In kaum einem anderen Jahr hat sich die Abhängigkeit der Unternehmen von weltweit vernetzten Lieferketten und Importgütern so stark gezeigt wie in 2022. Zum einen legte die Corona-Politik Chinas den Hafen in Shanghai lahm – den größten Hafen weltweit – und störte die Produktion wichtiger Zulieferer-Firmen. Zum anderen aber offenbarte der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Abhängigkeit der Wirtschaft von russischem Erdöl und russischem Gas, aber auch von ukrainischem Holz, Eisen und Stahl oder von ukrainischen Agrarerzeugnissen oder anderen Importgütern (wie z.B. Elektrotechnik). Zumal sowohl Russland als auch die Ukraine für den Handelsverkehr zwischen dem asiatischen Raum und Europa eine zentrale Rolle spielen. Auch die Existenz von deutschen Unternehmen wird durch den Ukraine-Krieg unmittelbar bedroht.

Anzeige

Verschuldet wird dies zum einen durch stark gestiegene Energiepreise und Produktionskosten. Zum anderen aber werden auch Betriebsunterbrechungen immer wahrscheinlicher. Das Risiko wird anschaulich an folgender Zahl: Als aufgrund eines Zulieferstreiks die Produktion in zwei VW-Werken für eine Woche still stand, entstand ein Schaden, den der Konzern auf 100 Millionen Euro schätzt. Waren können nicht rechtzeitig geliefert, Kunden nicht bedient werden. Schadensersatz wird fällig, die Reputation des Unternehmens leidet. Löhne, Nebenkosten, Mieten aber sind weiter zu zahlen. Ein von Unternehmen gefürchtetes Szenarium, wie auch das aktuelle „Allianz Risk Barometer“ aus dem Hause des Allianz-eigenen Industrieversicherers Allianz Global Corporate & Specialty SE (AGCS) zeigt.

Kein Risiko wird so sehr gefürchtet wie Betriebsunterbrechungen

Denn Betriebsunterbrechungen sind das meist-gefürchtete Geschäftsrisiko in Deutschland, wie eine Befragung von Maklern, Risikoberatern und Schadenmanagern zeigt: 46 Prozent Nennungen hieven Betriebsunterbrechungen nun schon zum wiederholten Male auf Rang eins des deutschen Sorgenbarometers. Auffallend ist: Gegenüber dem letzten Risk Barometer hat der Anteil der Nennungen abgenommen. Denn in 2022 halfen noch 55 Prozent Nennungen den Betriebsunterbrechungen zum meist-gefürchtetes Risiko (Versicherungsbote berichtete).

Der Stimmenverlust aber hat einen Grund: Durch den Ukrainekrieg kommen neue Risiken dazu, die anteilig den anderen Risiken Prozentpunkte nehmen. Das wird besonders deutlich durch Rang drei des Sorgen-Barometers für Unternehmen: Hier findet sich die Energiekrise aufgrund von 32 Prozent Nennungen. Zwar muss sich die Energiekrise den Cybervorfällen (z. B. Cyber-Kriminalität, Malware/Ransomware, die Systemausfälle Ausfallzeiten, Datenschutzverletzungen, Geldstrafen und Bußgelder) geschlagen geben: Cybervorfälle erhalten 40 Prozent Nennungen und damit Rang zwei. Jedoch: In 2022 war das Risiko Energiekrise noch gar nicht dabei. Das begründet, warum Cybervorfälle in 2023 ebenfalls gegenüber dem Vorjahr Prozentpunkte verlieren: 40 Prozent bedeuten einen Verlust von zehn Prozentpunkten.

Klimawandel rutscht in der Rangliste ab

Aktuelle Risiken durch den Ukraine-Krieg lassen auch den Klimawandel als gefürchtetes Risiko abrutschen: 2022 gab es noch 21 Prozent Nennungen und Rang vier des Barometers. Nun verliert der Klimawandel vier Prozentpunkte und rutscht hinunter auf Rang acht. Naturkatastrophen (z. B. Sturm, Überschwemmung, Erdbeben, Waldbrand, extreme Wetterereignisse), die 2022 noch auf Rang drei waren, verlieren ebenfalls Prozente und rutschen mit 19 Prozent in 2023 auf Rang fünf (2022 lag man noch bei 30 Prozent).

