Das Gespenst eines EU-weiten Provisionsverbots für Versicherungsanlageprodukte ist noch nicht vom Tisch: und könnte schon bald entschieden werden. Am 24. Mai will sich die EU-Kommission mit der sogenannten Retail Investment Strategy befassen, und EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness hat bereits deutlich gemacht, dass sie ein solches Verbot befürworten würde. Nach ihren Angaben sind Finanzprodukte, die auf Provisionsbasis verkauft werden, im Durchschnitt um 35 Prozent teurer.

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Offener Brief an Vermittlerverbände

In diese Debatte schalten sich nun die Berliner Finanzwissenschaftler Hans-Peter Schwintowski und Hans-Wilhelm Zeitler ein: mit einem Appell an die Branche. Die beiden Professoren haben einen offenen Brief an Finanzvertriebe verfasst, Adressaten sind neben der Deutschen Vermögensberatung (DVAG) auch Maklerpools wie Fonds Finanz, JDC oder Apella. Die Wissenschaftler wollen ein Rezept gefunden haben, um das Provisionsverbot doch noch abzuwenden: indem sich die Verbände und ihre Vermittler sich an DIN-Normen für die Finanzberatung orientieren.

Die beiden Autoren bezeichnen sich darin als Anhänger der Provisions- und der Honorarberatung. Und lehnen ein Verbot von Provisionen ab. “Ein vollständiger Systemwechsel von der freien Wahl zwischen Honorar und Provision hin zum – gleichermaßen für Beraterinnen und Verbraucher – Zwang zur Honorarberatung ist eine Entmündigung der Verbraucher“, schreiben die Verfasser in dem offenen Brief. „Diese wäre überhaupt nur dann vertretbar, wenn dadurch nicht an anderer Stelle Schaden entstünde und es zugleich keine Alternative zum Provisionsverbot für die Erreichung des angestrebten Zieles gäbe: der Vermeidung von Fehlanreizen und Interessenskonflikten“.

Doch eine Alternative zum Verbot wollen beide Autoren gefunden haben: Sie appellieren an die Vermittlerverbände, sich an den DIN-Normen zu orientieren. Diese würden „eine unternehmensübergreifende, objektive und neutrale Finanzanalyse“ von Privathaushalten erlauben und seien geeignet, „Fehlanreize und Interessenskonflikte weitestgehend aus der Finanzberatung zu eliminieren“, argumentieren die beiden Finanzwissenschaftler.

Als Beispiel wird die DIN-Norm 77230 genannt. Sie stelle die „kundenindividuell und als relevant ermittelten Finanzthemen“ in eine „feste, wissenschaftlich fundierte und nicht von Vertrieben oder Beratern manipulierbare Rangfolge“, schreiben Schwintowski und Zeidler. Und weiter: „Dadurch ist die Fehlanreiz-geleitete Priorisierung von Themen, zu deren Lösung provisionsstarke Produktklassen herangezogen werden können, per se ausgeschlossen“.

Die Norm sei aktuell auf dem Weg von einer deutschen zu einer europäischen Norm, „sodass sie in absehbarer Zeit ein Provisionsverbot auch für die anderen europäischen Staaten obsolet werden wird“, schreiben die Finanzwissenschaftler. Und weiter: "Die genannten DIN-Normen können mithin starke, wenn nicht gar die stärksten Argumente gegen das Verbot von Provisionen sein, weil sie die Gründe der Befürworter an ihrem Ausgangs- bzw. Schmerzpunkt entkräften können – wenn sie denn auch flächendeckend Umsetzung erfahren. Das ist allerdings bisher nicht der Fall“.

Fehlanreize ausgeschlossen?

Tatsächlich wurde die DIN-Norm 77230 als Antwort auf Vermögensschäden entwickelt, die durch Falschberatung verursacht wurden. Sie schreibt vor, dass vor einer Finanzberatung zunächst die finanzielle Situation und der Bedarf eines Haushalts analysiert werden müssen. Außerdem wird eine Reihenfolge für die Beratung vorgegeben. Hierfür sind drei Bedarfsstufen vorgesehen: Zunächst soll der finanzielle Grundbedarf eines Haushalts ermittelt und abgedeckt werden, dann geht es um Maßnahmen zur Sicherung des Lebensstandards. Zu guter Letzt geht es um die Verbesserung des Lebensstandards: Sparziele, Vermögensbildung etc.

Warum die DIN-Norm Fehlanreize der Provisionsberatung vollständig ausschließen soll und das „Übel an der Wurzel packt“, wird aus dem offenen Brief aber nicht deutlich. Das geplante EU-Provisionsverbot soll auch eine Antwort auf hohe und intransparente Kosten von Vorsorge- und Finanzprodukten sein. Die Befürchtung: Vermittler empfehlen eher ein Produkt, bei dem sie eine hohe Provision erhalten, als ein günstigeres und passenderes. Doch selbst wenn sich Vermittler an der DIN-Norm orientieren, ist nicht auszuschließen, dass sie lieber ein teureres Produkt empfehlen, um einen höheren Provisionserlös zu erzielen: zum Beispiel den Vertrag eines Lebensversicherers, der eine höhere Abschlussprovision zahlt als ein anderer. Dies wäre unter Umständen nicht einmal ein Verstoß gegen die DIN-Norm, sofern der Vertrag geeignet ist, eine Vorsorgelücke zu schließen.

Als die DIN-Norm 2019 eingeführt wurde, war entsprechend auch das Feedback zurückhaltend. Erich Paetz, damals Ministerialrat im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, sagte damals der Deutschen Presse-Agentur (dpa), die Norm sei nur ein Baustein für eine verbraucherorientierte Finanzberatung. Falschberatung könne dadurch aber nicht verhindert werden.

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Zudem ist die DIN-Norm ein freiwilliges Instrument, das gegen drohende strenge EU-Vorgaben ins Feld geführt wird. Und das deshalb auch keine Sanktionen vorsieht, wenn Vermittler nicht nach der Norm beraten. Ob sich die EU von einer freiwilligen Initiative der Branche beeindrucken lässt? Die Vermittler sind schlicht nicht verpflichtet, sich an der DIN-Norm zu orientieren.

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