Deutschland debattiert die Rente: Das ändert sich auch im neuen Jahr nicht. 2022 meldete sich fast wöchentlich jemand zu Wort, der forderte, einschneidende Veränderungen am aktuellen Status Quo vorzunehmen. Und die Schlagzahl der Reformvorschläge wird in den kommenden Monaten kaum abnehmen, hat doch die Bundesregierung für das laufende Jahr eine Rentenreform angekündigt.

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Die Süddeutsche Zeitung hat nun Monika Schnitzer zu Wort gebeten, Wirtschaftswissenschaftlerin aus München und Vorsitzende der Wirtschaftsweisen. Die 61jährige gibt in dem Interview zunächst Einblicke in ihre persönliche Lebensplanung. Sie selbst wolle über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus arbeiten, weil ihr sonst etwas fehlen würde. „Wenn ich mir ansehe, wie lange viele Kolleginnen und Kollegen im Ruhestand noch aktiv sind, wie sie Vorträge halten, Forschung und Politikberatung machen, dann sehe ich, wie oft das möglich ist“, sagt sie.

Geplante Rentenreform nicht ausreichend?

Die angedachten Reformen der Bundesregierung hält die Ökonomin hingegen für unzureichend. „Wenn man das Rentenniveau so wie geplant halten will und gleichzeitig die Beitragssätze begrenzen, dann müsste noch viel mehr Geld aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse fließen“, sagt Schnitzer. Derzeit zahle der Bund bereits 110 Milliarden Euro in die Rentenkasse ein: ein Viertel des gesamten Bundeshaushalts. „Wenn wir es so laufen lassen, müsste der Bund in 25 Jahren mehr als die Hälfte des Haushalts dafür ausgeben“.

Das aber könne nicht funktionieren, da das Geld dem Bund dann für notwendige Zukunfts-Investitionen fehlen würde: etwa für Bildung, Infrastruktur und Energiewende. Die fehlenden Investitionen behindern dann auch die Wirtschaft, die den Sozialstaat letztlich finanziere. „Wir hätten keinen Handlungsspielraum mehr für die wirklich großen Aufgaben“, gibt Schnitzer zu bedenken.

Babyboomer an den Kosten beteiligen

Um notwendige Reformen einzuleiten, sieht Schnitzer mehrere Stellschrauben. Zum einen das Renteneintrittsalter: Laut Statistik steige die Lebenserwartung jedes Jahrzehnt um ein Jahr. Hier soll das Rentenalter an die steigende Lebenserwartung gekoppelt werden. Für jedes Jahr zusätzlicher Lebenserwartung „kann jemand vier Monate länger Rente beziehen, muss aber auch acht Monate länger arbeiten“, sagt sie. Im Jahr 2061 läge das Renteneintrittsalter dann bei 69 Jahren.

Da auch das nicht ausreiche, sollten die Beitragssätze zur Rentenversicherung schon jetzt leicht angehoben werden, so Schnitzers zweite Forderung. Notwendig sei dies, „um die starke Babyboomer-Generation, die bald in Rente geht, noch an den Kosten zu beteiligen“. Zum Hintergrund: Laut Statistischem Bundesamt werden in den kommenden 15 Jahren rund 12,9 Millionen Erwerbspersonen in den Ruhestand wechseln: die geburtenstärksten Jahrgänge in der Geschichte der Bundesrepublik. Es ist jene Generation, die selbst weniger Nachwuchs zeugte, Stichwort: Pillenknick.

Der dritte Schritt, den die Ökonomin vorschlägt, ist noch weitreichender: und rührt an einem Grundsatz des Rentensystems. Die Höhe der Rente soll nämlich von der Höhe der Löhne entkoppelt werden. Bisher gilt vereinfacht der Grundsatz: Wer viel einzahlt, erhält auch viel Rente. Zudem ist die Entwicklung der Renten an jene der Löhne gekoppelt.

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Schnitzer verwehrt sich aber gegen den Vorwurf, dieser Einschnitt sei ungerecht. Im Gegenteil: Die Reform würde eher zulasten der Gutverdiener gehen. Diese hätten im Schnitt eine höhere Lebenserwartung als Menschen mit geringeren Einkommen und zudem im Alter zusätzliche Einkommensquellen. Hier sollen speziell besonders hohe Renten künftig abgeschmolzen werden, schlägt die Ökonomin vor: Dies würde auch eine Umverteilung unter den Ruheständlern bedeuten.

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