Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den sogenannten Hauptrefinanzierungssatz erneut kräftig angehoben: jener Zinssatz also, der häufig auch als „eigentlicher Leitzins“ bezeichnet wird. Er reguliert, zu welchen Konditionen sich Banken Geld von der Zentralbank leihen können - und beeinflusst wesentlich den Zins fürs Kundengeschäft der Geldinstitute. Er wird um 0,75 Prozentpunkte auf nun zwei Prozent steigen, wie die EZB am Donnerstag bekannt gab.

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Es ist bereits das dritte Mal in diesem Jahr, dass die Zentralbank den Leitzins raufsetzt: erst im September war er ebenfalls um 0,75 Prozentpunkte angehoben worden. Die EZB will damit die aktuelle Rekordinflation im Euroraum bekämpfen. Im September erreichte die Geldentwertung einen Rekordwert von 9,9 Prozent - Experten erwarten, dass sie zweistellig werden könnte. Die Notenbank peilt stattdessen einen Wert von höchstens zwei Prozent an.

Aktuelle Inflation - höherer Leitzins geeignetes Mittel zur Bekämpfung?

Ob die Erhöhung des Leitzinses geeignet ist, tatsächlich der Inflation entgegenzuwirken, daran gibt es jedoch Zweifel. Der Grund: Der angedachte Mechanismus wirkt vor allem dann, wenn der höhere Zins auf die Nachfrage wirkt. Stark vereinfacht: Verbraucher schränken durch die höheren Zinsen ihren Konsum ein und sparen mehr, was dazu beiträgt, dass Marktpreise korrigiert werden und fallen. Die Inflation sinkt.

Wie die ARD Tagesschau berichtet, verweisen jedoch Ökonomen darauf, dass es sich in diesem Fall um eine sogenannte angebotsinduzierte Inflation handelt: entsprechend argumentiert etwa das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln. Bestimmte Produkte und Rohstoffe stehen aufgrund des Ukraine-Krieges nur noch sehr eingeschränkt zur Verfügung, sodass sie sich enorm verteuern. Hier hilft es wenig, die Nachfrage künstlich runterzuschrauben: erst recht nicht, wenn es sich um Produkte des täglichen Bedarfs handelt, auf die kaum verzichtet werden kann. “Gegen einen großen Teil der aktuellen Inflation ist die Geldpolitik derzeit machtlos", schlussfolgern die IW-Autoren Markus Demary und Jonas Zdrzalek.

Begünstigt höherer Leitzins eine drohende Rezession?

Zudem befürchten Experten, dass die höheren Zinsen eine Rezession der europäischen Volkswirtschaften begünstigen könnte. Entsprechende Bedenken äußert auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), obwohl er den Zinsschritt grundsätzlich begrüßt.

„Die EZB hat im Moment keine leichten Entscheidungen mehr zu treffen: Wenn man zu spät mit dem Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik beginnt, braucht man große Zinsschritte, auch wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, zu einer Rezession beizutragen", erklärt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.

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Da das primäre Mandat der EZB Preisstabilität sei, sei die aktuelle Zinsanhebung ein richtiger Schritt, argumentiert Asmussen weiter: Er rechne damit, dass ein weiterer Anstieg in diesem Jahr folgen werde. "Man sollte positiv feststellen, dass seit einigen Wochen die Inflationserwartungen im Euroraum sinken", so der Ökonom. Das Sinken der Inflationserwartungen sei wichtig, um mittelfristig Preisniveaustabilität zu erreichen, "hilft aber kurzfristig den Verbraucherinnen und Verbrauchern nichts“, mahnt Asmussen.

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