Stellen Sie sich vor, Sie sind seit mehr als 14 Jahren für denselben Versicherer tätig. Sie kassieren pro Jahr mehr als 300.000 Euro. Sie beziehen ein Großteil Ihres Einkommens von diesem einen Versicherer. Kann man da behaupten, dass Sie als unabhängiger Treuhänder tätig sind, der völlig eigenständig Entscheidungen treffen kann?

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Dieses Beispiel ist nicht erfunden. Den Treuhänder gibt es wirklich, tätig ist er für die DKV. Und es ist ebenjenes Beispiel, mit dem die Tageszeitung „Welt“ einen aktuellen Bericht über den sogenannten Treuhänderstreit aufmacht. Dieser Streit beschäftigte nun sogar die Bundesregierung, nachdem Bündnis 90/die Grünen im April eine kleine Anfrage gestellt haben. Und tatsächlich stellt sich nun die Frage, ob das Treuhändersystem nicht dringend auf den Prüfstand muss.

Aktuare sollen Versicherte vor willkürlichen Prämiensprüngen schützen

Zum Hintergrund: Die privaten Krankenversicherer lassen sich bei ihrer Tarifkalkulation ungern in die Karten schauen. Aus Wettbewerbsgründen, so betonen sie: Die Konkurrenz soll nicht erfahren, wie die Tarife berechnet werden und wie sich der Bestand zusammensetzt.

Folglich hat aber auch der Kunde wenig Einblick, wie sich sein Tarif errechnet. Die Tarifkalkulation ist oft ein gut gehütetes Geheimnis. Eine Erfahrung, die auch der Versicherungsbote mehrfach machen musste. Selbst wenn die Versicherer mit konkreten Zahlen und Dokumenten konfrontiert werden, etwa mit Kundenanschreiben aus Vermittlerkreisen, kommentieren sie diese in der Regel nicht.

Aus diesem Grund sind die privaten Krankenversicherer seit mehr als 20 Jahren verpflichtet, unabhängige Treuhänder einzusetzen. Sie sollen die Versicherungsnehmer vor willkürlichen Prämiensprüngen schützen. Und prüfen, ob es tatsächlich rechtens ist, die Beiträge in einem Tarif anzuheben. Hierfür müssen sogenannte auslösende Faktoren nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) nachgewiesen werden. Nur in zwei Fällen dürfen die Versicherer an der Preisschraube drehen. Erstens: Die Ausgaben übersteigen die einkalkulierten Kosten um mindestens zehn Prozent. Und zweitens: Wenn die Versicherten älter werden als erwartet, denn dann erzeugen sie im Schnitt höhere Kosten.

Ganze 16 Aktuare entscheiden

Für die Versicherten ist es also wichtig, dass die Aktuare tatsächlich unabhängig die Prämiensprünge prüfen. Wenn sich die Treuhänder als befangen erweisen, sind die Teuerungen nichtig. Das haben mehrere Urteile in unteren Instanzen bestätigt - unter anderem bei besagtem DKV-Treuhänder. Das Landgericht Frankfurt/Oder erklärte demnach eine Prämienanhebung des Versicherers für unwirksam, weil es den Treuhänder für nicht unabhängig hielt (der Versicherungsbote berichtete). Doch ein rechtskräftiges Urteil steht derzeit noch aus (Az.: 14 O 203/16).

Die Zahlen, die nun die Bundesregierung präsentiert, lassen aufhorchen. Zwar wurden in den Jahren von 2008 bis 2017 insgesamt 46 Treuhänder für die private Krankenversicherung neu zugelassen. Aber ganze 16 Treuhänder sind derzeit für die PKV-Anbieter tätig: für alle Anbieter. Diese 16 Aktuare entscheiden demnach über alle Prämienanhebungen der Branche. Sie sind im Schnitt für drei Versicherungen tätig.

