Besser, schneller, transparenter sein als die etablierten Wettbewerber - dies beanspruchen mehrere Online-Versicherer für sich. So auch die ONE Versicherungs AG. „Einfach smart versichert“, lautet der Werbeslogan des Anbieters mit Hauptsitz in Vaduz/Liechtenstein. Und weiter: „Hausrat und Haftpflicht in drei Minuten. Kein Blabla, alles digital“.

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Vier Wochen Wartezeit für neue Kunden

Dass Verträge von Online-Versicherern aber sehr wohl dieses Blabla beinhalten können, auch zum Nachteil des Kunden, zeigt ONE am eigenen Beispiel. Wer als Neukunde eine private Haftpflichtversicherung nach dem Tarif „Comfort“ abschließt, wird mit einer vierwöchigen Wartezeit konfrontiert. Für diese Zeit sind zahlreiche Ausschlüsse vorgesehen, die den Schutz deutlich einschränken oder gar dafür sorgen, dass er ganz leer ausgeht.

Marktüblich ist eine solche Klausel nicht. Sie kann den Kunden benachteiligen, denn passiert in der Zeit ein Haftpflichtfall, steht er im Zweifel ohne Schutz da. Hier stellt sich auch die Frage nach der Transparenz: der Kunde erfährt von der Wartefrist im Versicherungsschein, der wiederum auf Klausel A.6.2 in den Versicherungsbedingungen verweist.

"Gegen hohes Missbrauchsrisiko schützen"

Auf die Klausel aufmerksam geworden ist Peter Hawranke, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Hawranke GmbH. In seiner Studie ”Produktinnovation von Direktversicherungen – Vertragsbedingungen im Vergleich” vergleicht er stichprobenartig die Tarifwerke von Direkt- und Digitalversicherern mit jenen der etablierten Anbieter. Neben One sind auch Tarife der Coya AG als weiterem Digitalversicherer berücksichtigt.

Dabei gibt es durchaus auch Positives zu berichten. Auftrumpfen kann ONE über den Preis. In der Privathaftpflicht gibt es den Tarif "Comfort" schon für 2,83 Monatsbeitrag, so zeigt eine Testrechnung des Versicherungsboten auf der Webseite des Versicherers. Vereinbart sind pauschal 25 Millionen Euro für Personen-, Sach- und Vermögensschäden; allerdings mit voreingestellter Selbstbeteiligung von 150 Euro und ohne Mitversicherung des Ehepartners. Gerade für die junge Zielgruppe ist das attraktiv. Die Leistungen müssen sich auch nicht hinter der Konkurrenz verstecken: mitversichert sind unter anderem eine Forderungsausfalldeckung bis fünf Millionen Euro, Gefälligkeitsschäden sowie Cyberschäden bis eine Million Euro.

Dennoch steht der Verdacht im Raum, dass sich der Versicherer den niedrigen Preis über nachteilige Klauseln erkauft. Der Versicherungsbote hat bei One angefragt, was es mit der Wartezeit auf sich hat. Ein Sprecher antwortete: „Mit der Aufnahme der Geschäftstätigkeit hatten wir zunächst eine Wartezeit vorgesehen. Als junges Unternehmen, das mit günstigen Preisen in den Markt eintritt, wollten wir uns damit gegen das nachweisbar besonders hohe Missbrauchsrisiko bei Direktabschlüssen wappnen.“ Auf welche Studien sich die Behauptung stützt, Online-Kunden würden ihren Versicherer besonders oft "missbrauchen", artikuliert der Sprecher nicht. Das Statement kündet von hohem Misstrauen gegenüber den abschlusswilligen Verbrauchern.

Die Wartezeit sei Bestandteil des Angebots, das jeder Kunde vor Vertragsabschluss erhalte, berichtet der Sprecher weiter. Dem entgegen zeigte ein Recherche des Versicherungsboten auf der Webseite von ONE, dass die Vertragswerke auf der Webseite weder eingesehen noch heruntergeladen werden können. Folglich auch die Bedingungen für die Wartezeit nicht. Zunächst müssen die Kunden Daten wie Name, Wohnort und eine Kontaktadresse angeben, bis ihm überhaupt ein Angebot erstellt wird. Danach wird eine grobe Übersicht über die vereinbarten Leistungen angezeigt. Auch eine Registrierung ist erforderlich. Andere Versicherer sind hier schon weiter: Sie stellen ihre Tarifwerke auf der eigenen Webseite zum Download bereit, auch für Nichtkunden.

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ONE will Wartezeit-Klausel streichen - wann?

