Das Tief „Bernd“, welches im letzten Jahr vor allem in Rheinland-Pfalz und Nordrhein Westfalen schwere Schäden anrichtete, zählt zu den schwersten Hochwasser-Katastrophen in der Geschichte der Bundesrepublik. 190 Tote waren zu beklagen, neben Privathäusern wurden auch Industrieanlagen und Infrastruktur schwer beschädigt. Das hat wiederholt die Forderung laut werden lassen, dass sich alle Hausbesitzer in Deutschland verpflichtend gegen Hochwasser-Schäden absichern müssen. Entsprechende Vorbilder für eine solche obligatorische Lösung gibt es zum Beispiel in Frankreich und der Schweiz. Die Idee: Wird das Risiko auf mehr Schultern verteilt, finden auch jene bezahlbaren Schutz, die ihr Haus in einer Hochwasser-Risikozone stehen haben.

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Pflichtversicherung „keine Schwarz-Weiß-Entscheidung“

In ihrem Magazin „Aktuar Aktuell“ vom September 2022 widmen sich nun die deutschen Versicherungsmathematiker einer möglichen Versicherungspflicht gegen Hochwasser-Risiken und andere Elementargefahren. Eine solche Lösung sei keine „Schwarz-Weiß-Entscheidung“, argumentiert die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV). Durchaus melden die Fachleute aber auch Bedenken an, die sich daraus ergeben, dass solche Tarife versicherungstechnisch kalkuliert werden müssen. Vereinfacht ausgedrückt: nicht nur für die Versicherten müssen sich aus einer solchen Lösung Vorteile ergeben. Sie darf auch keine -im Zweifel existenzgefährdenden- Nachteile für die Versicherer mit sich bringen.

In ihrem Fachaufsatz weist die DAV zunächst auf die extrem hohen Kosten hin, die durch Sturmtief „Bernd“ entstanden sind. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bezifferte die versicherten Schäden im Sommer 2022 auf etwa 8,2 Milliarden Euro. Doch das sind nicht alle Schäden, für die im Falle einer Pflichtversicherung die Anbieter hätten aufkommen müssen. Allein im Bundesland Rheinland-Pfalz seien nach Angaben der Landesregierung 18 Milliarden Euro an Schadenskosten entstanden.

Im Anschluss an die Flutkatastrophe ist danach eine teils hitzige Debatte um eine mögliche Elementarschaden-Pflichtversicherung entstanden. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zeigte sich im Juli 2021 „offen für eine solche Lösung“, wie er im ARD Morgenmagazin sagte. Strittig sind aber die Details einer Versicherungspflicht - zum Beispiel, wie stark der Staat der Staat hier eingreift und welche Vorgaben den Privatversicherern gemacht werden sollen. Hier versteht die DAV ihren Fachaufsatz auch als Beitrag „zur Versachlichung der gesellschaftlichen und parlamentarischen Debatten“, wie es im Text heißt.

Banal gestaltet sich die Ausgestaltung einer solchen Versicherungspflicht aber nicht, wie die DAV verdeutlicht. So gebe es zunächst verfassungsrechtliche Bedenken, ob eine solche überhaupt eingefordert werden kann. Hinzu treten aber versicherungstechnische Probleme. Hier führt der Verband vier Faktoren an:

  1. Eine Pflichtversicherung könnte fehlende Anreize für die Prävention und klimaangepasste Planung bei Bauvorhaben bedeuten. Hier hatte bereits der GDV argumentiert, dass es darum gehe, erst gar nicht in sehr gefährdeten Hochwasser-Risikogebieten zu bauen statt hinterher die Scherben zusammenzukehren.
  2. Der individuelle Versicherungsschutz muss auch für die Hausbesitzer bezahlbar sein. Dies kann im Konflikt stehen mit den Interessen der Versicherer, die solche Tarife entsprechend kalkulieren müssen. Denn auch für die Anbieter ist es wichtig, dass die potentiellen Schäden nicht die eigene Finanzkraft gefährden. Wie bereits oben erwähnt, sind selbst bei einzelnen Ereignissen Schäden in Milliarden-Höhe wahrscheinlich.
  3. Dies führt zu Punkt drei: Die Versicherung könnte einen erhöhten Kapitalbedarf haben, wenn sie solche Gefahren absichern soll. Eigenmittel müssten entsprechend aufgestockt werden.
  4. Grundsätzlich stoßen privatwirtschaftliche Versicherungslösungen an ihre Grenzen. Risiken, die wiederholt mit extrem hohen Kosten verbunden sind, können unter Umständen nur abgesichert werden, wenn sich Privatwirtschaft und öffentliche Hand zusammentun - oder Bund und Länder gleich ganz für das Risiko einstehen.

