Oliver Bäte ist bekannt als ein Manager, der sich in den Medien meinungsfreudig und auch mal kontrovers äußert - viel Aufmerksamkeit erhielt etwa ein Interview mit der „ZEIT“, in dem er Gerechtigkeit als marxistischen Begriff bezeichnete. „Ich hab so eine Kölsche Zunge“, begründet er dies augenzwinkernd. Doch nun machen Aussagen aus einem Video die Runde, das vermutlich nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt gewesen ist. Der Grund: Bäte fährt harte Attacken gegen seinen eigenen Konzern, Mitarbeiter wie Management. Die besondere Pointe dürfte sein, dass er bereits selbst seit sieben Jahren der Allianz vorsteht.

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“Crap!“ - die IT-Strategie funktioniert nicht?

Konkret handelt es sich um den Mitschnitt einer internen Konferenz, die bereits im Mai stattgefunden hat. Wenn auch nicht gerade in geheimer Atmosphäre: weltweit rund 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten sich zum „AZI Debrief 2022“ zugeschaltet gehabt. Dieses Video hat nun die „WirtschaftsWoche“ ausgewertet. Wie das Magazin berichtet, hat eine brasilianische Allianz-Tochter das Video der Rede online gestellt. Viel Aufmerksamkeit erfuhr es bisher nicht. Ganze zehn Mal sei es abgespielt wurden, bevor es die Redaktion auswerten konnte - inzwischen habe es die Allianz gelöscht.

In seiner Rede wütet Bäte gegen den eigenen Konzern, wobei er vor allem eine Baustelle im Blick hat: die eigene IT. Und kratzt damit an der Außendarstellung der Allianz. Sie stellt sich gern als Digitalkonzern dar, der die Weichen bereits richtig gestellt hat - als einer der führenden Hightech-Versicherer weltweit. Doch so rund scheint es im Konzern noch nicht zu laufen, wenn man Bätes Ausführungen folgt.

Ein häufig verwendetes Schimpfwort sei „Crap!“, berichtet die WirtschaftsWoche. Das bedeutet so viel wie „Mist“ oder „Scheiße“. So müsse der Versicherer seine neuen Systeme mit dem „alten Crap“ verbinden, was extrem kostspielig sei. Und es dürfe nicht darum gehen, „den Crap zu automatisieren, den wir mehr als 130 Jahre lang entwickelt haben“: 1890 war das Gründungsjahr der Allianz. Fast schon selbstkritisch kann man ein weiteres Zitat Bätes lesen: „Ich denke, wir hatten in den vergangenen acht bis zehn Jahren wirklich eine falsche IT-Strategie“, zitiert ihn die WirtschaftsWoche. Er selbst steht der Allianz seit acht Jahren vor.

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Tatsächlich hat die Allianz auf ihrem ehrgeizigen Digitalisierungs-Kurs in den letzten Jahren Rückschläge einstecken müssen. Allianz Pay & Protect sollte zum Beispiel ein digitaler Bezahldienst ähnlich Paypal sein, der zusätzlich Versicherungsschutz für falsche Abbuchungen vorsah. Doch man hatte sich hierbei den denkbar ungünstigsten Partner gesucht, als man das Projekt 2019 startete: Wirecard. Trotz anfänglicher Erfolge wurde das Projekt deshalb beerdigt, nachdem die Bilanz-Manipulationen des Partners aufgeflogen waren. Auch das Vorzeige-Projekt „Allianz Direct“ zeigte bisher nicht den gewünschten Erfolg. Die Idee: länderübergreifend einfache und leicht skalierbare Versicherungs-Tarife anbieten, die ähnlich unkompliziert funktionieren wie zum Beispiel die Abo-Modelle bei Netflix.

Kritik an Teilen des Managements und Mitarbeitern

Als Oliver Bäte die Allianz übernahm, fand er jedoch auch suboptimale Bedingungen vor, um den Versicherer in ein digitales Schnellboot zu verwandeln. Verschiedene Abteilungen arbeiteten mit unterschiedlichen IT-Systemen, oft nicht kompatibel miteinander. Auch die Firmentöchter in den unterschiedlichen Staaten arbeiteten mit unterschiedlichen Programmen und einer unübersichtlichen Vielfalt an Tarifen. Milliarden hat die Allianz seitdem in ihre digitale Infrastruktur fließen lassen - sich zudem bei jungen Start-ups eingekauft, um selbst mit an Zukunftstechnologie zu basteln. Vorstand und Konzern hat Bäte komplett umgebaut: unter anderem die Allianz Deutschland eingestampft und in die Allianz-Gruppe integriert.