Immerhin will ONE nun die Wartezeit streichen. Der Sprecher berichtet: "Die Wartezeit stellt nunmehr, nach einer Auswertung unserer ersten Monate am Markt, bei uns ein Auslaufmodell dar. Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass mit unserer nächsten "Produktgeneration" unsere Hausrat- und Haftpflichtversicherungen endgültig keine Wartezeit mehr vorsehen werden". Wann dies geschehen soll, artikuliert der Versicherer jedoch nicht. Es wäre eine wichtige Info.

..."neue, innovative Formulierungen"

Peter Hawranke übt in seiner Studie weitere Kritik an den Bedingungswerken. So könne den Kunden möglicherweise dadurch ein Nachteil entstehen, dass Online-Versicherer teils im Nicht-EU-Ausland registriert seien. Das erlaubt die Frage, nach welchen Regeln etwa ein Rechtsstreit ausgefochten werde und ob den Kunden hier zusätzliche Hürden entstehen können.

Freilich wird auch ONE von der deutschen BaFin beaufsichtigt, die das Versicherungsgeschäft gestattet hat. Es gelte deutsches Recht, heißt es im Vertrag: "Für Klagen aus dem Versicherungsvertrag gegen uns ist auch das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk Sie zur Zeit der Klageerhebung Ihren Wohnsitz oder, in Ermangelung eines solchen, Ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben".

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lückenhafte Mail-Signatur

Dass die Frage nach dem Sitz des Versicherers nicht ganz so banal ist, zeigt ein weiterer Vorgang, von dem die Studie berichtet. ONE würde beim Kontakt mit den Kunden per Mail auf Pflichtangaben in der Mailsignatur verzichten, berichtet Hawranke. Stattdessen werde lediglich der Mitarbeiter mit Vorname genannt sowie darunter mit „ONE Team“ geantwortet, zum Beispiel bei Fragen zu einer Vertragskündigung. Ein möglicher Verstoß gegen das Handelsgesetzbuch.

Der Hintergrund: Unter anderem müssen bei geschäftlichen Mails der vollständige Name laut Handelsregister und Rechtsform, der Sitz der Gesellschaft und die Handelsregisternummer genannt werden. Von Nachteil für den Kunden können fehlende Infos zum Beispiel sein, wenn er Forderungen gegenüber dem Versicherer geltend machen will oder Ansprechpartner sucht. Sie sollen auch erlauben, die rechtliche Stellung des Absenders zu überprüfen: zum Beispiel, wenn der Kunde den Verdacht hat, es könnte sich um eine betrügerische Spam-Mail handeln.

Mit dem lückenhaften Impressum konfrontiert, habe ONE auf Ihren Sitz in Lichtenstein hingewiesen, und dass somit diese Verpflichtung für die One Versicherung nicht gelten würde, so heißt es in der Studie. Diese Aussage stünde im Widerspruch zu den Vertragsbedingungen. Dort heißt es in Paragraph B 6.4: „Für diesen Versicherungsvertrag gilt deutsches Recht“.

Versprechen auf Webseite und Bedingungswerk teils im Widerspruch

Darüber hinaus hätten ONE und Coya "neue innovative Formulierungen gefunden, bei denen sogar die genutzten Wörter überraschen“, positioniert sich Hawranke. Für den Kunden müsse das nicht von Vorteil sein. Im Gegenteil: manche Formulierungen seien widersprüchlich und missverständlich. “Die Abweichungen von den Webseiten- und Werbeversprechen zum Bedingungswerk und deren tatsächliche Umsetzungen sind gravierend. Diese Werbeaussagen können Kunden zu einem Abschluss unter falschen Vorstellungen verleiten“, kritisiert er. Hier muss man jedoch relativieren, dass die Werbebotschaften auf den Webseiten der etablierten Versicherer auch nicht immer im Einklang mit den tatsächlichen Leistungen stehen: positive Merkmale der Tarife werden in der Regel besonders hervorgehoben.

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Dass dieser Widerspruch auch für das Vertragswerk von ONE gilt, konnte der Versicherungsbote am Bedingungswerk der Haftpflichtversicherung überprüfen, das der Redaktion vorliegt. ONE verspricht auf seiner Webseite, besonders einfach und smart zu sein. Die Versicherungsbedingungen aber sind es bestimmt nicht. Sie sind unübersichtlich, schwer verständlich, voller Klauseln und Fachsprech, Ausschlüsse und Querverweise: wie die Vertragswerke vieler anderer Versicherer auch. Es gibt sogar Anbieter, die mittlerweile eine einfachere Sprache in ihren Verträgen verwenden. Dass der Kunde auf der Webseite geduzt wird und in den Vertragsbedingungen gesiezt, ist da noch das kleinere Problem. Auch die Verträge von ONE sind vor allem eines: hochkomplex und für Laien schwer verständlich.

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