Deutsche Vorsorgelandschaft: Teure Branchenlösungen?

Gerhard Schick lieferte neulich Stichworte zu einer Kritik, die mittlerweile keineswegs nur marktkritische Befürworter einer „Finanzwende“ vorbringen: Die deutsche Vorsorgelandschaft setzt aus dieser Sicht auf teure und wenig transparente Branchenlösungen bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge (der Versicherungsbote berichtete). Denn sparen sich Menschen mühsam etwas Geld für das Alter ab, bleibe ein großer Teil des wenigen Geldes in der Beratung, bei den Provisionen und den hohen Kosten der Gesellschaften hängen. Zusätzlichen Schwung erhalten solche Positionen durch rückläufige Zahlen: Die Entwicklung des Vertragsbestands geht zurück (der Versicherungsbote berichtete), zudem ist laut Schätzungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) jeder fünfte Vertrag ruhend gestellt – und wird demnach aktuell nicht mit Beiträgen bedient. Eine Situation, die aufgrund beängstigender Vorsorgelücken und einer drohenden Altersarmut für breite Kreise der Bevölkerung nicht ohne Antworten durch die Politik bleiben kann.

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Kapitalgedeckte Altersvorsorge: Der Staat soll es selber richten

So mehren sich auch alternative Vorschläge, wie der Staat die kapitalgedeckte Altersvorsorge selbst in die Hand nehmen kann. Vorbild dieser Vorschläge sind skandinavische Länder mit oft beeindruckenden Erfolgen – das kapitalgedeckte Prämienrentensystem der Schweden zum Beispiel lässt durch seine Einfachheit und seine niedrigen Kosten deutsche Lösungen gegen Altersarmut als teuren, aber vergeblichen Wettlauf im Hamsterrad erscheinen. Und Forderungen nach vergleichbaren Konzepten auch für Deutschland kommen mittlerweile keineswegs nur aus einem alternativen oder marktkritischen Finanzmilieu. Schon die Tatsache, dass ein ganz ähnlich gelagertes Modell wie in Schweden – die Deutschland-Rente mit ihrer Opt-out—Lösung eines „Heraus-Kommens“ aus dem Staatsfonds nur bei explizitem Widerspruch – auch von der CDU in Hessen mitgetragen wurde, zeigt: Über Parteigrenzen hinweg liebäugeln Politiker mit Lösungen wie jenen des schwedischen Staates. Es war sogar die CDU, die das Thema neu für die Landtagswahlen entdeckte (der Versicherungsbote berichtete).

Auch das Münchener ifo-Institut trat in den letzten Tagen mit einem Konzept zu einem "deutschen Bürgerfonds" an die Öffentlichkeit: Deutschland solle in der Niedrigzins-Phase seinen Status als Safe Haven innerhalb der Eurozone nutzen, um sich kostengünstig zu verschulden und damit seinen Bürgern ein angemessenes Vermögenspolster zur Altersabsicherung aufzubauen. Derartige Konzepte unterscheiden sich kaum noch von Konzepten der Verbraucherschützer – als Beispiel sei das Konzept des "Vorsorgekontos" genannt, das vom Bund der Versicherten (BdV) und anderen verbrauchernahen Organisationen, aber auch unter Mitarbeit der Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV) entwickelt wurde (der Versicherungsbote berichtete). Und nun kommt ein weiterer Vorschlag hinzu und verstärkt die Stimmen derer, die endlich den Staat an die Börse rufen zum Kampf gegen die Vorsorge-Misere.

"Extrarente": Das "Extra" gegen die Vorsorgelücke?

So präsentiert aktuell der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sein Konzept der „Extrarente" – und damit ein eigenes Konzept eines öffentlich-rechtlich organisierten Standardprodukts für die private Altersvorsorge. Auch dieser Vorschlag kommt nicht ohne Kritik an der Riester-Rente aus: Die Riester-Rente wäre eine „Fehlkonstruktion“, Verbrauchern würden meist teure, unrentable
und unflexible Rentenversicherungen angeboten. Auch komme die Wertschöpfung „vor allem Profianlegern zu Gute, nicht aber Verbrauchern, die für das Alter vorsorgen“.

Vorwurf: Schlechte Riester-Bilanz durch Steuergelder geschönt

Der Grund unterstellten Riester-Übels aus Sicht der Verbraucherschützer: Die hohen Kosten für die Verwaltung der Verträge und die Abschlussprovisionen der Vertriebe. Diese Kosten würden eine eh schon geringe Rendite weiter verringern — die verbrauchernahe Organisation stößt mit der Kritik also ins gleiche Horn wie Gerhard Schick mit seiner Bürgerbewegung „Finanzwende“. Auch würden Steuergelder die oft schlechte Bilanz vieler Verträge schönen. Letztendlich zeigen aus Sicht der Verbraucherschützer stagnierende Abschlüsse und zu geringe Sparquoten, dass die Riester-Rente nicht geeignet ist, einen Weg aus der Vorsorge-Misere zu weisen.

