Ein Datenschutzskandal, wie es ihn in der Geschichte möglicherweise noch nicht gegeben hat, erschüttert derzeit die USA. Am Mittwoch machte britische Guardian einen geheimen Gerichtsbeschluss öffentlich, der dem US-Geheimdienst NSA den Zugriff auf Verbindungsdaten des größten Mobilfunkanbieters des Landes, Verizon, erlaubt. Der Beschluss verpflichtet den Mobilfunkanbieter, für drei Monate täglich Informationen zu allen Telefonanrufen der mehr als 120 Millionen Kunden an die Behörden weiterzureichen. Die Order stammt vom Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC), einem geheimen US-Gericht, das die Bespitzelung im Dienste der nationalen Sicherheit regelt.

Anzeige

Und der Geheimdienst hatte fleißig Gebrauch von seinen Rechten gemacht. Die Daten von Millionen Bürgern seien über Jahre hinweg gesammelt und weitergegeben worden, musste das Weiße Haus nach den Enthüllungen indirekt einräumen. Dianne Feinstein, Vorsitzende des Geheimdienst-Ausschusses, sagte, der entsprechende Gerichtsbeschluss sei seit sieben Jahren in Kraft. „Die Menschen wollen, dass ihre Heimat sicher ist“, begründete sie die Abhöraktion.

Doch damit nicht genug: Die Sammlung von Kommunikationsdaten geht nach Medienberichten weit über die Erfassung von Telefondaten hinaus. Die Washington Post und der Guardian berichteten in der Nacht zu Freitag, der US-Geheimdienst NSA und die Bundespolizei FBI würden auch direkt die zentralen Rechner von Internet-Firmen anzapfen – mit deren Zustimmung. In dem Berichten heißt es, die US-Regierung habe unter anderem Zugriff auf Chats, Videos, Fotos, Emails, Internettelefonate und Kontaktdaten der Nutzer. Analysten seien in der Lage, die Bewegungen und Kontakte von Personen über lange Zeit hinweg zu verfolgen. An dem Geheimprogramm namens PRISM würden sich unter anderem die Unternehmen Apple, Microsoft, Yahoo, Google, AOL, Skype und YouTube beteiligen.

Telefonbespitzelung setzt Überwachungspolitik von George W. Bush fort

Die Abhöraktion beim Telefonanbieter Verizon stützt sich auf den Patriot Act, jenem umstrittenen Antiterrorgesetz, mit dem George W. Bush auf die Anschläge des 11. September 2001 reagiert hatte. Der Patriot Act stellte bereits eine Verschärfung der rechtlichen Möglichkeiten dar – er ergänzte das Gesetz Foreign Inelligence Survaillance Act (Fisa), das „Gesetz zum Abhören in der Auslandsaufklärung“ aus dem Jahr 1978. Sowohl eine Bespitzelung von Ausländern als auch von amerikanischen Staatsbürgern ist laut diesen Gesetzen in einem bestimmten Umfang erlaubt. Barack Obama nahm die Einschränkung der Bürgerrechte durch Bush nicht etwa zurück – auch er hielt an der Bespitzelung der Bürger fest. Und baute sie möglicherweise sogar aus.

Umso mehr beeilte sich das Weiße Haus zu betonen, dass die Sammlung von Telefondaten auf legalem Weg erfolgte – sowohl der Kongress als auch die Justiz hätten es abgesegnet. Die „Bespitzelung sei ein kritisches Hilfsmittel, um die Nation vor Terrorismus zu schützen“, heißt es aus Regierungskreisen. „Es ist eine solide rechtliche Regelung in Kraft, die dafür sorgt, dass alle Überwachungsmaßnahmen im Rahmen des Gesetzes durchgeführt werden“, sagte ein Sprecher, der nicht namentlich genannt werden wollte. Sowohl Demokraten als auch Republikaner würden für die Auswertung der Telefondaten stimmen.

Doch Kritik kam ausgerechnet von einem Hardliner der Überwachungspolitik. Der Republikaner Jim Sensenbrenner, ein Mitverfasser des Patriot Acts unter George W. Bush, sagte, die Enthüllungen bereiten ihm ernsthafte Sorge. Er glaube nicht, dass die Abhöraktion mit dem Antiterrorgesetz vereinbar sei. Das Sammeln von Millionen Telefondaten unschuldiger Bürger nannte Sensenbrenner „exzessiv und unamerikanisch“. Auch die New York Times ging mit den Verantwortlichen hart ins Gericht. Die Regierung habe in Sachen Datenschutz jede Glaubwürdigkeit verloren, kommentierte das Blatt.

Anzeige

Tatsächlich lässt das Ausmaß der Überwachung aufhorchen. Zwar betonte Senatorin Feinstein, dass nur sogenannte Metadaten der Nutzer erhoben werden – also, wer wann wen wo angerufen hat, wie es der Spiegel zusammenfasst. Die Inhalte der Gespräche seien geschützt. Aber auch diese Daten erlauben bei Abgleich mit anderen Informationen schnelle Rückschlüsse auf die Identität des Anrufers. Name, Adresse, Fahrerlaubnis, die Nutzung von Kreditkarten und andere sensible Daten lassen sich mit der Telefonbespitzelung ermitteln.

Internet-Giganten bestreiten Mitwirken an Geheimprogramm

Die Zusammenarbeit von Bundespolizei und Geheimdiensten mit Internetanbietern wie Facebook, Apple oder Google sei ebenfalls streng geheim und werde mit einem Programm namens PRISM organisiert. Wenige Washingtoner Kongressmitglieder seien eingeweiht, aber zu strenger Geheimhaltung verpflichtet.

Nach Informationen der Washington Post wurde PRISM im Jahr 2007 ins Leben gerufen. Seitdem habe sich die Datensammlung enorm ausgeweitet und sei mittlerweile sogar wichtigste Quelle für die täglichen Briefings von Präsident Barack Obama geworden. Die Zeitung beruft sich bei ihren Enthüllungen auf interne Programmpräsentationen der NSA, die ein Whistleblower der Zeitung zugängig gemacht hatte. Grundlage für das Datensammeln sei der Protect America Act, der ebenfalls im Jahr 2007 unter der Regierung Bush verabschiedet wurde.

Anzeige

Im Zentrum stehe nicht die Überwachung von US-Bürgern, sondern von Ausländern, teilte der Nachrichtendienst NSA mit. „Es kann nicht genutzt werden, um direkt US-Bürger zu überwachen", heißt es dort. Der Geheimdienst versuche, möglichst wenig Daten von Staatsangehörigen mitzusammeln, sagten Behördenvertreter der New York Times.

Umgehend wiesen die beteiligten Unternehmen alle Vorwürfe zurück. „Wir bieten keiner Regierung einen direkten Zugriff auf unsere Facebook-Server“, sagte Joe Sullivan, der Sicherheitschef von Facebook. Das Unternehmen würde sehr sensibel mit den individuellen Daten seiner Nutzer umgehen. Auch die anderen Unternehmen bestritten, dass sie an einem Geheimprogramm partizipieren, ja überhaupt Kenntnis davon haben. Ein Vertreter von Apple zum Beispiel lässt sich mit den Worten zitieren, dass er nie von dem Programm mit dem Codenamen PRISM gehört habe.

Guardian, Washington Post
Seite 1/2/

Anzeige