Im Rechtsstreit um die mögliche Befangenheit eines Treuhänders muss die Axa Krankenversicherung weiter zittern. Das Landgericht Berlin verschob überraschend eine Urteilsverkündung, die für Mittwoch letzter Woche geplant war, um dem Versicherer eine weitere Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben. Das berichtet das Handelsblatt und beruft sich auf eine Sprecherin am Landgericht Berlin. Hintergrund ist die Frage, ob die vom Treuhänder empfohlenen Beitragserhöhungen, die die Axa in den letzten Jahren vorgenommen hat, unwirksam sind. Das Urteil wird nun für Herbst erwartet.

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Entschied der Treuhänder unabhängig?

Ein Blick zurück: Im Oktober 2016 hatte das Amtsgericht Potsdam (AG) Beitragserhöhungen der Axa aus den Jahren 2012 und 2013 für unwirksam erklärt und das Unternehmen verpflichtet, einem Versicherten 1.100 Euro zurückzuzahlen. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der Treuhänder (der Versicherungsbote berichtete).

Getreu dem Versicherungsrecht prüft die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nicht selbst die Prämienerhöhung eines privaten Krankenversicherers. Dies überlässt sich geprüften Treuhändern, die unabhängig entscheiden sollen. Die Potsdamer Richter sprachen dem Treuhänder jedoch seine Unabhängigkeit ab, weil er mehr 30 Prozent seiner Vergütung direkt von der Axa erhielt. Der mittlerweile verstorbene Mann hatte mehr als zehn Jahre lang die Prämienanpassungen des Versicherers betreut.

Schwierige Rechtslage

Das Urteil des Landgerichtes Potsdam ist noch nicht wirksam, denn der Versicherer legte Widerspruch ein. Vor dem Landgericht Berlin sollte nun ein ähnlicher Fall verhandelt werden: Hier geht es um Prämienerhöhungen aus den Jahren 2012, 2015 und 2016.

Die Rechtslage ist verzwickt. Denn die von den Richtern beschworene Grenze von 30 Prozent findet sich nicht im Versicherungsrecht, sondern lediglich im Handelsgesetzbuch: Wirtschaftsprüfer dürfen den Jahresabschluss eines Konzerns nicht testieren, wenn sie in den letzten fünf Jahren mehr als dreißig Prozent aller Einnahmen von der zu prüfenden Gesellschaft bezogen haben.

Die Potsdamer Richter stellten zwar fest, dass es solch eine starre Grenze für die PKV-Treuhänder nicht gibt. "Zu beachten ist aber, dass die Beeinflussbarkeit eines abhängigen Treuhänders mit dem Grad seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit steigt", urteilten sie (Az: 29 C 122/16). Sie hielten den Axa-Treuhänder für befangen, weil er zur Bestreitung seines Lebensunterhalts auf die Zahlungen des Versicherers angewiesen gewesen sei.

Die Axa rechnete sich dennoch gute Chancen aus, den Berliner Rechtsstreit für sich zu entscheiden. Und beruft sich in einer aktuellen Pressemeldung auf die BaFin: „Die BaFin bestätigt ausdrücklich die Auffassung der Axa, dass es bezüglich der Unabhängigkeit des mathematischen Treuhänders keine Regelungslücke gibt“, heiß es in dem Statement. „Tatsächlich ist die Unabhängigkeit des Treuhänders im § 157 VAG abschließend geregelt“. Die BaFin habe geprüft, ob der Treuhänder unabhängig entscheide.

Es droht jahrelange Ungewissheit in rechtlichen Fragen

Doch so eindeutig, wie die Axa die Situation einschätzt, scheint sie nicht zu sein. Verbraucheranwalt Knut Pilz von der Kanzlei Pilz, Wesser & Partner sieht mit der Verschiebung des Urteils die Chancen seines Mandanten wachsen, ein Teil der Prämien zurückzuerhalten.

„Die Richter haben in ihren Ausführungen bereits deutlich gemacht, dass sie Bedenken haben, ob die Beitragserhöhungen formell wirksam waren und der Treuhänder unabhängig“, sagte Pilz dem Handelsblatt. Eine weitere Stellungnahme hole ein Richter normalerweise ein, wenn es Zweifel am Dargelegten gebe.

Für die Branche und die Versicherten droht eine jahrelange Zitterpartie. Denn sowohl das Urteil in Potsdam als auch die Berliner Urteile werden durch alle Instanzen durchgefochten, unabhängig, wie das Landgericht Berlin befindet. Das haben sowohl Versicherer als auch Kläger deutlich gemacht. Damit kann es zu einer jahrelangen Unsicherheit bei den Prämienerhöhungen in der PKV kommen.

Auch andere Versicherer betroffen

Nicht nur die Axa zittert. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, betrifft der Rechtsstreit auch weitere Versicherer. Denn auch andere Assekuranzen vergüten die Treuhänder, welche über das Prämienplus entscheiden, zum Teil selbst. Es droht eine Klagewelle: Schon jetzt betreut die Kanzlei von Rechtsanwalt Pilz hunderte ähnliche Fälle, unter anderem gegen die Ergo. Auf die Branche könnten Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe zukommen, wenn der Richterspruch aus Potsdam Bestand hat.

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Der Imageschaden ist jetzt schon da. Denn die Medien haben ausführlich über die vermeintliche Befangenheit des Axa-Treuhänders berichtet, unter anderem Spiegel Online, FAZ und Focus. Medien, die eine große Reichweite haben. Die Botschaft bleibt: Jene Treuhänder, die unabhängig über Prämienerhöhungen in der PKV entscheiden sollen, erhalten einen großen Teil ihres Einkommens direkt von ebenjenen Versicherern.

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