Die gesetzlichen Krankenkassen steuern 2023 auf ein gewaltiges Finanzloch zu: zwischen 17 und 23 Milliarden Euro könnte das Defizit liegen, je nachdem, ob man aktuell die Schätzungen der Bundesregierung oder von Wirtschaftsforschungsinstituten für realistischer hält. Das nutzt nun der PKV-Verband zu einem Vorstoß in eigener Sache. Er fordert von der Politik, von einer möglichen Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze abzusehen.

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Grenze, ab der Beschäftigte zu PKV wechseln können

Stark vereinfacht gibt die Versicherungspflichtgrenze an, ab welchem Einkommen sich ein Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin privat krankenversichern darf. Sie wird jährlich überprüft und angepasst - ein Faktor ist die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter. Steigen diese, so wird in der Regel auch die Grenze raufgesetzt. Dann benötigen Beschäftigte ein höheres Einkommen, um zu einer privaten Krankenversicherung zu wechseln.

Mittlerweile liegt die Versicherungspflichtgrenze bei 64.350 Euro Bruttoentgelt im Jahr – das 1,7-fache des Durchschnittseinkommens (2022: 38.901 Euro). Doch hier ist im Gespräch, diese Grenze an das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung anzupassen. Damit müssten Wechselwillige mindestens 84.600 Euro per annum verdienen, um sich privat zu versichern: oder 7.050 Euro im Monat. Es handelt sich um eine außerordentliche Anhebung der Versicherungspflichtgrenze: eine solche hatte es zuletzt im Jahr 2003 gegeben. "Die außerordentliche Anhebung der Versicherungspflichtgrenze auf 84.600 Euro würde den Markt im Bereich der Arbeitnehmer für die PKV faktisch schließen", klagt der PKV-Verband.

PKV-Verband vermutet politisches Manöver

Der PKV-Verband vermutet hinter der geplanten Anhebung ein politisches Manöver. Die Versicherungspflichtgrenze sei ursprünglich zur Absicherung sozial Schutzbedürftiger eingeführt worden. Diese Funktion sei heute überholt. Der Gesetzgeber verfolge damit vielmehr das Ziel, den versicherungspflichtigen Personenkreis in der GKV auszudehnen und dadurch kurzfristig zusätzliche Finanzierungsquellen zu erschließen.

“Im demografischen Wandel kann die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze jedoch nicht die Antwort auf die strukturellen Probleme der GKV sein – sie würde im Gegenteil die demografischen Probleme der GKV sogar noch verschärfen. Mittelfristig würden mit der Alterung des erweiterten Kreises von Versicherungspflichtigen die Leistungsausgaben stark steigen“, positioniert sich der Verband. Die altersbedingt steigenden Ausgaben gingen stattdessen zulasten zukünftiger Beitragszahler - zumal die GKV keine Vorsorge betreibe, etwa Rücklagen anspare, um künftige Generationen zu entlasten.

Krankenkassen könnten von Wechsel der Mitglieder in PKV-System profitieren

Im Gegenteil könnten die Krankenkassen sogar profitieren, wenn man Beschäftigen einen zeitigeren Wechsel ins Privatsystem ermögliche. „Denn jeder Wechsler von der GKV in die PKV wird bis zum Zeitpunkt des Wechsels mehr in die GKV eingezahlt haben, als er bis dahin an Leistungen in Anspruch genommen hat. Die ausgabenintensiveren Jahre der zweiten Lebenshälfte würden diese Versicherten aber dann in der PKV verbringen“, argumentiert der Verband.

Erneut argumentiert der Lobbyverband auch damit, dass das Gesundheitssystem von den privaten Krankenversicherern profitiere. Denn in der PKV würden die Behandlungskosten ohne Budgetgrenzen erstattet und für viele medizinische Leistungen auch höhere Honorare gezahlt. "So entsteht in der Gesundheitsversorgung ein echter Mehrumsatz von jährlich 11,5 Milliarden Euro, der allen zugutekommt: auch den gesetzlich Versicherten", schreibt der Verband.

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Was an Information fehlt: Das PKV-System selbst bedeutet mittlerweile Mehrbelastungen für den Steuerzahler. Mehr als die Hälfte aller privat Versicherten hat einen Beihilfe-Anspruch, sodass große Teile der Gesundheitskosten aus Steuermitteln erstattet werden. Diese Kosten explodieren seit Jahren, da immer mehr Beamte und öffentlich Angestellte in ein Alter kommen, in dem die Gesundheitskosten statistisch steigen. Hierfür müssen auch entsprechende Rücklagen gebildet werden: Die Rückstellungen des Bundes für Beihilfen stiegen von 2018 bis 2019 binnen Jahresfrist von 190,75 Milliarden Euro auf 213,83 Milliarden Euro an, ein Plus von 14,72 Prozent innerhalb eines Jahres. Die Rücklagen der Länder als Dienstherren sind hierbei noch nicht eingerechnet.

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