Die Deutsche Krankenversicherung (DKV) muss im sogenannten Treuhänderstreit erneut eine Schlappe wegstecken. Das Landgericht Koblenz entschied, dass der Versicherer die Prämien eines Kunden unzulässig angehoben habe. Der Treuhänder, der über diese Prämienanpassung entschieden habe, sei befangen gewesen und nicht unabhängig. Das berichtet die Wirtschaftszeitung „Euro am Sonntag“ in ihrer Ausgabe vom 23. Juni und beruft sich auf eine Gerichtssprecherin. Die DKV ist seit 1998 eine Tochter der Ergo Gruppe.

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Serie von Niederlagen vor Gericht

Für die privaten Krankenversicherer wird die Luft im Treuhänderstreit damit immer dünner. Es ist bereits die dritte Niederlage der DKV vor Gericht, berichtet Kläger-Anwalt Knut Pilz laut dem Wirtschaftsmagazin. Die Axa habe in derselben Sache bereits 15 bis 20 Niederlagen einstecken müssen. Rechtskräftig sind die Urteile aber bisher nicht, denn die Versicherer gehen stets in Berufung. Das letzte Wort könnte der Bundesgerichtshof haben: Dort wird aktuell ein Rechtsstreit mit der Axa verhandelt. Ein Urteil wird noch in diesem Jahr erwartet.

Konkret geht es um die Frage, ob die Treuhänder, welche Prämienanpassungen der Privatversicherer prüfen, dies tatsächlich unabhängig tun. Seit 1994 sind die Versicherer verpflichtet, ihre Prämienanhebungen von unabhängigen Aktuaren prüfen zu lassen. Sie sollen die Versicherten vor willkürlichen Beitragssprüngen schützen. Anheben dürfen die Versicherer die Prämien nur in zwei Fällen: wenn die Ausgaben die einkalkulierten Kosten um mindestens zehn Prozent übersteigen. Und wenn die Lebenserwartung der Versicherten stärker steigt als kalkuliert, weil dann im Schnitt auch die Gesundheitskosten steigen.

Was „unabhängig“ aus Sicht der Versicherer bedeutet, zeigen Recherchen von „Die Welt“. Der DKV-Treuhänder soll laut Schätzungen mehr als 300.000 Euro pro Jahr vom Düsseldorfer Versicherer erhalten und seit 14 Jahren für den Konzern tätig sein. Er bezieht einen Großteil seines Einkommens aus dieser Tätigkeit, ist also durchaus darauf angewiesen. Kann man da wirklich von „unabhängig“ sprechen?

Was gilt als unabhängig?

Vor Gericht geht es dabei vor allem um die Frage, welche Regel anzuwenden ist, um die Unabhängigkeit zu beurteilen. Die Richter berufen sich auf eine Klausel für Wirtschaftsprüfer, wonach dieser als befangen gilt, wenn er mehr als 30 Prozent seines Einkommens in fünf Jahren von einem Konzern bezieht. Dann ist ihm schlicht verboten, diese Firma zu prüfen - so sieht es § 319 Absatz 3 Nr. 5 des Handelsgesetzbuches vor. Die Wirtschaftsprüfungskammer kann aber bei Härtefällen Ausnahmegenehmigungen erteilen.

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Diese Regel sei für Versicherer aber gar nicht anzuwenden, argumentiert die PKV-Branche. Entscheidend sei allein, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Unabhängigkeit geprüft habe. Die Finanzaufsicht stützt diese Interpretation und springt den Versicherern argumentativ zur Seite. Im BaFin-Skandal 07/2017 argumentierte die Behörde demnach, dass die Treuhänder unabhängig seien (der Versicherungsbote berichtete).

BaFin-Praxis gerät selbst in die Kritik

Doch ausgerechnet die BaFin ist im Treuhänder-Streit nun selbst in die Schusslinie der Kritik geraten und muss sich vorwerfen lassen, sie schaue den Anbietern nicht streng genug auf die Finger. Nachdem die Grünen im Bundestag angefragt hatten, musste die Bundesregierung Fakten zu den Treuhändern der privaten Krankenversicherung auf den Tisch legen. Und die haben es in sich:

Ganze 16 Aktuare wachen in Deutschland darüber, wie die 48 PKV-Anbieter ihre Prämien anpassen. Im Schnitt sind sie für drei Unternehmen tätig. Und in all den Jahren, in denen die Aktuare nun über Prämiensprünge wachen, haben sie nur ein einziges Mal mit dem Daumen nach unten gezeigt und eine Korrektur verlangt (der Versicherungsbote berichtete).

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Das läßt die Frage laut werden, ob die BaFin tatsächlich sorgsam genug über die Unabhängigkeit der Treuhänder wacht. So prüfe die Finanzaufsicht gar nicht, wie viel der Treuhänder von einem einzigen Versicherer für seine Dienste erhalte, berichtet die „Welt“ mit Bezug auf Bundesregierung. Sie prüfe auch nicht, wie hoch der Anteil am Gesamteinkommen sei. Für die Grünen im Bundestag ist das ein Beleg, dass die jetzige Aufsichtspraxis nicht funktioniert. „Die BaFin ist eine Aufsichtsbehörde, die für die Wahrung der Belange der Versicherten und nicht, wie man manchmal denken könnte, allein der Versicherer tätig ist“, kritisierte Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen, gegenüber „Welt Online“. Er verlangt notfalls Korrekturen vom Gesetzgeber.

Für die Versicherer geht es um viel: um sehr viel sogar. Ein Großteil der Prämienanpassungen seit 1994 steht zur Disposition, wenn man in Karlsruhe vor dem Bundesgerichtshof unterliegen sollte, abhängig vom Einzelfall. Millionen, wenn nicht gar Milliarden an Prämieneinnahmen müssten im schlimmsten Fall erstattet werden.

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