Graue Republik Deutschland? Die Menschen in der Bundesrepublik werden immer älter, bleiben länger aktiv – und sollen zukünftig auch länger arbeiten. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hat derzeit jeder zweite Mann eine Lebenserwartung von mindestens 80 Jahren, jede zweite Frau darf sogar auf ihren 85. Geburtstag hoffen. Die Geburtenraten halten mit dieser Entwicklung nicht Schritt.

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Benachteiligungen aufgrund des Alters werden akzeptiert

Obwohl die Alterung der Gesellschaft fortschreitet, die Integration von Senioren also dringend geboten ist, müssen sich viele ältere Menschen auf Benachteiligungen einstellen. Pensionären wird beispielsweise eine Krankenzusatzversicherung verweigert, weil sie ein höheres Krankheitsrisiko haben. Sie erhalten von Banken keine Kredite, selbst wenn sie finanzielle Sicherheiten vorweisen können. Ausgegrenzt sind Senioren aber vor allem im Berufsleben: Eine Mehrheit an Unternehmen stellt keine Personen der Generation Ü50 mehr ein. Die Antidiskrimierungsstelle des Bundes (ADS) setzt nun das Thema „Generationengerechtigkeit“ auf ihre Agenda und ruft ein Aktionsjahr gegen Altersdiskriminierung ins Leben. Unter dem Motto „Im besten Alter. Immer“ soll eine überparteiliche Kommission Konzepte für eine bessere Integration älterer Menschen ausarbeiten. Prominente wie Peter Maffay und Uschi Glas unterstützen die dazugehörige Imagekampagne.

Dabei sind die Einstellungen der Generationen zueinander durchaus divergent und von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes "forsa" im Auftrag der Gleichstellungsbehörde schätzen gerade jüngere Menschen die älteren Generationen positiv ein: Diese seien zuverlässiger, erfahrener und leistungsfähiger als die eigene Altersklasse. Da verwundert es, dass eine Diskriminierung in der Alltagspraxis kaum in Frage gestellt wird. "Viele Menschen halten Ungleichbehandlung aufgrund des Alters für normal", erklärt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsbehörde. So glauben etwa 42 Prozent der Deutschen, dass man ab einem Lebensalter von 45 Jahren keinen Job mehr findet.

Chancen älterer Menschen betonen

Bemerkenswert ist der Aktionsplan gegen Altersdiskriminierung gerade deshalb, weil die Politik in den letzten Jahren selbst zu den Vorurteilen gegenüber älteren Menschen beitrug: Senioren wurden vordergründig als Kostenfaktor dargestellt. Die Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrages rechtfertigte die Bundesregierung etwa mit der Zunahme demenzkranker und pflegebedürftiger Personen. Alte Menschen sind für die Gesellschaft eine finanzielle Belastung – dies war unterschwellig ein wichtiges Argument für soziale Einschnitte der letzten Zeit, für Nullrunden bei der Rente, für die Absenkung des Rentenniveaus, auch für die Einführung der privaten Altersvorsorge.

Oft dominierte bei diesen Debatten ein hysterischer und fatalistischer Ton. Und auch die Medien trugen wesentlich zur Altershysterie bei. „Jeder dritte Deutsche wird dement!“ war eine gern zitierte Schlagzeile zum Pflegereport 2010. Bei Frank Plasberg diskutierten Politiker und Fachleute unter dem Titel „Risikofaktor Alter – Wer kann sich Pflege in Würde leisten?“ über Bettlägerigkeit, Rollatoren und Windeln. Bilder von Siechtum und körperlichem Gebrechen bestimmten den demografischen Diskurs. Für ein positives Altersleitbild ist diese Form der Auseinandersetzung eher kontraproduktiv.

Nun jedoch soll der Fokus bewusst auf die vielfältigen Chancen des Lebensherbstes gerichtet werden. Zeitgleich mit dem Aktionsplan der Antidiskriminierungsstelle richteten die Fraktionen von CDU/CSU und FDP einen Antrag an die Bundesregierung, der unter dem Titel „Altersbilder positiv fortentwickeln – Potentiale des Alters nutzen“ (Bundesdrucksache 17/8345) auf die Beschäftigungspotentiale älterer Menschen abhebt. Die Koalitionsparteien fordern darin Anreize für ein längeres Erwerbsleben älterer Menschen sowie bessere Weiterbildungschancen in der zweiten Lebenshälfte. „Die Lebensphase Alter ist so vielfältig wie jede andere Lebensphase auch“, heißt es in dem 22 Punkte umfassenden Positionspapier.

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Optimistisch mag hierbei die Tatsache stimmen, dass die Lebenswirklichkeit vieler Senioren den fatalistischen Schlagzeilen widerspricht. So haben etwa Studien gezeigt, dass die Generation der Über-70jährigen noch aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnimmt: Regelmäßig Sport treibt, kulturelle Angebote wahrnimmt und den Alltag selbstbestimmt gestaltet. ....weiter auf Seite 2: Alle Altersgrenzen sollen auf den Prüfstand...

Good Ager, Best Ager, Golden Ager – No Ager!

Alle Altersgrenzen auf den Prüfstand

Der Aktionsplan der Antidiskriminierungsstelle ist jedoch keineswegs auf Senioren beschränkt. Zum einen, weil auch jüngere Menschen Diskriminierungen erfahren – Ihnen etwa pauschal mangelnde Erfahrung unterstellt wird. Zum anderen, weil die Altersgrenzen keine festen Größen sind, sondern eine zunehmende Dynamisierung erfahren. Wenn in einem Unternehmen etwa Mitarbeiter für ein „junges, dynamisches Team“ gesucht werden, kann ein 30jähriger Bewerber schon als zu alt gelten.

Als Konsequenz sollen nun alle Altersgrenzen auf den Prüfstand – etwa auch jene Grenzen für Gesetze, Verordnungen und Tarifverträge. Die Vorstellung, man könne bestimmte Aufgaben nur bis zu einem bestimmten Alter übernehmen, sei von der Wissenschaft ohnehin seit Jahrzehnten widerlegt. “"Eine Gesellschaft braucht Vertrauen in die Leistungsfähigkeit Älterer. Feste Altersgrenzen sind dagegen allzu oft willkürlich und richten mehr Schaden an, als sie nutzen"”, sagt Christine Lüders, Vorsitzende der Antidiskriminierungsstelle. Dabei müsse man auch über eine Änderung des Grundgesetzes nachdenken. “Der Gleichheits-Artikel 3 GG schützt vor Diskriminierung wegen des Geschlechtes, der Herkunft oder der Religion – warum nicht vor Altersdiskriminierung?"”, fragt Lüders und verweist auf die EU-Grundrechtecharta, in der eine vergleichbare Regelung zu finden ist.

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Ob der Aktionsplan tatsächlich einen Fortschritt gegen Altersdiskriminierung bringen wird, bleibt abzuwarten. Der Verdacht liegt nahe, dass das plötzliche Engagement aus der Not geboren ist – Die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre war auch deshalb in die Kritik geraten, weil ältere Arbeitnehmer kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet beispielsweise rund 350.000 Arbeitnehmer aus der Arbeitslosenstatistik, weil diese älter als 58 Jahre sind und länger als ein Jahr keinen Job fanden – auch mit dem Argument, dass sie für den Arbeitsmarkt kaum noch zu gebrauchen sind. Schlimmstenfalls könnte eine Aufhebung bestehender Altersgrenzen sogar zu einer Verschlechterung für Senioren führen, wenn weitere Einschnitte bei Renten und Gesundheitsleistungen mit der Initiative einhergehen.

M.Wenig

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