiträge und Guthaben bei Indexpolicen ebenfalls – wie bei Produkten der „Klassik“ — fast vollständig im konservativ gehandhabten Sicherungsvermögen bzw. Deckungsstock angelegt. Die angelegten Gelder dürfen durch einen hohen Anteil festverzinslicher Wertpapiere dadurch zwar als „sicher“ gelten, die Rendite aber leidet wie bei klassischen Leben-Produkten unter dem Niedrigzins. Investiert an der Börse hingegen werden nur die Überschüsse aus der Anlage im Sicherungsvermögen.

Aber auch diese Überschüsse finden nur auf sehr vermittelte Weise ihren Weg an die Börsen. Denn zum Zweiten finden keineswegs direkte Investments in den Index statt. Stattdessen sind komplizierte Options- und Hebelgeschäfte nötig, um die Sicherheit der überschüssigen Gelder zu garantieren – weswegen der Versicherer gegen Gebühr Risiken auslagert und einen Partner auf die Entwicklung eines Index „wetten“ lässt. Die Wertentwicklung der Aktienindizes ist demnach nur einer von mehreren Parametern für die Rendite der Vorsorgesparer.

Der Deal: Cap gegen Sicherheit

Zum Dritten hat dieses Konstrukt aber auch seinen Preis für den Kunden. Wird doch der Gewinn aus diesen Anlagen in Optionsgeschäfte für den Kunden bei einer Obergrenze „gekappt“. Freilich: Keineswegs nimmt der Kunde diesen als „Cap“ bezeichneten Rendite-Deckel ohne Gegenleistung hin. Fällt nämlich die Jahresrendite jenes Index, in den investiert wurde, negativ aus, wird die Rendite des Sparers für dieses Jahr auf null gesetzt. Folglich "bleibt" das Vertragsguthaben auf dem alten Stand erhalten. Eine solche Bedingung des Geschäfts kann auch durchaus im Sinne des Kunden sein, wie die Entwicklung des DAX in 2018 zeigt: Der Aktienindex der 30 umsatzstärksten deutschen Unternehmen, die an der Frankfurter Börse gelisteten sind, verlor in dem Jahr über 16 Prozent an Wert. Diesen Verlust hätte ein Kunde bei einem Direktinvestment in den DAX ebenfalls zu beklagen.

Wie hoch aber ist der Preis dieser Sicherheit für die Kunden? In welchem Verhältnis stehen demnach diese Absicherungskosten aus dem Cap zu den längerfristigen Gewinnen, die über dem Cap liegen? Diese Frage lässt sich schon aufgrund der komplexen Konstruktion der Indexpolicen oft nur schwer für Außenstehende und auch für die Kunden beantworten. So werden zum Beispiel jährlich die Caps nach einem sehr komplexen Verfahren festgelegt und können sogar dazu führen, dass der Kunde selbst dann Nullrunden akzeptieren muss, wenn der Index deutlich wächst. Nicht nur für Verbraucherschützer ergibt sich daraus ein Transparenz-Problem: Schon die Beschaffenheit der Produkte erschwert, die Bedingungen des Geschäfts zu durchschauen.

Verbraucherzentrale Hamburg: Klage aufgrund eines Vorzeigeprodukts

Verbraucherschützer kritisieren aber nicht nur die Komplexität der Produkte, mit denen Versicherer in Zeiten des Niedrigzins "sicher" an die Börsen wollen. Vielmehr wirft man den Anbietern vor: „Indexpolicen“ würden mit Versprechen beworben, die gar nicht gehalten werden. Die Komplexität der Produkte und damit die Bedingungen des Geschäfts würden hierbei eher verschleiert als offengelegt.

Aus diesem Grund trat die Verbraucherzentrale Hamburg (VZ HH) auch in einen Rechtsstreit mit der Allianz und suchte sich einen Produkt-Pionier aus, um ihm eine Unterlassungsklage ins Haus zu schicken. Seit 2007 bereits bietet der Münchener Versicherer das Vorsorgekonzept „Index Select“ an, die vielleicht erste Index-Rente auf dem deutschen Markt. Und die Allianz kann mit diesem Produkt Erfolge für die Kunden vorweisen, wie ihr Experten bescheinigen: Bei einem Rating des Analyse-Hauses Morgen & Morgen ging "Index Select" als Testsieger hervor – und das, obwohl nur wenige Indexpolicen überhaupt den Maßgaben des Rankings entsprachen (der Versicherungsbote berichtete).

