Der sogenannte Treuhänderstreit in der privaten Krankenversicherung nimmt immer größere Dimensionen an. Knut Pilz, Rechtsanwalt für Versicherungsrecht aus Berlin, hat nun auch die Allianz und die Signal Iduna verklagt, so berichtet das Handelsblatt am Montag. Damit sind zwei weitere Branchenriesen in das Visier der Justiz geraten. Ebenfalls vor Gericht rechtfertigen musste sich laut dem Verbraucheranwalt die DKV - und hat in erster Instanz bereits eine Niederlage erlitten.

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Die Allianz Kranken wollte zu den Vorwürfen aktuell keine Stellung beziehen, da ihr die Anklageschrift noch nicht vorliege. Allerdings betonte eine Sprecherin gegenüber procontra Online, dass sich der Versicherer bei der Wahl der Treuhänder an die gesetzlichen Vorgabe halte. Auch die Signal Iduna wies die Vorwürfe zurück: Erst 2013 habe die BaFin die Unabhängigkeit der Aktuare geprüft.

Zweifel an Unabhängigkeit der Treuhänder

Konkret geht es um die Frage, ob die von den Versicherern beauftragten Treuhänder unabhängig urteilten, als sie Prämienerhöhungen in der privaten Krankenversicherung empfahlen. War das nicht der Fall, hätten die Gesellschaften ihre Prämien nicht anheben dürfen. Kann den Treuhändern eine Befangenheit nachgewiesen werden, gelten die Prämienanstiege als unwirksam.

Ausgangspunkt des Rechtsstreits war ein Urteil des Landgerichtes Potsdam, das in der Branche für blankes Entsetzen sorgte. Die Richter hatten im Oktober 2016 einen Treuhänder der Axa für befangen erklärt, weil er mehr als 30 Prozent seiner Vergütung von dem Versicherer erhielt (Az.: 29 C 122/16). Doch ein Urteil in letzter Instanz ist noch nicht gefallen - aktuell prüft der Bundesgerichtshof (BGH) den Fall. Mit einem Richterspruch aus Karlsruhe wird im Herbst gerechnet.

Dabei geht es auch um die Frage, welche Vorschrift überhaupt anzuwenden ist, damit Treuhänder als unabhängig gelten. Das Landgericht Potsdam hatte sich auf eine Regelung für Wirtschaftsprüfer bezogen, die eben diese 30-Prozent-Grenze vorschreibt (§319 Absatz 3 Nr. 5 HGB). Die Versicherer argumentieren, dieses Gesetz sei auf die Treuhänder der Assekuranz gar nicht anzuwenden - entscheidend sei allein, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Unbefangenheit des Treuhänders bestätigt habe. Wie viel der Versicherer an den Treuhänder zahlt, sei letztendlich egal.

Niederlage für DKV - 150.000 Euro pro Jahr und nicht befangen?

Dass die Branche hierbei schnell unter Rechtfertigungsdruck geraten kann, zeigt das Beispiel DKV. Das Landgericht Frankfurt an der Oder hat die Prämienerhöhungen des Unternehmens mit einem aktuellen Urteil für unwirksam erklärt - eben, weil der Treuhänder befangen gewesen sei. Dennoch beruft sich der Versicherer weiter auf dessen Unabhängigkeit. Auch hier ist das Urteil nicht rechtskräftig (Az.: 14 O 203/16).

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Verbraucheranwalt Knut Pilz berichtet nun dem Handelsblatt, was die DKV unter „unabhängig“ versteht. Nicht nur habe der Versicherer dem Treuhänder über mehrere Jahre hinweg 150.000 Euro pro Jahr als Vergütung ausgezahlt. Darüber hinaus habe der Aktuar weitere Aufträge für die DKV erfüllt, als er noch für einen anderen Versicherer tätig gewesen sei. Kann bei diesen enormen Summen wirklich ein Treuhänder als unbefangen gelten?

..."gleich mehrere Unwirksamkeitsgründe"

„Das Gericht geht in dem von uns erstrittenen Urteil also gleich von mehreren Unwirksamkeitsgründen für die Prämienerhöhungen aus“, sagt Pilz dem „Handelsblatt“. Der Verbraucheranwalt rät nun allen Kunden der DKV, die von Prämienerhöhungen zwischen 2015 und 2017 betroffen waren, zu klagen, damit die Ansprüche nicht verjähren. Und er verweist auf die enorme Tragweite des Urteils. Nicht nur könnten Versicherte unter Umständen durchsetzen, dass sie aktuell niedrigere Prämien zahlen. Im schlimmsten Fall müsse der Versicherer das Beitragsplus der letzten zehn Jahre zurückerstatten.

Die Branche aber wehrt sich. So betont nun auch die DKV gegenüber dem "Handelsblatt" in einer ersten Reaktion auf das Urteil, dass ihr Treuhänder unabhängig agiere. Das wolle man auch in den folgenden Gerichtsinstanzen vertreten. Grundsätzlich meldete der Versicherer Zweifel an, dass ein Zivilgericht überhaupt befugt sei, in dieser Sache zu urteilen. Das falle in die Zuständigkeit der Finanzaufsicht BaFin, argumentierte ein DKV-Sprecher.

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BaFin unterstützt Interpretation der Versicherer

Tatsächlich hat die deutsche Finanzaufsicht bisher die Argumentation der Versicherer gestützt. Es bestehe zwar laut Handelsgesetzbuch (HGB) eine Spezialvorschrift für Wirtschaftsprüfer, berichtete die BaFin in ihrem Journal 07/2017. Diese dürfen eine Kapitalgesellschaft nicht prüfen, wenn sie in den vorangegangenen fünf Jahren mehr als 30 Prozent aller Einnahmen von dieser Gesellschaft bezogen. Aber diese Vorschrift sei auf die Versicherer gar nicht anzuwenden.

Für die Treuhänder eines Krankenversicherers sei allein das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) relevant, argumentiert die Bafin. Hier gelten andere Regeln, „denn das VVG benennt keinerlei konkretisierende Voraussetzungen für die Unabhängigkeit des Treuhänders, der einer Beitragsanpassung zustimmen muss“, heißt es im BaFin-Journal. Nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden.

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