Die European Economic Advisory Group at CESifo (EEAG) stellte ihren elften Bericht zur europäischen Wirtschaft gestern in Berlin vor. Der EEAG-Gruppe gehören acht Ökonomen aus sieben europäischen Ländern an, darunter etwa Hans-Werner Sinn (ifo Institut und Ludwig-Maximilians-Universität München). Geleitet wird sie von Jan-Egbert Sturm (KOF Swiss Economic Institute, ETH Zurich). Das Papier gibt die persönliche Meinung der Ökonomen wieder.

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Schwellenlänger liefern größten Wachstumsbeitrag, US-Wirtschaft erholt sich

Die europaweite Expertengruppe erwartet, dass sich das Wachstum des Welt-BIP dieses Jahr auf 3,3 Prozent verlangsamt. Vergangenes Jahr stieg das BIP noch 3,8 Prozent. Die voraussichtliche Verbesserung des Verbraucher- und Produzentenvertrauens in den Industrieländern im zweiten Halbjahr 2012 dürfte jedoch das Wachstum gegen Ende des Jahres etwas ankurbeln. Wieder einmal dürften die Schwellenländer den größten Wachstumsbeitrag liefern, während Nordamerika und Europa unter ihrem Potenzial bleiben werden. Das Wachstum des Welthandels wird sich ebenfalls weiter verlangsamen, von 12,2 Prozent im Jahr 2010 auf 6,2 Prozent 2011 und 3,9 Prozent in diesem Jahr.

Die gegenseitige Blockierung im US-amerikanischen Kongress und die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen führen zu großer Unsicherheit, aber die guten Unternehmensgewinne, die vor allem von den großen Firmen eingefahren werden, zusammen mit den niedrigen Zinsen sollten das Wachstum der US-Wirtschaft wieder erhöhen, nach der Flaute im ersten Halbjahr 2012, und zwar auf 1,9 Prozent im Gesamtjahr nach 1,7 Prozent im Jahr 2011, so der Bericht.

Für China wird ein Wachstum von 8,1 Prozent erwartet, für Indien 6,5 Prozent, für Russland 3,5 Prozent und für Lateinamerika ebenfalls 3,5 Prozent. Die Zahl für Lateinamerika ist ein gewichteter Durchschnitt von Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko, Peru und Venezuela.

EU-Länder und Eurozone bei 0,2 Prozent Wachstum, Deutschland mit 0,4 Prozent

Dagegen wird die Wirtschaft der EU-Länder eine Stagnation des BIP im ersten Quartal 2012 verzeichnen. Im letzten Quartal 20011 war dies zurückgegangen. 2012 wird das BIP nur ein mageres Wachstum von 0,2 Prozent im Gesamtjahr erzielen, im Vergleich zu 1,6 Prozent im Vorjahr. Die Inflationsrate wird von 3,0 Prozent im vergangenen Jahr auf 1,5 Prozent im Jahr 2012 zurückgehen, während die Arbeitslosigkeit von 9,7 Prozent auf 9,9 Prozent steigen wird.

Im Euro-Währungsgebiet wird die Inlandsnachfrage insbesondere in Frankreich, Italien, Spanien und in den Ländern der Peripherie besonders schwach sein. Dagegen bleibt sie in den nördlichen Ländern relativ robust. Deutschland dürfte um 0,4 Prozent wachsen, während die Wirtschaft Frankreichs, Italiens und Spaniens um jeweils 0,3, 0,6 und 0,6 Prozent schrumpfen wird. Die Wirtschaft Griechenlands wird um 3,6 Prozent schrumpfen, die Portugals um 3,0 Prozent.

Das höchste Wachstum wird von Estland und der Slowakischen Republik mit jeweils 2,4 und 2,0 Prozent erreicht. Insgesamt aber wird das BIP des Eurogebiets, nach einem Anstieg von 1,5 Prozent im Vorjahr, um 0,2 Prozent zurückgehen. Die Preissteigerung wird mit 1,2 Prozent im Gesamtjahr gering bleiben, die Arbeitslosigkeit wird von 10,2 Prozent im Jahr 2011 auf 10,7 Prozent steigen. Spitzenreiter bei der Arbeitslosigkeit wird Spanien (23,0 Prozent), Griechenland (19,6 Prozent), Irland (14,9 Prozent), sowie Portugal und die Slowakische Republik (beide mit 13,9 Prozent) sein.

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Alle europäischen Länder außerhalb der Eurozone werden wirtschaftlich wachsen, wobei Großbritannien 0,8 Prozent verzeichnen dürfte, Schweden und Polen je 2,6 Prozent und Ungarn ein mageres Ergebnis von 0,2 Prozent.

Weiterlesen auf Seite 2: EEAG-Gruppe für Schuldverschreibungssystem gegen Eurokrise

Wachstumsschwäche des EU-BIP: Experten für Schuldverschreibungen

EEAG-Gruppe für Schuldverschreibungssystem gegen Euro-Wachstumsschwäche

Im Bericht stellen die Autoren außerdem eine ausführliche Analyse der Zahlungsbilanzprobleme der Eurozone vor, wobei sie mögliche Wege zur Korrektur der Ungleichgewichte vorschlagen. Einer der wichtigsten Vorschläge ist die Einführung eines Systems von kurzfristigen Schuldverschreibungen. Schuldverschreibungen sind als Wertpapier gestaltete Schuldverpflichtungen. Sie sind das Versprechen des Schuldners, dem Inhaber (Gläubiger) Zahlungen zu einem bestimmten Termin zu leisten - in der Regel mit festem Zinssatz.

Das Schuldverschreibungssystem nennen die Verfasser „Euro Standard Bills“. Diese „Standard Bills“ würden dann von jeder Regierung standardisiert und mit öffentlichem Grundbesitz oder vorrangigen Ansprüchen auf künftige Steuereinnahmen besichert. Sie wären in der Lage, die geldpolitischen Transaktionen der EZB zu vereinfachen und könnten dazu benutzt werden, allmählich die 800 Mrd. Euro Target-Schulden abzubauen, die bisher zwischen den nationalen Zentralbanken aufgebaut worden sind, so die Experten.

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Der Bericht liefert weiterhin Fallstudien zu dem wirtschaftlichen Erfolg zweier sehr gegensätzlicher Länder: Schweden und Ungarn. Die Erfahrungen der beiden Staaten bieten laut der Ökonomen wertvolle Lehren für Länder innerhalb und außerhalb der Eurozone. So konnte Schweden, ausgehend von einer ernsten Finanzkrise, eine beneidenswert solide Position aufbauen, während Ungarn vom Spitzenreiter in Konvergenz und Reformen zu einem der finanziell schwächsten Länder in Mittel- und Osteuropa wurde.

Die Autoren befassen sich zudem erneut mit dem Thema der Bankenregulierung und analysieren, was bisher getan worden und was noch zu tun ist, um die Bankenaufsicht und die Widerstandsfähigkeit der Banken zu verbessern. Schließlich widmen sie ein Kapitel dem Klimawandel und seinem Preis, analysieren die gegenwärtige Politik und bewerten die Lehren, die daraus gezogen werden und die helfen können, die globale Erwärmung besser zu bekämpfen.

Der vollständige Bericht (in englischer Fassung) kann online eingesehen werden.

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