Der Allianz droht ein Imageschaden mit einem ihrer Vorzeige-Produkte, dem Vorsorgekonzept „Index Select“. Gestern hat die Verbraucherzentrale Hamburg mit einem Pressetext berichtet, dass die Allianz vor dem Landgericht München eine gerichtliche Schlappe einstecken musste. Informationen auf der Webseite der Allianz seien irreführend und unlauter, so hatte der 27. Zivilsenat des Landgerichtes bestätigt (Urteil vom 28. März 2018, Az.: 37 O 12326/17).

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Fehlende Gesprächsbereitschaft der Verbraucherzentrale beklagt

Nun hat die Allianz Stellung zu den Vorwürfen bezogen und ein entsprechendes Statement an die Presse verschickt. Dabei kritisieren die Münchener vor allem die fehlende Gesprächsbereitschaft der Verbraucherzentrale. Seit dem Juni 2016 habe der Versicherer wiederholt das Gespräch mit der Hamburger Watchdog-Organisation gesucht, „um sich fachlich auszutauschen“, so heißt es im Pressetext. Auch das Landgericht habe in der mündlichen Verhandlung beide Parteien aufgefordert, das Gespräch zu suchen.

„Gerne hätten wir in einem konstruktiven Dialog mit der Verbraucherzentrale Hamburg deren Anmerkungen zur digitalen Kurzinformation zu IndexSelect besprochen. Dass es der Verbraucherzentrale nicht möglich war, an einer außergerichtlichen Lösung mitzuarbeiten, bedauern wir sehr“, sagt Volker Priebe, Produktvorstand der Allianz Leben. Gegenüber dem Versicherungsboten wies ein Unternehmenssprecher zudem darauf hin, dass die Verbraucherzentralen selbst ohne Not recht komplexe Finanzprodukte an Verbraucher empfehle, etwa ETFs. Auch deshalb habe man das Gespräch gesucht: um gemeinsam zu diskutieren, wie diese transparenter dargestellt werden könnten.

Zugleich fällt aber auch auf, dass der Pressetext des Versicherers kaum auf die inhaltliche Kritik des Landgerichtes eingeht. Und die lässt sich grob so zusammenfassen, dass „Index Select“ nicht nur ein sehr komplexes und für den Verbraucher schwer zu durchschauendes Finanzkonstrukt sei, sondern die Infos auf der Webseite des Versicherers zudem kaum geeignet, den Verbraucher darüber zu informieren. Im Gegenteil: sie seien unlauter und führen in den Kunden in die Irre.

Entscheidend ist, wie durchschnittlicher Verbraucher Botschaft interpretiert

Hier hatte es das Landgericht München bestätigt, dass die Allianz nicht mehr behaupten darf, die Renditechancen von „Index Select“ würden „von der Beteiligung der Wertentwicklung des Euro STOXX 50“ sowie der „Indexpartizipation“ abhängen. Denn der Versicherer suggeriere mit diesen Wendungen Gewinnchancen an der Aktienmärkten, die das Produkt nicht biete.

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Die Formulierungen seien geeignet, den Verbraucher in die Irre zu führen, und zwar grundsätzlich. Es handle sich „um Angaben mit Informationsgehalt, nicht lediglich anpreisende Werbung“, heißt es in der Urteilsbegründung, welche auf der Webseite der Verbraucherzentrale Hamburg als Abschrift eingesehen werden kann. Hier komme es nicht auf den „objektiven Wortsinn“ an bzw. darauf, wie der Versicherer „selbst seine Aussage über die gewerbliche Leistung“ verstanden haben will. Entscheidend sei, wie der „verständige und durchschnittlich informierte Verbraucher“ sie interpretiere.

Wertentwicklung des Aktienindexes "lediglich einer von mehreren Parametern"

In seiner Urteilsbegründung hatte sich das Landgericht München weitestgehend der Auffassung der Verbraucherzentrale angeschlossen, dass es irreführend sei zu behaupten, die Rendite des Vertrages hänge vom Aktienindex Eurostoxx 50 ab. Und das aus mehreren Gründen. Zum einen werden ohnehin nur die erwirtschaften Überschüsse der Lebensversicherung für den Aktienindex berücksichtigt. Aber selbst dabei gibt es weitere Einschränkungen.

Streit um sogenannten Cap: Deckel für Renditechancen

So begrenzt ein sogenannter Cap, der vom Versicherer mittels komplizierter Berechnungen monatlich neu ermittelt wird, die Beteiligung an dem Index: und damit die Renditechancen des Verbrauchers. Hierbei handelt es sich um eine Art Deckel in Form eines bestimmten Prozentsatzes, der die Gewinnbeteiligung zu Lasten des Kunden nach unten drückt, wenn sich der Eurostoxx positiv entwickelt. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung lag dieser Wert bei 3,3 Prozent. Liegt die Wertentwicklung des Index in einem Monat über dem Cap, werden die Gewinne begrenzt.