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Dabei drängt sich der Verdacht auf, dass die Treuhänder die Prämienanhebungen der Versicherer einfach durchwinken. In den 20 Jahren hätten sie über alle Sparten hinweg nur einer einzigen Prämienanpassung nicht zugestimmt, berichtet „Welt Online“. 66mal hätten Treuhänder Preissteigerungen geprüft, auch in Sparten wie der Lebens- und Rentenversicherung. Bei den Krankenversicherern seien insgesamt 46 Prüfungen erfolgt - alle auf Aktenbasis.

Prüft die BaFin ausreichend?

Kritische Fragen muss sich nun auch die BaFin gefallen lassen. Sie soll überwachen, dass die Treuhänder tatsächlich unabhängig agieren. Das prüft sie allerdings nicht etwa daran, wie viel der Versicherer für seine Dienste bezahlt, berichtet die „Welt“ mit Bezug auf die Antwort der Bundesregierung. Oder daran, ob er gar sein gesamtes Einkommen von einem Anbieter bezieht. Die Finanzaufsicht prüft stattdessen zum Beispiel, ob der Treuhänder mit einem Vorstand aus dem Unternehmen verwandt ist oder ob er selbst einen Versicherungsvertrag beim Anbieter hat.

Für die Grünen im Bundestag ist das schlichtweg ein Witz. „Die BaFin ist eine Aufsichtsbehörde, die für die Wahrung der Belange der Versicherten und nicht, wie man manchmal denken könnte, allein der Versicherer tätig ist“, sagte Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen, gegenüber „Welt Online“. Die Bundesregierung müsse dafür sorgen, das die BaFin endlich genauer hinsehe.

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Was genau bedeutet unabhängig?

Die zentrale Frage bleibt: Kann ein Treuhänder als unabhängig gelten, der hunderttausende Euro Jahreseinkommen von wenigen Versicherern erhält? Schlimmer noch: der vielleicht sogar sein gesamtes Einkommen von einem einzigen Versicherer bezieht? Weil viele Patienten dies als absurd empfinden, haben sie gegen PKV-Prämienanstiege der letzten Jahre geklagt. Vor deutschen Gerichten sind mehrere Verfahren anhängig.

Und die Branche hat viel zu verlieren. Es geht um eine jahrelang übliche Praxis, wie nun auch die Antwort der Bundesregierung zeigt: wenige Aktuare teilen sich diese wichtige Arbeit, werden dabei mit enorm hohen Summen vergütet. Große Versicherer wie die Allianz, Axa und eben die DKV sind in derartige Rechtsstreite verwickelt. Sie müssten bei einer Niederlage Prämienanstiege der letzten Jahre zurücknehmen und Teile der Beiträge an die Kunden zurückzahlen. Es geht um Millionen, wenn nicht gar um Milliarden Euro. Die Sache hat eine enorme Brisanz.

Dabei ist auch die Frage, welche Regel überhaupt angewendet werden muss, um die Unabhängigkeit der Treuhänder zu beurteilen. Als erster Versicherer unterlag die Axa vor dem Amtsgericht Potsdam im Treuhänderstreit. Die Richter hatten den Treuhänder für befangen erklärt, weil er mehr als 30 Prozent seines Einkommens von der Axa bezog, mindestens 150.000 Euro im Jahr (der Versicherungsbote berichtete). Allerdings berief sich das Gericht auf eine Regelung, die für Wirtschaftsprüfer gilt - und nicht für PKV-Treuhänder? Genau das ist die Frage. Die Versicherer argumentieren, für die Unabhängigkeit sei es gar nicht entscheidend, wie viel Geld der Treuhänder von einer Assekuranz erhält. Wichtig sei allein, dass die BaFin diese Tätigkeit gestattet habe.

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Die BaFin ist vor einem Jahr recht schnell den Versicherern beigesprungen und argumentierte, dass die Treuhänder aus ihrer Sicht unabhängig seien (der Versicherungsbote berichtete). Schließlich prüfe man ja selbst streng, dass alles seine Richtigkeit habe. Nun gerät die Behörde wegen ihrer vermeintlich laxen Kontrolle selbst ins Schussfeld. Das letzte Wort könnte der Bundesgerichtshof haben. Dieser wird vermutlich noch bis Ende des Jahres entscheiden.

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