Versicherungsbote: Herr Gorr, Sie kritisieren bereits seit längerem die unklaren und unverbindlichen AVBs in der Berufsunfähigkeitsversicherung und haben dies vor kurzem mit einer Erhebung aus Ihrem Haus belegt (Versicherungsbote berichtete). Wie schätzen Sie die Ergebnisse der Vermittler-Umfrage ein?

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Claus-Dieter Gorr: Zunächst einmal haben die Ergebnisse eine hohe Aussagekraft, denn es haben sich 188 Vermittler beteiligt. Diese arbeiten hochprofessionell und weisen überdurchschnittliche BU-Bestands- und Neugeschäftszahlen auf. Die Ergebnisse zeigen klar den großen Handlungsbedarf bei Produktgestaltung und Vermarktungsstrategien.

Rund 80 Prozent der Befragten monieren die Transparenz und Verständlichkeit in den AVBs, rund 75 % die fehlende Transparenz und Plausibilität im Leistungsverhalten der Versicherer. Haben Sie mit diesem recht eindeutigen Ergebnis gerechnet?

Ja. Das Produkt BU wird hier inzwischen nicht ohne Grund auch anderweitig sehr kritisch gesehen. Professionelle BU-Vermittler lesen die AVB intensiv. Sie erkennen an deren Formulierungen sehr schnell die Unverbindlichkeit und Unbestimmtheit der Leistungsbeschreibungen. Das führt dazu, dass sie in der Beratung bei nachfragenden Kunden verstärkt auf eigene Interpretationen des Leistungsumfangs setzen müssen. Dadurch entstehen hohe Haftungsrisiken, die keiner gern eingeht. Hinzu kommen die Erfahrungen mit den unternehmensindividuellen Auslegungen der unverbindlichen Formulierungen im Leistungsfall.

Welche Konsequenzen sollten die Versicherer daraus ziehen?

Die Vertragsbedingungen der BU-Produkte oder vergleichbarer neuer Produkte sollten bei der Beschreibung des versicherten Risikos und der Leistungsvoraussetzungen neu justiert werden. Es muss deutlich verbindlicher und verständlicher formuliert werden. In der aktuellen Produktwelt sollten sich insbesondere die leistungsstarken Versicherer fragen: Ist das attestierte intransparente unternehmensindividuelle Leistungsverhalten noch zeitgemäß? Konterkariert es nicht gute Leistungskennziffern? Meiner Meinung nach sollte aktiv wenigstens das aktuelle Leistungsverhalten zum Nutzen von Kunden und Vermittlern transparent gemacht werden.

Bei der Produktauswahl treffen die meisten Vermittler ihre Entscheidung aufgrund der AVBs, der Annahmepolitik. Wie ist die Selektion der Tarife zu bewerten?

Ja, wir haben endlich einen klaren Trend zur Qualität. Wenn 60 % der Befragten die AVB als das entscheidende Auswahlkriterium angeben, also genau das, was für Kunden im Zweifel auch einklagbar wäre, dann sind wir auf einem guten Weg. Es ist für die Seriosität und das Image unserer Branche eminent wichtig, in dieser Richtung weiterzugehen. Bunte Bilder, flotte Sprüche, Plüschtiere oder auch Schokoladenstücke, die Vermittlern auf einer kürzlich durchgeführten BU-Roadshow für die richtige Antwort auf lapidare Fragen gereicht wurden, verlieren hoffentlich weiter an Wirkung auf die Produktauswahl – ebenso wie ausufernde Courtagesätze.

Welche Rolle spielen ihrer Meinung nach Ratings und Siegel?

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Versicherer sprechen immer gerne davon, dass der Vertrieb Siegel verlange. Diese Zeiten sind nach unseren Umfrageergebnissen definitiv vorbei. Danach spielen Ratings und Siegel bei der Produktauswahl für Vermittler kaum eine Rolle. Auf dem VorsorgeFachForum 2017 in Frankfurt war das Ergebnis von rund 250 spontan und live befragten Vermittlern noch deutlicher: Nur für einen einzigen Vermittler war die Bewertung der etablierten Ratinghäuser wichtig. Ein einziger. Ratings und Siegel können nur dann eine Relevanz haben, wenn die Bewertungskriterien detailliert und transparent für jedermann verständlich nachvollziehbar sind. Das ist aktuell meist nicht der Fall. Insofern wird sich dieses Thema in der nächsten Zeit von selbst erledigen. Wie bereits gesagt: Die leistungsstarken Versicherer sollten ihre Kennzahlen selbst transparent kommunizieren. Das spart zudem noch erhebliche Marketingbudgets.

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