Auf Widerstand stieß Bäte hierbei auch bei den Vorständen der Länder-Organisationen und den eigenen Vermittlern. Viele hätten gern am Status Quo festgehalten - auch, weil sie befürchteten, selbst dem Umbau zum Opfer zu fallen. Wiederholt wurde an Bäte der Vorwurf geäußert, er würde seine Digitalreform zu radikal und gegen die Interessen der eigenen Beschäftigten durchsetzen. So hatte zum Beispiel die Allianz Direct Startprobleme - Altkunden des Vorgängers „Allsecur“ beschwerten sich Anfang 2020, dass Verträge trotz Kündigungen weitergeführt wurden und der Service mangelhaft sei. Es drängte sich der Verdacht auf, der Digitalversicherer wurde auf die Reise geschickt, obwohl die Technik noch nicht marktreif gewesen ist. Mittlerweile sind die Probleme beim digitalen Flaggschiff aber behoben.

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In der nun bekannt gewordenen Rede attackiert Bäte auch jene, die seinem Erneuerungsprozess scheinbar im Weg stehen. „Jeder will seinen alten Crap in die neuen Systeme übertragen“, sagte er laut „WirtschaftsWoche“. Und er nimmt die Position der Kundinnen und Kunden ein, wenn er sich beklagt, Kritik an der Komplexität von Produkten und Prozessen würden mit „Bullshit-Antworten“ abgetan. Er greift auch eigene Führungskräfte an. Die Allianz müsse mehr „Manager einstellen und befördern, die gut darin sind, Dinge zu erledigen, anstatt darüber zu reden“.

Angriff auf US-Finanzaufsicht

Ein weiteres Thema im Vortrag waren die Milliardenstrafen, die der Versicherer im Zuge des Skandals um Structured-Alpha-Fonds leisten musste. Die Allianz wurde 2021 mit dem Vorwurf konfrontiert, in den USA hochspekulative Geldanlagen als sichere Altersvorsorge für institutionelle Investoren beworben zu haben. Während der Corona-Krise machten diese Fonds mit Termingeschäften enorme Verluste und mussten teilweise eingestampft werden. Nach einer Einigung mit mit dem U.S.-amerikanischen Justizministerium (DOJ) und der amerikanischen Börsenaufsicht (SEC) bekannte sich die Allianz-Investmenttochter Allianz Global Investors des Wertpapierbetrugs für schuldig. Die Allianz musste deshalb umgerechnet sechs Milliarden Euro als Strafe zahlen.

Doch in seiner Rede relativiert Oliver Bäte die eigenen Verfehlungen - und greift die US-Finanzaufsicht an. So würde zwar in den offiziellen Dokumenten stehen, dass die interne Kontrolle der Aufgabe nicht gewachsen gewesen sei. „Ich kann sagen: Das stimmt nicht“, widerspricht der Vorstandschef. Zwar hätte man Dinge besser machen und kontrollieren können - unter anderem hätten die Fondsmanager gefälschte Berichte verschickt. Doch die verhängten Strafen empfindet Bäte als zu hart. Er macht auch die US-Behörden dafür verantwortlich: „Ich sage das mit allem Respekt für das Ministerium und die SEC: Wären wir ein amerikanischer Konzern, wären die Dinge vielleicht ein bisschen anders gelaufen“.

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Hier schwingt der Vorwurf mit, dass die US-Behörden ausländische Firmen strenger beaufsichtigen und bestrafen als einheimische. Die WirtschaftsWoche macht darauf aufmerksam, dass die US-Dokumente gleich mehrere Verfehlungen der Allianz-Tochter aufführen. Unter anderem hätte die Revision nicht geklappt - und niemand habe überprüft, ob die verantwortlichen AGI-Manager ihre Börsendeals wie versprochen absicherten. Auch seien Hinweise der Investoren auf mögliches Fehlverhalten nicht ernst genommen wurden. Dies habe dazu beigetragen, dass ein Teil der Fonds Milliarden verlor.

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