Die Grenzen der privatrechtlichen Versicherung: Kumulschäden

Im darauf folgen Absatz nehmen sich die Autoren der Deutschen Aktuarvereinigung die Grenzen privatwirtschaftlicher Versicherungslösungen vor. „Privatrechtlich organisierte Versicherungslösungen zeichnen sich dadurch aus, dass Beiträge und Leistungen – insbesondere Selbstbehalte und Leistungsbegrenzungen in Form von Deckungssummen – klar individualvertraglich festgelegt sind und nachträglich nur nach vorab festgelegten Regeln angepasst werden können“, heißt es hierzu im Text.

Dieses Prinzip sei auch notwendig, um Antiselektion zu vermeiden: stark vereinfacht, dass die interessierten Kundinnen und Kunden einen Wissensvorsprung über ihr individuelles Risiko nutzen, um sich gegenüber dem Versicherer einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. Denn wenn das Gros der Versicherten so agieren würde, würde das den Versicherer finanziell überlasten - und in seiner Existenz bedrohen, da die Ausgaben höher wären als die Beitragseinnahmen. Das schließt auch ein, dass Versicherer ihr finanzielles Risiko minimieren, indem sie Anträge auf Vertragsabschluss ablehnen können, die Versicherungssumme deckeln - und die Beiträge risikogerecht kalkulieren.

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Diese Charakteristika privatwirtschaftlicher Lösungen müssten auch bei einer möglichen Versicherungspflicht bedacht werden, argumentiert der DAV. „Zwar verbessert sich bei einer Pflichtversicherung aufgrund der höheren Anzahl Versicherungsnehmender die Kalkulationsbasis im Allgemeinen, dies hat aber nur sehr beschränkte Auswirkungen auf die risikogerechte Prämie“, schreibt der Verband.

Hochwasser-Risiken sind Kumulrisiken

Dass den Versicherern hier bestimmte Freiheiten bei der Kalkulation der Prämie und der Wahl der Kundinnen und Kunden gelassen werden müssten, ergibt sich aus einem weiteren wichtigen Grund. Elementarereignisse wie zum Beispiel Flutkatastrophen sind kumulschadenanfällig. Das bedeutet konkret: in einer bestimmten Region sind sehr viele Gebäude gleichzeitig betroffen, ohne dass ein Risikoausgleich durch das Versichertenkollektiv erfolgen könnte. Das erschwere die Kalkulierbarkeit der erwarteten Schäden und folglich auch der Prämien. Im Zweifel müssen die Versicherer fürchten, dass ein oder mehrere Schadenereignisse ihre Finanzkraft überfordern.

Eine privatwirtschaftlich organisierte Pflichtversicherung könne deshalb aus aktuarieller Sicht nur ein Teil der Lösung sein, wenn es um die Absicherung von Elementargefahren gehe, schreibt der Verband. Dort, wo privatwirtschaftliche Lösungen möglich seien, bedeute der private Schutz aber einen Vorteil gegenüber sozialpolitischer Lösungen wie etwa Staatshilfen. Die risikoadäquate Kalkulation und entsprechende Vorauswahl verhindere Trittbrettfahrer-Effekte: dass folglich Menschen von den Finanzhilfen profitieren, ohne dass sie bereit sind, sich an den Kosten zu beteiligen.

DAV formuliert Mindestanforderungen

Aus diesen Charakteristika folgend formuliert der DAV Mindestanforderungen, die für eine Elementar-Versicherungspflicht erfüllt sein müssen. So soll den Versicherern gestattet sein, mit Kundinnen und Kunden geeignete Selbstbehalte zu vereinbaren, um die Eigeninitiative und die Prävention gegen Hochwasserschäden zu unterstützen. Die Deckungssummen sollen ebenfalls begrenzt sein, um die Kalkulation der Risiken zu erleichtern. Zudem soll im Sinne einer Public-Private-Partnership ein steuerfinanzierter sozialpolitischer Mechanismus greifen, sodass der Staat einen Teil der Kosten trägt - und mit Soforthilfen eingreifen kann.

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Einen grundsätzlichen Kontrahierungszwang hingegen lehnt der DAV ab: diesen soll es maximal für bestehende Gebäude- und Feuerversicherungen geben. Grundsätzlich spricht sich der Verband für eine Produkt- und Tariffreiheit aus. Er bringt ins Gespräch, dass Menschen mit fehlender Finanzkraft ihre Prämie staatlich gefördert bekommen können. Weitere Aspekte finden sich in der aktuellen Ausgabe des DAV-Magazins.

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