Wohin mit der Yucca-Palme? Dies war die erste Frage, die sich beim Eintreffen am Messestand stellte, standen doch mehrere Topfpflanzen genau so im Weg, dass keiner den Stand betreten konnte. Als ich das Gewächs an seinen richtigen Platz schob, lernte ich bereits meine erste Lektion. „Die Erde feucht halten, dann und wann düngen!“, stand auf einem Schild, das provozierend auffällig, genau in Augenhöhe, in den Blättern der Pflanze steckte. „Keine direkte Sonne, regelmäßig gießen!“ Am Nachbarstand bedauerte eine Frau, dass die Farben der bereitgestellten Blumen nicht zu den Farben der Firma passten.

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Zum siebenten Mal fand in Leipzig die Versicherungs- und Fondsmesse LVFM der Invers-Gruppe statt, und vielleicht ist kein Zufall, dass an fast allen Messeständen Blumen und Pflanzen für eine ansprechende Atmosphäre sorgen sollten. Auch der Versicherungskunde ist ein anspruchsvolles Gewächs, das umhegt und gepflegt werden will (so die scherzhafte Bemerkung eines Maklers). Dass es sich bei den ebenfalls vorhandenen Australischen Palmen um Halbschattengewächse handelte, könnte von einigen missverstanden werden – will doch die Vermittlerbranche das Image des Halbschattenen schnellstens loswerden, nachdem hohe Provisionen und Fehlberatungen für schlechte Schlagzeilen sorgten.

Ein Rundgang

Die surrealen Merkmale des Treibens wurden spätestens beim Blick auf die liebevoll eingerichteten Messestände erkennbar. „Das hat was von einer Puppenstube. Kleine Räumchen, und überall sitzt einer drin!“, scherzte eine Besucherin. So recht mochte dieser Vergleich nicht zu den ausliegenden Prospekten der Fondsanbieter passen, auf denen gewaltige Schiffscontainer, Erdöl-Förderanlagen und Wolkenkratzer zu sehen waren. Es gibt also tatsächlich noch einen Makrokosmos, in dem ein ungebrochener Aufschwung möglich ist, und sei es auf Hochglanzpapier.

Betont seriös präsentierten sich die Versicherungen in ihren Prospekten. Mehrere Wettbewerber warben für ihre Altersprodukte mit Seniorenpärchen, die Hand in Hand an einem Strand oder Yachthafen entlang schlenderten: archaische Szenen wie aus einem französischen Liebesfilm aus den 60er Jahren. Auch strahlende Familien und niedliche Haustiere fand man in vielen Werbeauslagen, wobei Frauen bevorzugt Handys in der Hand hielten und Kinder auf weißen Sitzgarnituren herum hüpften. Hatten die Anbieter etwa alle die gleiche Werbeagentur beauftragt? „Keine direkte Sonne“ - auf manchen Prospekten herrschte selige Dämmerstimmung.

Doch es gab auch originellere Werbeideen: Auf meinem Rundgang durch die Messehalle fiel ich beinahe in ein Rentenloch. Dieses war zum Glück nur auf den Boden gemalt, am Messestand der Skandia Versicherung. Ein Golfracket gab es zu gewinnen, um mit den Bällen das Rentenloch zu stopfen. Wer nicht den Blick nach unten, sondern eher aufwärts richten wollte, der konnte mit seinen Augen den vielen steilen Aktienkurven folgen, die erwartungsgemäß an den Informationsständen gen Himmel wiesen. Oder in diesem Fall unter das Dach der Messehalle, wo Neonscheinwerfer und anthrazitfarbene Rohre eine futuristische Atmosphäre verströmten.

Das Wort "Risiko" war in großen Lettern allgegenwärtig. Im Gewimmel fiel auf, dass die Versicherungsgesellschaften kräftige Grundfarben bevorzugen: rot, grün, blau und gelb bestimmten das Kolorit. Wer Lust hatte, konnte an einem Glücksrad drehen. An unserem Nachbarstand klappte laut scheppernd ein Prospektständer zusammen.

Alles dreht sich um Sie!

Doch Kontraste passten gut zum diesjährigen Motto der Messe. Es lautete „Alles dreht sich um Sie“ - und konnte durchaus doppeldeutig interpretiert werden. Der Mensch steht scheinbar im Mittelpunkt. Und um ihn herum befindet sich alles in Bewegung, ist die Welt aus den Fugen geraten. Während es auf der Messe menschelte, eine sympathische und kollegiale Stimmung herrschte, wurde viel über Krisenthemen debattiert. Welcher Staat ist als nächstes bankrott – Spanien, Portugal oder die USA? „Kalifornien ist höher verschuldet als Griechenland. Wir lachen uns ja immer bauchcheckig, wenn wir die Ratings sehen“, beurteilte ein Investmentbanker die Prognosen der amerikanischen Ratingagenturen. Griechenland wurde der Ratschlag erteilt, zuerst einmal am aufgeblähten Verteidigungshaushalt zu sparen.

Dass auch Gold und Silber letztendlich Spekulationsobjekte sind, die zu einer Finanzblase führen können, war ein guter Ratschlag für jene, die demnächst das Zahngold ihrer Urgroßmutter einschmelzen wollen. Oder bei der Investition einseitig auf Bodenschätze setzen, weil sie glauben, dass damit a priori hohe Werte verbunden sind. Auch über ganz alltägliche Themen wurde diskutiert – ist die Wahrscheinlichkeit, auf dem Land an einem Herzinfarkt zu sterben, höher als in der Stadt? Und kann eine Maklerhomepage zu informativ gestaltet sein, so dass der Kunde direkt im Internet abschliesst, ohne ein Beratungsgespräch zu suchen? Der Kunde, ein anspruchsvolles Pflänzchen –

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So präsentierte sich die Maklerbranche auf der LVFM durchaus von ihrer sympathischen Seite. Wer selbstbezogenes Verhalten suchte, weil dies vielleicht dem Vorurteil einer Finanzmesse entspricht, wurde natürlich auch hier fündig, zum Beispiel am Stand des Versicherungsboten. Die Schüssel mit Süßigkeiten, mit der wir Kunden an den Stand locken wollten, war schon leer, bevor sich überhaupt ein Kunde dem Stand genähert hätte. Und ein Tisch, den wir von einem anderen Stand für unsere Prospekte entwendet hatten, wurde uns wiederum weggenommen. Die Yucca-Palme fand sich am Montag in unserem Büro wieder. „Die Erde feucht halten, dann und wann düngen!“

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