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"Extrarente": Lösung ohne Provisionen

Was aber soll nun laut Verbraucherzentrale an Stelle der Riester-Lösungen treten? Beim vorgestellten Modell handelt es sich, ähnlich wie bei der „Deutschland-Rente“, um eine Opt-Out-Lösung. Für Arbeitnehmer gilt nämlich: Automatisch sollen sie zukünftig über ihren Arbeitgeber in die Extrarente einbezogen werden. Den Weg hinaus aus diesem Vorsorgekonstrukt weist nur ein Widerspruch (Opt-Out-Lösung), dieser jedoch ist nur sechs Monate lang möglich. Für Selbstständige ist hingegen eine Opt-In-Lösung geplant: Demzufolge besteht durch Eigeninitiative auch für Selbstständige die Möglichkeit auf eine „Extrarente“.

Gelder für die neue Rente fließen an den öffentlich-rechtlichen Träger, der laut Plan private Fondsmanager (über zeitlich befristete Ausschreibungsverfahren) damit beauftragt, diese Gelder anzulegen. Eine Abkoppelung von Gewinninteressen sichert in der Vorstellung der Verbraucherschützer, ähnlich der schwedischen Variante, geringe Gebühren. Hervorgehoben durch die Verbraucherschützer wird: Es fallen für das Produkt auch keine Provisionen an.

Verrechnet werden die Gelder in individuellen Beitragskonten. Auch sollen die entsprechenden Anteile an den Investmentfonds im privaten Besitz der Verbraucher bleiben und damit dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz unterliegen – Begehrlichkeiten des Staates bei schlechter Kassenlage werden somit nicht bedient. Da die Gelder im Privatbesitz verbleiben, können sie bei vorzeitigem Tod des Vorsorgesparers auch an die Nachkommen vererbt werden.

"Extrarente 100": Das Basisprodukt für 100 Lebensjahre

Ähnlich dem schwedischen Modell, das zwischen verschiedenen Anlageprodukten und einer Basisvariante (dem schwedischen AP7-Fonds) unterscheidet, sollen deutsche Vorsorgesparer in Zukunft ebenfalls zwischen verschiedenen Lösungen und einer Basisvariante wählen können. Das Basisprodukt wird im Entwurfspapier als „Extrarente 100“ bezeichnet. Einzahlungen für diese Variante sollen vier Prozent des Bruttoeinkommens betragen.

Angedacht für Entscheidungen zur neuen Rentenleistung: Externe Beratungsstellen sollen die Wahl verschiedener Anlagevarianten erleichtern. Beratungsstellen erscheinen aber auch deswegen geboten, weil die Vorsorgesparer zwischen niedrigeren oder höheren Aktienanteilen des Vorsorgepakets wählen können – insbesondere für die Zeit ab dem 49. Lebensjahr legt das Konzept eine Umschichtung der Gelder in schwankungsärmere Anleihen nahe.

Die angelegten Gelder führen dann, nach Ende des Erwerbslebens, zu einer zusätzlichen Rente. Nicht entnommene Gelder für die Rente bleiben weiterhin am Kapitalmarkt investiert. Auf der Webseite wird jedoch zusätzlich die Möglichkeit vorgestellt, das eigene Vorsorgekonto aufzulösen und durch Einzahlung in eine Versicherung in eine lebenslange Rente umzuwandeln. Kalkuliert werden sollen Einzahlungen und Renten dergestalt, dass Zahlungen bis zu einem Lebensalter von 100 Jahren reichen.

Ü-100: Die Rente bleibt sicher (laut Plan)!

Ein Entnahmeplan ermöglicht für die Rentenzahlungen letztendlich entweder variierende Zahlungen oder Zahlungen fester Beträge. Ein Rechenbeispiel veranschaulicht, von welchen Beträgen die verbrauchernahen Akteure ausgehen: Wer über 45 Jahre den konstanten Sparbeitrag von 100 Euro für die Extrarente einzahlte, dem werden monatlichen Auszahlungen in Höhe von durchschnittlich 675 Euro in Aussicht gestellt. Zudem soll mit Überschreiten der 100-Jahres-Grenze auch weiterhin eine feste lebenslange Rente gesichert sein. Zur Finanzierung dieser Rentenleistung jenseits einer 100-Jahres-Kalkulation erfolgen in dem Papier jedoch leider keine Angaben.

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Wie realistisch aber sind derartige Vorschläge, die mit verheißenden Versprechungen beworben werden? Fakt ist: Die Branche muss derartige Vorschläge fürchten. Geben sie doch die Richtung vor für einen Systemwechsel: Würden sich Lösungen wie die „Extrarente“ durchsetzen, würde für Versicherer, insbesondere aber auch für das Vermittler-Geschäft ein wichtiges Kundensegment wegfallen.

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