Der Vorwurf: Irreführende Werbung

Aber darf für ein solches Finanzprodukt behauptet werden, es „beteilige“ den Kunden an der „Wertentwicklung" eines Index? Wird somit tatsächlich das Versprechen eingelöst, das schon im Namen der Produkte („Indexpolice“) angelegt ist? Aus Sicht der Verbraucherzentrale Hamburg handelt es sich hierbei schlicht um „Etikettenschwindel“. So wollten die Verbraucherschützer durch eine Unterlassungserklärung Werbeaussagen auf dem Internetauftritt der Allianz verbieten.

Konkret ging es um die Behauptung, Kunden würden über „Index Select“ am Aktienindex Euro Stoxx 50 partizipieren. Aus Sicht der Verbraucherzentrale handelt es sich hierbei um unlautere Werbung, die Kunden in die Irre führt.

Vorinstanz urteilte zugunsten der Verbraucherschützer

Vor Gericht war die Verbraucherzentrale mit dieser Argumentation zunächst erfolgreich: Die 37. Zivilkammer des Landgerichtes (LG) München gab der Unterlassungsklage statt (Urteil vom 28. März 2018, Az.: 37 O 12326/17). So durfte die Allianz nicht mehr mit einer "Beteiligung an der Wertentwicklung des Eurostoxx 50“ werben. Auch den Begriff „Indexpartizipation" durfte sie nicht in der bisherigen Weise für ihre Internetwerbung verwenden. Zudem durfte die Allianz nicht mehr behaupten, der Cap sei lediglich der "Preis" für die Sicherheiten.

Der Grund für die Unterlassung: Laut Urteil sei „eine Korrelation der Rendite“ mit der Wertentwicklung des Eurostoxx „immer dann nicht gegeben, wenn diese eher gut ist und daher über dem Cap liegt“. Diese Differenz könne "ein Vielfaches der Jahresrendite ausmachen“. Der Cap also sichert laut Urteil nicht nur die Absicherungskosten, sondern kann bei guter Entwicklung der Börsen-Indizes auch gute Gewinne für Produktanbieter abwerfen. Und solche Bedingungen werden laut Urteil durch die Werbebotschaften nicht aufgezeigt (der Versicherungsbote berichtete).

Vor Oberlandesgericht siegt die Allianz auf ganzer Linie

Wie die Allianz nun aber in einer Pressemeldung mitteilt, hält dieses Urteil des Landgerichts einer Überprüfung durch die höhere Rechtsinstanz nicht stand: Das Oberlandesgericht (OLG) München hob mit Entscheidung vom 4. April das Urteil des Landgerichts München auf und wies die Klage der Verbraucherzentrale ab. Der Erfolg der Berufung für den Versicherer muss wesentlich sein, denn auch eine Revision der Verbraucherzentrale Hamburg wurde laut Deutschlands größtem Versicherer nicht zugelassen. Demnach verfügt die Allianz nun über ein rechtsgültiges Urteil in letzter Instanz: Eine Täuschung der Verbraucher findet für die Online-Werbung von "Index Select" nicht statt, die Produkte dürfen weiterhin auf bisherige Weise beworben werden.

Verbraucherzentrale: Bei Niederlage aktuell wenig Transparenz

Zwar zitiert die Allianz keine Urteilsgründe für die Entscheidung (der Versicherungsbote wird sich um weitere Informationen bemühen). Kritisiert wird nun jedoch anhand der Pressemitteilung die Kommunikation der Verbraucherzentrale. Denn "nur am Rande" würde die Verbraucherzentrale ihre Niederlage vor dem Oberlandesgericht erwähnen – eine Tatsache, die der Versicherungsbote zumindest mit Stand vom 15. Mai 2019 durch Blick auf die Webseite der Verbraucherschützer bestätigen kann:

Nur mit einer kurzen Notiz von wenigen Sätzen berichtet die Verbraucherzentrale von ihrer Niederlage vor dem Oberlandesgericht. Diese droht, in den vielen Informationen zur Sichtweise der Verbraucherzentrale unterzugehen. Hinzu kommt, dass von der vermeintlichen Niederlage der Allianz, obwohl inzwischen aufgehoben, noch umfangreich berichtet wird. So entsteht der Eindruck, das vorherige Urteil habe weiter Bestand.

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Als nämlich die Verbraucherzentrale in Vorinstanz noch siegte, stellte sie sogar eine Kopie des nun aufgehobenen Urteils des Landgerichts auf ihrer Seite zur Verfügung – und kommunizierte weit ausführlicher über den Rechtsstreit, der ihr nun eine Niederlage einbrachte. Erst ein solcher Kontrast zur vorherigen Kommunikation erlaubt Kritik: Mit ihrem Vorgehen verstoßen die Verbraucherschützer selbst gegen jenes Transparenz-Gebot, das sie gegenüber Produktanbietern erheben.

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