Wolfgang Weiler, Präsident beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), hat bei einem Vortrag betont, dass die deutsche Versicherungswirtschaft auf ein starkes Europa setze. So begrüße die Branche „ausdrücklich, dass im Koalitionsvertrag ein starkes Bekenntnis zu Europa vorgesehen ist“. Dass der gemeinsame europäische Markt gestärkt werde, sei für die Versicherungswirtschaft wichtig und auch aufgrund des Brexits „nicht hoch genug einzuschätzen“, sagte Weiler beim 18. Vorlesungstag des Institutes für Versicherungswissenschaften an der Universität Leipzig.

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Fehlende Abstimmung zwischen Brüssel und nationalen Behörden

Weiler kritisierte jedoch die fehlende Abstimmung zwischen europäischen und nationalen Aufsichtsbehörden bei der Markt- und Versicherungsaufsicht. Ein starkes Europa sei aus Sicht der Versicherungswirtschaft auch eins, „das nicht alles und jedes und auf jeder Ebene doppelt regeln will“. Benötigt werde „eine klare Aufgabenteilung zwischen Brüssel einerseits und Nationalstaaten mit Regionalkompetenzen auf der anderen Seite, damit hier klare Verhältnisse herrschen".

Die Europäische Union (EU) würde bei dem Ziel, die europäischen Markt krisenfester zu machen, mit immer neuen und kleinlicheren Vorschriften reagieren, kritisierte der Verbandsvorstand. Als Beispiel nannte er die aktuellen Plänen der EU-Kommission für eine Wirtschafts- und Währungsunion.

In der Ordnung des europäischen Hauses mangle es jedoch nicht an Regeln. „Das viel größere Problem ist doch, dass die gemeinsam vereinbarten Regeln nicht eingehalten werden“, gibt der GDV-Chef zu bedenken. Es sei aus seiner Sicht nicht der richtige Weg, „einerseits auf jeder regulatorischen Ebene immer detaillierte Regeln zu erlassen und andererseits auf höheren Ebenen Stabilitätskriterien zu verwässern, Strukturreformen zu verschleppen oder gar Schulden über die Einrichtung eines europäischen Währungsfonds zu vergemeinschaften“.

Viele Versicherer beklagen hohen Aufwand bei Solvency II

Wie sich das Kleinklein der regulatorischen Vorschriften auf die deutsche Versicherungswirtschaft auswirkt, verdeutlichte Weiler an den drei Säulen des Aufsichtsregimes Solvency II, welches seit zwei Jahren gilt. Eine interne GDV-Umfrage habe ergeben, dass 94 Prozent der deutschen Versicherer einen „unverhältnismäßig hohen Aufwand“ bei der dritten Säule des neuen Regelwerks beklage, "das sind beinahe alle". Demnach sind die Versicherer verpflichtet, regelmäßig sowohl den Aufsichtsbehörden als auch der Öffentlichkeit Berichte vorzulegen, die Aufschluss über ihre Stabilität geben.

Bis zu 330.000 Datensätze frage allein die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) regelmäßig von den Versicherern ab, berichtet der GDV-Chef. Ob der Aufwand lohnt, sei jedoch fraglich. Zum einen würden viele Daten doppelt und dreifach eingefordert: So müssten die Versicherer der Finanzaufsicht etwa einen Bericht für ihr drittes Quartal vorlegen, wenig später einen für ihre Jahresbilanz. Zum anderen würden viele Datensätze allein zu statistischen Zwecken erhoben und nicht zum Zwecke der Finanzaufsicht. Viele Abfragen seien schlicht redundant.

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Der regulatorische Übereifer des Gesetzgebers führe auch dazu, dass die Berichte ein wichtiges Ziel verfehlen: Transparenz gegenüber dem Verbraucher zu stiften. So müssen die Versicherer sogenannte Berichte über Solvabilität und Finanzlage (SFCR) vorlegen, die an die Öffentlichkeit adressiert sind. Sie haben unter anderem die Funktion, potentielle Kunden zu informieren, wie die stabil die Versicherer dastehen. Doch die Berichte seien zu umfangreich und komplex. „Was nützt ein SFCR-Bericht für die Öffentlichkeit, den schon wegen des Umfangs keiner liest?“, kritisierte Weiler.

Proportionalitätsprinzip mangelhaft - kleine und mittelständische Unternehmen belastet

Besonders kritisch äußerte sich Wolfgang Weiler zur Umsetzung des Proportionalitätsprinzips bei Solvency II. Dieses soll stark vereinfacht dafür sorgen, dass kleineren Versicherern kein unverhältnismäßig großer Aufwand durch die Versicherungsaufsicht entsteht. Sie können Erleichterungen erhalten, wenn die Berichts- und Aufsichtsregeln ihre Ressourcen überlasten.

Aber 88 Prozent der Versicherer halten laut GDV-Umfrage die Umsetzung der Proportionalität für mangelhaft, berichtet Weiler. Speziell kleinere und mittelständische Versicherer seien mit den hohen Fixkosten überfordert, die durch Solvency II und den damit verbundenen bürokratischen Aufwand entstünden. Hier herrsche bei der BaFin ein Checklisten-Denken vor, auf Erleichterungen könnten die Versicherer kaum hoffen.

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Weiler appelliert an den Finanzausschuss des Bundestages, der die Proportionalität in Kürze evaluieren wird, Reformen anzustoßen. Gerade die deutsche Versicherungslandschaft sei geprägt von einer Vielfalt kleiner und mittelständischer Versicherer, die den Markt bereichern würden. "Diese Vielfalt sollte erhalten bleiben", sagte Weiler.

"Dummerweise bezahlen das alles die Kunden"

Für völlig unrealistisch hält Weiler Schätzungen durch den Normenkontrollrat der Bundesregierung, wonach das IDD-Gesetz die deutschen Versicherer 479 Millionen Euro pro Jahr kosten würde. Hier seien die erwarteten Kosten deutlich höher. Die Versicherer müssten die Mehrkosten auf die Beiträge draufpacken. "Dummerweise bezahlen das im Endeffekt alles die Kunden", kritisiert Weiler. Das sei eine Erkenntnis, die man ab und zu wiederholen müsste.

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