Am Freitag wurde ein bisher wenig beachteter Video-Mitschnitt von Oliver Bäte bekannt, der seitdem in der Branche viel Aufmerksamkeit erhielt. Der Grund: Der Allianz-Chef greift in einer internen Rede auch Manager und Beschäftigte des eigenen Konzerns an - und legt Defizite offen. Die IT funktioniere nicht wie gewünscht, man habe zudem die falsche IT-Strategie gewählt, viele im Konzern würden sich an „alten Crap“ klammern. Die Wutrede nagt auch am Image der Allianz als einem der führenden Tech-Versicherer.

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Sechs Passwörter für ein Dokument: “Das kann nicht sein!“

Konkret geht es um eine Rede, die Bäte im Mai vor rund 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Allianz in englischer Sprache hielt. Ausgewertet hat sie exklusiv die „WirtschaftsWoche“ - und diese legt nun mit weiteren Details aus der Rede nach. Dabei geht es auch um den Auslöser, der dazu beigetragen haben könnte, dass der Allianz-Chef seine Fassung verlor: ein verzweifelter Kampf mit dem Excel-Programm, der unfreiwillig Einblicke in das umständliche Prozedere bei Deutschlands führendem Versicherer erlaubt.

Laut „WirtschaftsWoche“ schildert Oliver Bäte ziemlich zu Beginn der Rede, wie er am Morgen desselben Tages versucht hat, eine Excel-Tabelle zu nutzen. Doch das entpuppt sich für den Allianz-Chef als Sisyphos-Arbeit. Er habe das Programm zunächst vorinstallieren müssen, um schließlich sechs verschiedene Passwörter eingeben zu müssen, damit er überhaupt Zugriff auf das Programm hat, so schildert Bäte. Ihm sei zwar klar, dass Sicherheitsmaßnahmen notwendig seien, aber hierfür gebe es keine Entschuldigung. Schließlich drohte er den zuständigen Mitarbeitern, so berichtet die WirtschaftsWoche. „Zeigt mir die Leute“, die aus Excel „eine Qual gemacht haben“, wird er zitiert. Und weiter: „Ich freue mich sehr darauf, mich mit ihnen zu beschäftigen.“

"Kein Nonsens mehr!"

Dass sich derartige Prozesse als umständliche Tortur erweisen, widerspricht Oliver Bätes Firmenphilosophie. „Keep it fast and simple“, hat er einst als Losung für den Konzern ausgegeben: einfache Produkte und Prozesse, die leicht nutzbar sind, schlanke Strukturen, kundenfreundliche Anwendungen. Vorbilder sind hierfür branchenfremde Anbieter wie Amazon oder Netflix, die auch deshalb zum weltweiten Siegeszug ansetzen konnten, weil sie es dem Nutzer einfach machen - und somit Wettbewerbsvorteile erzielen. „Netflix“ kennt zum Beispiel nur wenige Abo-Modelle: auch Bäte will die Zahl der angebotenen Versicherungstarife deutlich reduzieren.

Ein Baustein hierfür ist der Direktversicherer „Allianz Direct“, der länderübergreifend einheitliche Tarife anbieten soll, zum Beispiel in der Kfz-Versicherung. Und in Deutschland Startprobleme hatte, wohl weil die Technik noch nicht ausgereift genug gewesen ist, als sie 2019 für Kundinnen und Kunden freigeschaltet wurde. Auf Bewertungsplattformen erhielt das Prestige-Projekt zunächst zahlreiche schlechte Noten, auch wenn die Probleme wenige Monate später behoben waren. „Allianz Direct“ stößt vor allem beim eigenen Vertrieb auf Skepsis, weil die Agenturen befürchten, dass sie langfristig aufs Abstellgleis gestellt werden sollen - obwohl sie nach wie vor mit Abstand wichtigster Neugeschäfts-Bringer sind.

Auch auf diese Pläne, Versicherungen global einheitlich anzubieten, habe Bäte in seiner Rede Bezug genommen, berichtet die „WirtschaftsWoche“. So habe er erklärt, Kfz-Versicherungen seien überall auf der Welt nahezu gleich aufgebaut. Diese Botschaft sei aber aus seiner Sicht nicht bei allen Mitarbeitern angekommen. Auch an dieser Stelle reagierte Bäte laut dem Bericht sehr emotional: Er habe die Ausführungen plötzlich abgebrochen und den Mitarbeitern entgegen geschleudert: „Sorry, Leute, kein Nonsens mehr!“ Man müsse aufhören, über global einheitliche Produkte zu reden - diese stattdessen endlich umsetzen. „Wir haben zu lange zu viele Entschuldigungen akzeptiert“, sagte er in Richtung seiner Mitarbeiter. Die Lösung von Problemen werde von den zuständigen Abteilungen oft mit der Ausrede verhindert, dass zwischenzeitlich ein weiteres Problem aufgetaucht sei.

Keine Selbstkritik

Die Wutrede des Allianz-Chefs lege nahe, dass er mit der Umsetzung seiner Strategie im Konzern sowie eigenen Personalentscheidungen unzufrieden sei, kommentiert die „WirtschaftsWoche“. Doch Selbstkritik habe Bäte ausgespart, obwohl er bereits seit siebeneinhalb Jahren im Amt ist. Stattdessen habe er seine Wut an Mitarbeiter und andere Vorstände adressiert - sie unter anderem "feige" genannt.

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Trotz der Probleme mit der eigenen digitalen Agenda kann Oliver Bäte aber auch Erfolge vorzeigen. Die Allianz präsentierte Top-Geschäftsergebnisse in Zeiten, als andere Wettbewerber aufgrund dauerhaft niedriger Zinsen und anderer Krisen zu kämpfen hatten. Den Altersvorsorge-Markt dominieren die Münchener hierzulande mit fast erdrückender Macht: jeder dritte verdiente Euro im Leben-Segment geht an die Allianz. Auch sein Erneuerungskurs wird von Branchenbeobachtern grundsätzlich als richtig -und notwendig- eingestuft. Dem entgegen stehen Rückschläge wie die Milliarden-Strafzahlungen um verlustreiche Structured-Alpha-Fonds, die auch ein schlechtes Licht auf die internen Kontrollinstanzen werfen.

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