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Dieser Cap wird vom Versicherer selbst als Preis dafür gewertet, dass auch eine negative Wertentwicklung des Eurostoxx 50 nicht an den Kunden weitergegeben wird. Mit anderen Worten: Performt der Index schlecht und landet im Minus, bleibt das angesparte Guthaben dennoch erhalten. Auch Gewinne, die vor dem eingerechneten Zeitraum erzielt wurden, werden nicht gekürzt. Doch laut Landgericht sei die Aussage der Allianz schlicht irreführend, der Cap sei lediglich der "Preis" für die Sicherheiten, die dieses Konzept biete, quasi ein notwendiges Übel. Tatsächlich sei eben dieser Renditedeckel die "maßgebliche Schlüsselzahl für die Renditeerwartung" des Vertrages.

So würden die Rechenbeispiele der Allianz zeigen, "dass eine Korrelation der Rendite mit der Wertentwicklung [des Eurostoxx - Anmerk. des Verfassers] immer dann nicht gegeben ist, wenn diese eher gut ist und daher über dem Cap liegt", heißt es im Urteilstext. Diese Differenz könne "ein Vielfaches der Jahresrendite ausmachen". Anders formuliert: Selbst wenn der Eurostoxx fette Rendite abwirft, muss sich das keineswegs in einer ebenfalls hohen Rendite bei "Index Select" widerspiegeln.

Selbst wenn sich der Kunde dafür entscheidet, vermeintlich an der Kursentwicklung des Aktienindexes teilzuhaben, so bestimme eben nicht der Eurostoxx die Rendite, so bestätigen die Richter. Welchen Zins der Sparer auf seine Überschüsse erwirtschaften kann, orientiere sich vielmehr an der Höhe des Caps, also des Zinsdeckels, der anhand weiterer Faktoren errechnet wird. Schon deshalb könne nicht von einer "Indexpartizipation" beim Vorsorgemodell der Allianz gesprochen werden.

"Wertentwicklung des Aktienindexes nur einer von mehreren Parametern"

In ihrem Urteil betonen die Richter indirekt die Komplexität der zugrundeliegenden Rechnungen, welche Rendite dem Sparer zum Ende des Geschäftsjahres für den Policenwert gutgeschrieben wird. Denn was der Kunde als Rendite rausbekomme, hänge dank des oben beschriebenen Caps von einer Vielzahl weiterer Faktoren ab:

Berücksichtigt werden für den Zinsdeckel unter anderem "die Höhe der jährlichen Überschussanteilssätze, des jährlichen zugeteilten Sockelbetrages für die Beteiligung an den Bewertungsreserven sowie weitere Faktoren des Kapitalmarktes wie der Volatilität und der Dividendenrendite". Folglich könne auch nicht gesagt werden, dass der Kunde an der Wertentwicklung des Eurostoxx beteiligt werde. Der Eurostoxx sei nur einer von vielen Parametern, welche die Renditechancen des Vertrages beeinflussen.

Man könnte das Urteil das Landgerichtes so zusammenfassen: Wie sich die Rendite beim Vorsorgemodell "Index Select" zusammensetzt, ist höchst kompliziert und für den Verbraucher kaum zu durchschauen. Zu behaupten, der Verbraucher werde an EuroStoxx 50 beteiligt, ist irreführend, weil viele weitere Faktoren Einfluss nehmen. Ein ganz entscheidender Punkt hierbei: Es handle sich um eine Aussage, die eine "Entscheidung für den Geschäftsabschluss" des Kunden wesentlich beeinflussen könne. Hier geht es um mehr als um eine Werbebotschaft: nämlich um die Frage, ob der Kunde falsch beraten oder gar bewusst getäuscht wird.

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Das Urteil könnte auch Bedeutung für andere Versicherer haben, die derartige Index-Renten vertreiben und ähnliche Formulierungen verwenden. Fast irritierend ist angesichts der möglichen Tragweite des Rechtsstreits, dass die Allianz in ihrem Pressestatement die vom Gericht kritisierte Werbebotschaft beinahe wiederholt. Wortwörtlich heißt es in der Pressemeldung der Münchener: "Das Vorsorgekonzept IndexSelect ist seit über zehn Jahren erfolgreich am Markt. Bislang haben sich über 500.000 Kunden für eine IndexSelect entschieden. Die Kunden können jährlich zwischen einer Teilhabe an der Kursentwicklung des Aktienindexes EURO STOXX 50® nach einem festgelegten Verfahren und einer sicheren Verzinsung wählen und tun dies auch." Die Allianz prüft derzeit anhand der Urteilsbegründung, ob sie Berufung gegen das Urteil einlegt.

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