Beim Start des Portals fällt auf, dass dieses gar keinen Namen hat, etwa das Wort „Produkt-Navigator“, wie es in der Pressemeldung der Gothaer steht. Das ist in der perfektionierten Marketing- und Kommunikationswelt schon selten anzutreffen, eine Webseite oder neudeutsch Landingpage ohne Namen beziehungsweise Überschrift. Stattdessen präsentieren sich am Kopf der unbetitelten Webseite (inzwischen gelöscht/gespeicherte Ansicht) drei sich grafisch gegenseitig eher störende Logos; das der Gothaer als Unterstützer des Ganzen und Seitenbetreiber laut Impressum sowie der Mitwirkenden.

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Für Kunden oder Vermittler?

Mitwirkend seien ferner die Michaelis Rechtsanwälte, Hamburg, und das Bildungsinstitut „Going Public“, Berlin, dessen Webseite zurzeit mit „§34i: ,Urlaubsführerschein’“ wirbt – also einem Führerschein für den Urlaub? Das fragt oder sagt sich der Leser dort. Oder es ist zu hoffen, dass der Going-Public-Besucher juristisch fit ist und den §34i auch zutreffend der - wohl gemeinten Gewerbeordnung - zuordnet.

Zurück zum „Produkt-Navigator“ und dem Ratespiel mit der Frage, wer denn nun Adressat dieses Werkzeugs ist. Der Text der Webseite des Navigators richtet sich an „Vertriebspartner“. Wessen Partner gemeint sind? Wahrscheinlich die der Gothaer. Klar wird es dem Besucher der Seite nicht richtig. Dort steht außerdem zu lesen, "das Angebot an Lösungen am Markt scheint heute unendlich“. Welches Angebot und welche Lösungen dort gemeint sind, darüber fühlt sich der Leser zunächst im Unklaren. Eigentlich lautet eine Grundregel der Kommunikation: Vom Bekannten zum Unbekannten. Hierfür ist das Bekannte voranzustellen. Hier Fehlanzeige.

Schwierige Orientierung

In der Menüleiste der Webseite wird deren thematischer Gegenstand dem Leser etwas klarer, wenn er die Menüleiste mit seinen Augen abarbeitet, also falls er ein analytischer Leser ist. Meint „Lösungen“ verschiedene Produktgattungen oder verschiedene Anbieter? Der Folgetext lautet: „Für die Kundenrisiken gibt es eine Vielzahl von Absicherungsmöglichkeiten.“ Welche Risiken das sind, das versucht der User durch runterscrollen herauszufinden. Bis hierher fällt dem User die Orientierung schwer. Irgendwann landet der User beim „Produktnavigator Alterssicherung“. Klick auf „Analyse starten“:

Dort wird plötzlich - weil erstmals - der Kunde angesprochen: „Finden Sie eine Berufsunfähigkeits-Versicherung sinnvoll?“ – „Keine Ahnung“, wird der Kunde, der ja in Versicherungssparten nicht geschult ist, denken oder sagen. Dennoch sagt der Laie „Ja“ und wird hernach gefragt, ob er „berufstypische... Risiken“ habe. Versucht das Versuchskaninchen vor dem Bildschirm nun wieder die Antwort „ja“, dann stellt der Navigator ihn vor die Frage samt Feststellung zweier negativer Alternativen (ob die einem potenziellen Kunden Mut machen?):

  • „a. Sie müssen Risikozuschläge zahlen. Ist der Beitrag damit noch akzeptabel?“ oder
  • „b. Ein Versicherungsschutz wird aufgrund von Risiken ausgeschlossen“

Die angebotenen Alternativen a. und b. sind zwei Mal keine guten Aussichten für das scheue Reh, genannt Interessent. Zu a. kennt der Interessent weder Beitrag für eine Berufsunfähigkeits-Police (BU), noch den angedrohten Zuschlag. Kostet (m)eine BU-Police 50 Euro oder 250 Euro? Das könnte sich der Mensch vor dem Bildschirm fragen. Und der Zuschlag? Der macht ja wohl alles noch schlimmer, oder? So oder so ähnliche Botschaften könnten nun in Hirn und Herz des Nicht-Kunden entstehen.

Verunsicherung: ja. Bedarf: nein.

Also klickt oder tippt der Interessent b. „Versicherungsschutz ... ausgeschlossen“. Sicher ist sicher, zu teuer soll es nicht werden. Etwa dies dürfte der Mensch vor dem Bildschirm zumutbar antizipiert denken, schlimmer: fühlen. Sie, Sie da als Leser dieses Textes: Sie glauben das nicht? Testen Sie den „Navigator“ (inzwischen gelöscht/gespeicherte Ansicht) mit Ihrem Nachbarn, mit Ihrer Schwester oder mit ihrem Handwerker, der gerade bei Ihnen im Haus am Werk ist. Sicher wird bei diesen Menschen vor allem eines sein: die Verunsicherung.

Hat der Mensch also auf b. geklickt, dann quittiert ihm der „Navigator“: „Versicherungsschutz ... ausgeschlossen“.“ Wie geht es weiter? Mit einer Fragekette, die hernach die Erwerbsunfähigkeits-Police (EU) abfragt und ob der Versuchsmensch dieses Produkt sinnvoll findet. Beenden wir das. Was fehlt? Eine Bedarfsabfrage. Die dem User sagt, wie viel Geld im fehlte in dem Fall, dass er krank wird und krank bleibt; BU ist.

„Verwirrnavigator“ und „Goning Public“

Auch die Kollegen von „Versicherungsmagazin“ haben sich den „Navigator angesehen. Sie titeln treffend „Verwirrnavigator“ und reklamieren zudem Schreibfehler und auch diesen Satz des „Navigators“ in dessen Erläuterungstext zur BU-Police, die eigentlich zu einem Alternativprodukt zur BU gehört: „Sie ist eine mögliche Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung, wenn diese aufgrund von Vorerkrankungen oder finanziellen Engpässen nicht in Frage kommt." Aber auch die Gothaer tat sich schwer mit Buchstaben: „Going Public“ hat es als „Goning Public“ in den Pressetext geschafft.

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Update 31.08.2016: Inzwischen hat die Gothaer den Link zum Navigator (http://produkt-navi.de/) gelöscht.

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