Der Bundesverband Finanzdienstleistung (AfW) hatte es angekündigt: Komme der Provisionsdeckel für Lebensversicherungen, möchte der Vermittlerverband dagegen klagen. Gehe es doch um „einen sehr massiven Eingriff “ im Grundrechte, wie der Vorstand und Rechtsanwalt Norman Wirth mahnte.

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Dass eine solche Klage Erfolg haben könnte, zeigt nun ein Rechtsgutachten des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Das im Auftrag des Bundesverbands erstellte Gutachten kommt zu dem Schluss: „Die gesetzliche Einführung eines Provisionsdeckels bei der Vermittlung von Lebensversicherungsverträgen“ wäre ein „Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung“ aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes. Mehr noch: Es läge "mithin auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor", wie das Gutachten zusammenfasst, und damit gegen das Gleichheitsprinzip des Verfassungsstaates. Mit anderen Worten: Ein Provisionsdeckel wäre schlicht verfassungswidrig.

Maßstab der Verhältnismäßigkeit missachtet

Das 50-seitige „Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit eines gesetzlichen Provisionsdeckels für die Vermittlung von Lebensversicherungen“ wurde heute durch den Verband über eine Pressemitteilung verschickt. Datiert ist das Papier des renommierten Rechtsexperten auf den Januar 2019.

Eines der „wesentlichen Ergebnisse“ der Analyse: Der Gesetzgeber überschreite seinen von der Verfassung eingeräumten Einschätzungs-, Bewertungs- und Prognose-Spielraum. Müsse sich der weitreichende Eingriff in die Berufsausübung doch auf verfassungslegitime Gründe des gemeinen Wohls berufen. Jedoch wäre empirisch nicht belegbar, dass ein Provisionsdeckel sich durch diese Gründe rechtfertigen lasse.

Zu beachten wäre hierbei auch die Verhältnismäßigkeit. Hätte doch die gesetzliche Regelung zum Provisionsdeckel Auswirkungen auf die grundrechtlich gewährleisteten Freiheiten, so dass die Wahrung des Gleichheitsgrundrechts anhand der strengen Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit zu prüfen sei. Zwar würde sich noch keine abschließenden Aussage treffen lassen, wie stark diese Maßstäbe verletzt werden. Stehe doch noch nicht fest, wie die gesetzliche Regelung im Einzelnen aussieht. Die Pläne jedoch, die bisher bekannt wurden, lassen nichts Gutes erahnen.

Bewege sich nämlich die künftige Gesetzgebung in der derzeit diskutierten Größenordnung, ergäbe eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere der Grundrechtseingriffe auf der einen Seite und dem Gewicht, der Bedeutung und der Dringlichkeit der zu ihrer Rechtfertigung herangezogenen Gemeinwohlgründe auf der anderen Seite eine Unverhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem

Gegen den geplanten Deckel spricht laut Gutachten zudem, dass eine gesetzliche Gleichbehandlung höchst unterschiedlicher Sachverhalte und Personengruppen droht. Denn der Provisionsdeckel würde undifferenziert für alle Versicherungsvermittler im Bereich der Lebensversicherungen gelten und umfasse damit sehr unterschiedliche Berufsgruppen und Berufsbilder mit sehr unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, Aufgaben und Pflichten. Dieses Problem gelte auch für die unterschiedlichen Lebensversicherungsprodukte. Denn es würden Produkte wie Sterbegeldversicherungen oder Risikolebensversicherungen, die einen vergleichbar geringen Beratungsaufwand fordern, in einen Topf geworfen mit hochkomplexen Altersvorsorgeprodukten. Schon die Unterschiedlichkeit der Produkte und der Berufsfelder verbiete eine gesetzliche Gleichbehandlung im Bereich des Vermittlerentgelts.

Letztendlich führt der Experte aus: „Die vom Gesetzgeber vorgesehene Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem diente nicht der Erreichung eines verfassungslegitimen Zwecks des gemeinen Wohls und stünde auch in keinem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsziele.“ Mithin läge sogar ein „Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor“ und damit gegen eines der grundlegenden Prinzipien der Verfassung: Den Gleichheitssatz.

Der Verband macht auf ein weiteres Gutachten des Juristen Hans-Peter Schwintowski aufmerksam, das sich auf europäisches Recht bezieht. Demnach würde „der geplante Preisdeckel gegen die in Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union garantierte Dienstleistungsfreiheit verstoßen“, also gegen EU-Recht. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, „dass ein solcher Preisdeckel im zwingenden Allgemeininteresse notwendig sein sollte“. Zudem würde der Provisionsdeckel „gegen zwingende Allgemeininteressen verstoßen, da er in die Produktgestaltungsfreiheit der Versicherer ohne Sachgrund eingreifen würde und zugleich eine Qualitätsabwärtsspirale sowohl bei den Versicherern als auch bei den Vermittlern auslösen würde“.

Bundesregierung plant Provisionsdeckel für Lebensversicherung

Der Hintergrund: Ein Evaluierungsbericht zum Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) vom April 2018 empfiehlt einen Provisionsdeckel für Lebensversicherungen, um „etwaigen Fehlanreizen" entgegenzuwirken und Abschlusskosten weiter zu senken. Die Bundesregierung will handeln...und zögert noch. So sind konkrete Details eines möglichen Gesetzentwurfs noch nicht öffentlich geworden. Laut Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, soll ein Gesetzentwurf noch im ersten Quartal 2019 vorliegen (der Versicherungsbote berichtete).

Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) befürwortet einen solchen Deckel und hat bereits konkrete Vorschläge unterbreitet: 2,5 Prozent des Beitragsvolumens sollen künftig als Provision oder Courtage in der Lebensversicherung gezahlt werden dürfen. Erst bei Einhaltung vorher festgelegter und messbarer Qualitätskriterien (zum Beispiel konkret festgelegter geringer Kündigungsquoten) darf der Deckel angehoben werden, jedoch nur bis zur Obergrenze von maximal vier Prozent. Alles darüber Hinausgehende hingegen soll in Zukunft der Gesetzgeber verbieten.

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Dass es die Behörde nicht nur bei dem Vorschlag belassen will, zeigte hierbei im November letzten Jahres eine Ankündigung von Frank Grund, Exekutivdirektor der Versicherungsaufsicht: Die BaFin will den Provisionsdeckel notfalls auch ohne Gesetzgeber umsetzen und beruft sich auf das „Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (VAG)“. Der Bundesverband Finanzdienstleistung (AfW) und der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) wollen hingegen klagen, falls es zur Einführung eines Provisionsdeckels kommt (der Versicherungsbote berichtete).

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