Die Inflation galoppiert auf ein Rekordniveau, im Herbst erwartet die Bundesbank für Deutschland sogar eine Geldentwertung im zweistelligen Bereich. In vielen anderen EU-Staaten zeigt sich ein ähnliches Bild. Das hat auch die Europäische Zentralbank (EZB) tätig werden lassen. Zum ersten Mal seit elf Jahren setzte sie den Leitzins wieder rauf, sogar mehrfach - er stieg im September auf 1,25 Prozent. Auch die US-amerikanische FED hat den Leitzins erhöht.

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Doch was bedeuten steigende Zinsen für die Kundinnen und Kunden von Lebensversicherungen? Dazu hat sich die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) in ihrer September-Ausgabe von „Aktuar Aktuell“ (Ausgabe 59) positioniert. Aus Sicht der Versicherungsmathematik sind positive Auswirkungen zu erwarten - wenn auch langfristig.

Viele der Zinsentscheidungen seien an den Finanzmärkten bereits eingepreist, was sich unter anderem in steigenden Renditen für Staatsanleihen niederschlage, berichten die Aktuare. Ein Beispiel: in den letzten Jahren musste die Bundesrepublik ihren Gläubigern gar keinen Zins zahlen, wenn sie zehnjährige Papiere ausgab. Das hat sich geändert. Inzwischen beträgt der zu zahlende Zins wieder rund 1,5 Prozent.

Argumentation gegen alarmistische Stimmen

Für die Kundinnen und Kunden seien das gute Nachrichten, schreibt die DAV. Und kritisiert Ökonomen, die einseitig negative Effekte betonen. Tatsächlich werden Anleihen, die in Niedrigzins-Zeiten gezeichnet wurden, zunächst niedriger bewertet, da mit neuen Papieren wieder mehr Rendite erzielt werden kann. Nach wie vor bestünden 80 bis 85 Prozent der Wertanlagen bei Lebensversicherern aus festverzinslichen Wertpapieren, berichten die Aktuare.

Tatsächlich hätten die niedrigen Zinsen große „stille Reserven“ hervorgebracht, heißt es in dem Bericht. Diese würden im Zinsanstieg kleiner und haben sich in den meisten Häusern bereits in „stille Lasten“ verwandelt. Stark vereinfacht bedeutet dies: in Zeiten des Niedrigzinses profitierten die Versicherer davon, dass sie viele lang laufende Anleihen hielten, die sie bereits in Zeiten abgeschlossen hatten, als es auf diese Papiere noch mehr Zins gab. Weil die hohen Zinsen der Papiere den Marktwert weit über den Kaufwert hoben, konnten Verluste aus dem Niedrigzinsumfeld weitestgehend durch Überschusskapital und Reserven aufgefangen werden.

Nun dreht sich dieser Effekt um. Wer neue Wertpapiere zeichnet, erhält wieder mehr Zins. Zeitgleich sinkt der Marktwert der gehaltenen Anleihen unter den Kaufwert, weil die lange laufenden Anlagen nicht die Potenz des aktuellen Marktgeschehens wiedergeben. In der Folge leidet die Branche unter stillen Lasten. Das Ratinghaus Assekuranz hat diese jüngst branchenweit auf 40 Milliarden Euro geschätzt.

Stille Lasten kein Problem, wenn…

Aber sowohl stille Reserven als auch stille Lasten seien für die Versicherer „reine Momentaufnahmen“, argumentiert die DAV. Denn üblicherweise halten sie die Gesellschaften bis zur Endfälligkeit. Und dann haben sie einen festen Wert, der bereits beim Zeichnen der Papiere vereinbart wurde. Das unterscheide die Lebensversicherer von den Geschäftsbanken, die wiederum aufgrund kurzfristig orientierter Anlage stärker unter dem Zinsanstieg leiden. Bedingung ist gleichwohl, dass die Versicherer nicht gezwungen sind, aufgrund hoher Garantiezusagen etc. ihr Tafelsilber zu veräußern bzw. Anleihen abstoßen müssen, um sich kurzfristig Kapital zu beschaffen.

Doch dass die Versicherer kurzfristig zusätzliches Kapital benötigen, davon ist aktuell nicht auszugehen. Im Gegenteil: “Aktuell können Neu- und Wiederanlagen deutlich rentabler als in der Vergangenheit ge- tätigt werden. Dies wird die Ertragskraft der Kapitalanla- genportfolios mit der Zeit stärken“, heißt es in dem DAV-Aufsatz. Negativer Nebeneffekt: Weil aber auch die Banken wieder beginnen, Guthaben zu verzinsen und keinen Strafzins mehr von Kundinnen und Kunden fordern, könnte dies das Geschäft der Versicherer mit Einmalbeiträgen ausbremsen. Diese waren in den letzten Jahren überproportional Treiber des Neugeschäfts im Leben-Segment.

Ein weiterer positiver Effekt steigender Zinsen: die gesetzlich vorgeschriebene Zinszusatzreserve sollte in diesem Jahr ausfinanziert sein. Das sind jene Rücklagen, die Versicherer verpflichtend ansparen müssen, um Garantiezusagen an Kundinnen und Kunden abzusichern.

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In Zeiten des Niedrigzinses sind diese Reserven so stark angestiegen, dass sie einige Versicherer eher zusätzlich belastet haben: im Branchenschnitt bezifferten sie sich Ende 2021 auf 100 Milliarden Euro. Doch die Sparenden profitieren von den positiven Effekten eher langfristig durch zu erwartende höhere Überschussbeteiligungen. „Das Konzept ist auf den Ausgleich von Schwankungen der Finanzmärkte ausgelegt. Damit werden besonders starke Einbrüche abgefedert, aber gleichzeitig wirken sich Bullenmärkte erst zeitverzögert positiv aus“, berichtet die DAV.

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