Die Deutsche Rentenversicherung hat ein Problem: Ihr fehlen Beitragszahler für die gesetzliche Rente. Rechnerisch kommen derzeit auf einen Rentner 2,1 Beitragszahler, und weil viele Erwerbstätige aus den geburtenstarken Jahrgängen bald in Rente gehen, wird sich dieses Verhältnis weiter verschlechtern. In einem Umlageverfahren, das vorsieht, die eingenommenen Beiträge bis auf eine Reserve sofort wieder für Renten auszugeben, gerät die Rentenversicherung damit unter Druck. Am Donnerstag haben die Wirtschaftsweisen ein umfassendes Gutachten vorgelegt, in dem sie radikale Reformen bei der gesetzlichen Rente fordern: unter anderem ein höheres Renteneintrittsalter und die Orientierung künftiger Rentenerhöhungen an der Inflation statt an den Löhnen.

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Die vierte Stellschraube: Arbeitsmarkt

Die Bundesregierung plant derzeit eine Rentenreform: Das ist bekannt. Aber wie umfangreich wird sie ausfallen, und was genau ist geplant? Dazu hat t-online.de jetzt Hubertus Heil (SPD) befragt, in dessen Ressort als Bundesminister für Arbeit und Soziales die Rente fällt. Auch er wurde mit der schwierigen Lage der Rente konfrontiert und indirekt mit der Frage, ob die Reform ausreichen wird. „Sie wollen an keiner der drei Renten-Stellschrauben – Beiträge, Niveau, Eintrittsalter – drehen und das System trotzdem fit machen für den Demografie-Knick. Können Sie zaubern?“, fragten die Interviewenden.

Zaubern könne er nicht, antwortete Heil. Aber er wisse, dass es neben den genannten Stellschrauben eigentlich eine vierte gebe, die über alles entscheide: „Die Zahl der Menschen, die arbeitet. Wenn möglichst viele Menschen im erwerbsfähigen Alter arbeiten und in die Rentenkasse einzahlen, gelingt es uns, die Rente stabil zu halten“, sagt Heil. Die Prognosen für die gesetzliche Rente seien viel pessimistischer gewesen, als die Lage heute tatsächlich ist, „sowohl mit Blick auf die Beitragssatzentwicklung als auch auf das Rentenniveau“, positioniert sich der 51jährige.

Die Bundesregierung habe ihre Aufgaben gemacht, lobt Heil sich selbst und die Koalitionspartner. „Es gibt heute rund fünf Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als vor zehn Jahren prognostiziert. Das zeigt, die Hauptaufgabe besteht darin, so viele Menschen wie möglich in gut bezahlte Arbeit zu bringen – zum Beispiel, indem wir dafür sorgen, dass kein Jugendlicher mehr ohne Ausbildung bleibt, die Frauenerwerbsbeteiligung erhöhen und ausländische Fachkräfte gewinnen“, sagt Heil. Wenn genügend Menschen in die Rentenversicherung einzahlen, bleibe das Umlagesystem stabil.

Dem Vorschlag der Wirtschaftsweisen, das Renteneintrittsalter ab 2031 hinaus auch über 67 Jahre anzuheben, erteilt Heil indirekt eine Absage. „Viel relevanter als das gesetzliche Renteneintrittsalter ist, wie lange die Menschen tatsächlich arbeiten“, sagt er. Aktuell liege das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei 64,2 Jahren. „Mein Ziel ist es, dass künftig mehr Menschen gut und gesund über dieses Alter hinaus arbeiten können und es flexible Übergänge in den Ruhestand gibt. Eine weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters über 67 hinaus wird es mit mir nicht geben“, sagt der Minister. In vielen Berufen, etwa der Logistik oder auf Baustellen, könnten die Menschen im fortgeschrittenen Alter nicht mehr arbeiten, für sie würde ein höheres Renteneintrittsalter folglich eine Rentenkürzung bedeuten.

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Es gehe ihm darum, „die Rente auch für die heute junge Generation stabil und verlässlich zu halten“ und das Rentenniveau auch nach 2025 dauerhaft zu sichern, positioniert sich Heil. Gefragt nach dem Stand des Gesetzentwurfs, mit dem die Bundesregierung die Rente reformieren will, sagt Heil, er befinde sich auf der „Zielgeraden“. Bei so einem wichtigen Vorhaben könne es auch mal ein paar Wochen länger dauern, und es gehe ja „erst um die Zeit nach 2025“. Die Jahre 2025 bis 2040 seien die kritischsten für die gesetzliche Rente, weil dann die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen.

Reichen die angedachten Reformen aus?

Aber reichen die geplanten Reformen aus, um die Rente langfristig stabil zu halten? Hubertus Heil gibt im Interview nur indirekt Einblick, was die Regierung plant - und was nicht. Auch ob es in der Ampel-Koalition Uneinigkeit über die Rentenreform gibt - die Vorstellungen von SPD, Grünen und FDP liegen erwartungsgemäß weit auseinander - geht aus dem Interview nicht hervor. Trotzdem lässt das Interview erahnen, dass die Reform wohl weniger umfangreich ausfallen wird, als von Experten gefordert.

So legt Heil im Interview den Schwerpunkt auf die Einnahmeseite der gesetzlichen Rente, ein stabiler Arbeitsmarkt soll auch den Rentenbeitrag stabilisieren. Die Wirtschaftsweisen haben in ihrem Jahresgutachten aber zu bedenken gegeben, dass dies wohl nicht ausreichen wird, auch die Ausgabenseite in den Blick genommen werden müsse.

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Unter anderem haben die Wirtschaftsweisen vorgeschlagen, die Altersarmut zukünftig zu bekämpfen, indem Menschen mit geringem Einkommen höhere Rentenanwartschaften erhalten als jene mit hohen Einkommen. Dies könne nicht nur helfen, Ausgaben einzusparen: Es wäre auch ein Instrument gegen die derzeit stattfindende unbeabsichtigte Umverteilung im Rentensystem. Mehrere Studien zeigen, dass Beschäftigte mit geringen Einkommen und schwerer körperlicher Tätigkeit statistisch eine geringere Lebenserwartung haben, folglich die langen Renten der Ruheständler mit hohen Einkommen mitfinanzieren. Bei männlichen westdeutschen Beschäftigten der Jahrgänge 1947 bis 1949 liegt zum Beispiel die Lebenserwartung von Männern aus dem obersten Einkommensdezil sieben Jahre über der von Männern aus dem untersten Einkommensdezil.

Doch von diesem Vorschlag hält Hubertus Heil scheinbar wenig. Darauf angesprochen, ob die Bundesregierung einen solchen Schritt plane, weicht er der Frage aus und verweist auf die Grundrente. „Das war ein wichtiger Schritt für mehr Leistungsgerechtigkeit, für den ich hart gekämpft habe und der vielen Menschen hilft“, sagt er. Doch die Wirtschaftsweisen haben in ihrem Gutachten kritisiert, dass die Grundrente kein geeignetes Instrument für die Bekämpfung der Altersarmut ist, da sie gruppenspezifisch gestaltet sei: Viele Menschen würden trotz vieler Beitragsjahre die Bedingungen nicht erfüllen können und somit keine Grundrente erhalten. Die Reform könnte folglich kleiner ausfallen, als von Experten gefordert.

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