Aus diesem Grund gibt es in 2023 einen neuen Rang vier – diesen erreichen Rechtliche Veränderungen mit 23 Prozent Nennungen (Rechtliche Veränderungen lagen in 2022 mit 19 Prozent Nennungen auf Rang fünf).

Zwei weitere Top-Ten-Risiken sind neu

Neben der Energiekrise finden sich zwei weitere neue Risiken in der Sorgen-Top-Ten Deutscher Unternehmen. Das trifft zum einen auf den Fachkräftemangel zu (Rang sechs durch 17 Prozent Nennungen) und ebenfalls auf Kritische Infrastrukturausfälle (z. B. Stromausfälle) oder Störungen: 13 Prozent Nennungen bedeuten Rang neun. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) klagen über Fachkräftemangel – in einer Presseerklärung des Bundesamtes für Statistik (Destatis) wurde beklagt, dass immer mehr Unternehmen in Deutschland Schwierigkeiten haben, offene IT-Stellen zu besetzen.

Kritische Infrastrukturausfälle stehen erneut in Verbindung sowohl mit Cyberrisiken als auch mit der Energiekrise. Auch diese neuen Risiken erklären, warum andere Risiken Prozentpunkte verlieren. Letztendlich sieht die deutsche Sorgen-Top-Ten 2023 wiefolgt aus:

Anzeige


Welche Risiken kleine Unternehmen fürchten

Die Experten der Allianz-Tochter AGCS haben aber auch die genannten Unternehmensrisiken nach Größe gerankt. Und auffallend ist: Bei kleinen Unternehmen variieren die gefürchteten Risiken im Vergleich zur Gesamtwahl. Denn dort werden Cybervorfälle am meisten gefürchtet (31 Prozent Nennungen). Das verwundert kaum: Wenn bei kleinen Unternehmen Daten verschwinden und Systeme ausfallen, ist das Geschäft noch weit mehr bedroht als bei größeren Unternehmen.

Auf Rang zwei der Risiken schaffen hier zudem makroökonomische Veränderungen den Aufstieg: 2022 lag dieses Risiko noch auf Rang 8 (bei 15 Prozent Nennungen), liegt nun aber mit 28 Prozent Nennungen auf Rang zwei. Auch das verwundert kaum: Kleine Unternehmen sind viel mehr von der Inflation bedroht und können der Verteuerung von Energie und Rohstoffen nichts entgegen setzen. So kann die Inflation selber bedingen, dass kleine Unternehmen die Produktion unterbrechen müssen.

Anzeige

Folglich schafft es auch die Energiekrise in die Sorgen-Top-Drei der kleinen Unternehmen – zusammen mit Betriebsunterbrechungen. Denn beide Risiken bringen es auf 23 Prozent Nennungen. Die Ergebnisse zeigen, wie stark Ereignisse in Europa momentan die Angst vor Geschäftsrisiken dominieren.

Hintergrund: Beim Allianz Risk Barometer handelt es sich um eine weltweite Befragung von Kunden verschiedener Allianzgesellschaften sowie von Maklern, Risikoberatern und Schadenmanagern. Weltweit nahmen 2.712 Experten an der Studie teil; 384 hiervon kamen aus Deutschland. Die Teilnehmenden sollten die größten Risiken für je zwei Industriebereiche oder ihr Unternehmen angeben – je drei Risiken durften aus einer vorgegebenen Liste ausgewählt werden. Prozentzahlen geben an, wie häufig ein Risiko im Verhältnis zu allen Antworten genannt wurde.

Anzeige

Die Studie kann in Englisch auf der Webseite des Industrieversicherers AGCS heruntergeladen werden.

Seite 1/2/