Zu Beginn dieser Woche nahm die von der Bundesregierung eingesetzte ‚Fokusgruppe private Altersvorsorge‘ ihre Arbeit auf. Den Vorsitz hat Dr. Florian Toncar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, inne. Er skizzierte den ‚Fahrplan‘ der Fokusgruppe so:
In der ersten Sitzung werden neben der Bestandsaufnahme des Status Quo der privaten Altersvorsorge in Deutschland auch Verbesserungen für bestehende Riester-Verträge diskutiert.
In den darauffolgenden Sitzungen schließen sich die Prüfaufträge des Koalitionsvertrags an. Geprüft werden sowohl die Möglichkeit einer Förderung von privaten Produkten mit höheren Renditemöglichkeiten als bei derzeitigen Riester-Verträgen, als auch ein öffentlich verantworteter Fonds.
Eine Förderung soll Anreize für untere Einkommensgruppen bieten. Die Fokusgruppe soll bis zum Sommer 2023 einen Abschlussbericht mit den Prüfungsergebnissen vorlegen.

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vzbv: „Riester ist gescheitert“

Zur Teilnahme an der Fokusgruppe eingeladen, ist auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Die Verbraucherschützer teilten allerdings bereits vor Beginn der ersten Arbeitssitzung mit, was sie von dem ‚Fahrplan‘ halten.
„Regierungskommissionen wie die Datenethikkommission oder die Zukunftskommission Landwirtschaft haben zu guten Ergebnissen für Verbraucher:innen geführt. Damit die Fokusgruppe zur Reform der privaten Altersvorsorge diesen Beispielen folgen kann, braucht es zuerst ein klares Bekenntnis der Ampel zur notwendigen Grundsatzreform der Zusatzvorsorge und zur Einführung eines Vorsorgefonds. In der Fokusgruppe muss es dann darum gehen, wie ein Vorsorgefonds umgesetzt wird. Darüber, dass Riester gescheitert ist [,]brauchen wir uns nicht mehr monatelang in einer Expertenkommission austauschen“, lässt sich vzbv-Vorständin Ramona Pop zitieren.

Die Verbraucherschützer drängen auf eine übergreifende Rentenreform. Deren Kern aus Sicht des vzbv: Die gesetzliche Rentenversicherung soll sich stärker auf den sozialen Ausgleich konzentrieren. Beispielhaft werden höhere Erwerbsminderungsrenten genannt. Eine neu aufgestellte private Vorsorge sollte sich dagegen stärker auf den Vermögensaufbau für zusätzliche Altersrenten fokussieren, so der vzbv. Für diesen Vermögensaufbau schlagen die Verbraucherschützer einen Vorsorgefonds vor, der eine breit gestreute, langfristige Aktien-Anlage tätigen soll. Ein solcher öffentlich verantworteter Vorsorgefonds sei privaten Angeboten wie Riester überlegen, so die Verbraucherschützer. Länder wie Schweden oder Großbritannien würden seit Jahren vormachen, „dass ein solches Modell für die Sparer:innen funktioniert und das Geld nicht primär in den Taschen der Finanzwirtschaft landet.

vzbv: System der Altersvorsorge als Ganzes bedarf einer verfassungsrechtlichen Prüfung

In ihrer Stellungnahme (PDF) werden die Verbraucherschützer ausführlicher und kritisieren insbesondere die Zulagenförderung für Riester-Produkte:

  • Aus Sicht des vzbv stellt sich die grundsätzliche Frage, ob eine Förderung der privaten Zusatzvorsorge von Geringverdienern sozialpolitisch das richtige Mittel ist. Vielmehr würde diese Gruppe am stärksten von einer armutsfesten GRV und einer starken Absicherung gegen Erwerbminderung profitieren, so dass einer Verbesserung der GRV Vorrang vor der Förderung privater Zusatzvorsorge eingeräumt werden sollte.
  • Versicherungen [stellen] keine sinnvolle Option für den Vermögensaufbau dar und sind inkompatibel mit Blick auf das bisherige, sowie ein reformiertes System. Garantieverminderte oder -freie Fondssparpläne wären demgegenüber kompatibler mit Blick auf ein reformiertes System.
  • Grundsätzlich ist der vzbv skeptisch, ob die Riester-Förderung ein sinnvoller Bestandteil der Alterssicherung ist. Zunächst ist ein Teil der Zulage steuersystematisch begründet, und stellt keine Förderung dar. Aus Sicht des vzbv sollte dringend mehr Transparenz über den tatsächlichen Charakter der „Zulagenförderung“ geschaffen werden. Darüber hinaus sollte die Frage einer Abkehr von der Förderung offen diskutiert werden.
  • Die Anerkennung von privaten Produkten mit höheren Renditen hat zunächst keine Auswirkungen auf die Effektivität einer Anreizsteuerung durch die Zulagenförderung. Verbände der Anbieterseite fordern allerdings seit längerem eine Erhöhung der Zulagenförderung. Eine Erhöhung würde zunächst die Förderung für untere Einkommen erhöhen, da hier die Zulagen den Steuerabzug regelmäßig übersteigen. Wie oben beschrieben, ist der vzbv skeptisch, ob eine solche Erhöhung der Zulagen sinnvoll ist.
  • Falls das BMF dennoch eine Erhöhung der Riester-Zulage in Erwägung zieht, regt der vzbv an, diese analog zur Steuerrückerstattung direkt an Verbraucher:innen auszuzahlen. So könnte zukünftig verhindert werden, dass Anbieter oder Vertriebe die Zulagen nutzen, um Produkte attraktiver darzustellen, als sie tatsächlich sind. Gleichzeitig würde sich die Problematik der Rückforderungen reduzieren, das Verbraucher:innen direkt mit der Zulagenstelle kommunizieren können. Anzumerken ist auch, dass aus einer Erhöhung der Zulage nicht automatisch eine höhere Verbreitung folgt. Diese kann erst erzielt werden, wenn der Vertrieb eine höhere Zulage nutzt, um Verbraucher:innen gezielt anzusprechen und mehr Produkte abzusetzen. Da dies wiederum kostenintensiv ist, ist davon auszugehen, dass ein möglicherweise durch höhere Zulagen erkaufter Verbreitungseffekt zu einer Verringerung der Produktqualität führt.

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Doch in der Stellungnahme des vzbv verbirgt sich noch eine ganz andere Forderung. Denn die Verbraucherschützer stellen auch das gesamte Altersvorsorge-System in Frage. So schreibt der vzbv: Gleichzeitig möchte der vzbv darauf hinweisen, dass das System der Altersvorsorge als Ganzes stets auch einer verfassungsrechtlichen Prüfung bedarf. Sollte das Gesamtsystem weiterhin nicht in der Lage sein, die wichtigsten Ziele der Alterssicherung zu erreichen (die Sicherung des Lebensstandards und die Vermeidung von Altersarmut), ist zukünftig möglicherweise die Frage zu diskutieren, wie sich der Grundrechtseingriff einer staatlichen Versicherungspflicht weiter rechtfertigen lässt.

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