Es sind drastische Zahlen, die das Statistische Bundesamt (Destatis) in einem aktuellen Pressetext präsentiert. In den nächsten 15 Jahren werden demnach die sogenannten Babyboomer in Rente gehen: also die zahlenmäßig stärksten Jahrgänge in Deutschland, geboren zwischen 1957 und 1969. Dem Arbeitsmarkt gehen damit rund 12,9 Millionen Erwerbspersonen verloren, die bis 2036 das Rentenalter überschritten haben. Dies entspricht knapp 30 Prozent der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen, so zeigt die Auswertung des Mikrozensus 2021.

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Jüngere Jahrgänge werden diese potentiellen Verluste nicht ausgleichen können. So reicht etwa die Generation der 40- bis 49jährigen, die im Berichtsjahr 2021 mit 89 Prozent die höchste Erwerbsquote aufwiesen, nicht ansatzweise zahlenmäßig an die ausscheidenden Babyboomer heran. 8,9 Millionen Erwerbstätige zählt diese Generation mittleren Alters derzeit. Die Generation der 20- bis 24jährigen ist noch dünner besetzt: Hier standen 8,4 Millionen Erwerbspersonen zur Verfügung.

Auch der Langzeittrend lässt eher skeptisch in die Zukunft blicken. Betrachtet man die Bevölkerung zwischen 15 und 79 Jahren in 5-Jahres-Altersgruppen, so zeige sich, dass die älteren Altersgruppen durchgehend mehr Erwerbspersonen umfassen als die jüngeren, berichtet Destatis.

Sich verschärfender Fachkräftemangel

Für die deutsche Wirtschaft bedeutet dies, dass sich der ohnehin bestehende Fachkräftemangel in den kommenden Jahren noch deutlich verschärfen könnte. Nach einer Auswertung des Münchener ifo-Institutes erreichte dieser Mangel bereits im Juli 2022 ein Allzeithoch. Fast jedes zweite deutsche Unternehmen (49,7 Prozent) sagte demnach laut repräsentativer Umfrage aus, dass sie aktuell beeinträchtigt seien, weil sie keine geeigneten Mitarbeiter finden.

„Immer mehr Unternehmen müssen ihre Geschäfte einschränken, weil sie einfach nicht genug Personal finden“, sagt Stefan Sauer, Arbeitsmarktexperte am ifo Institut. „Mittel- und langfristig dürfte dieses Problem noch schwerwiegender werden.“

Am stärksten betroffen ist die Dienstleistungsbranche, wo im Juli 54,2 Prozent der befragten Unternehmen über Probleme berichten. Der Anteil ist in kurzer Zeit stark angestiegen: im April klagten noch 47,7 Prozent der Dienstleister über fehlendes Personal. Hier hinterlässt auch die Corona-Pandemie Spuren: Viele Mitarbeitende haben sich während der Lockdowns neue Arbeit in anderen Bereichen gesucht. Die Beherbergungsbetriebe und die Veranstaltungsbranche lagen folglich mit rund 64 Prozent über diesem Branchendurchschnitt.

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Aber auch im Verarbeitenden Gewerbe klagten 44,5 Prozent der Umfrageteilnehmer über fehlendes Fachpersonal. Nahrungsmittelhersteller waren mit 58,1 Prozent der Unternehmen überproportional betroffen, auch die Hersteller von Datenverarbeitungsgeräten und von Metallerzeugnissen (rund 57 Prozent). Im Einzelhandel klagten 41,9 Prozent der Firmen über Probleme, im Baugewerbe 39,3 Prozent und im Großhandel 36,3 Prozent.

Erwerbsbeteiligung von Frauen nach wie vor geringer

Was aber sind potentielle Auswege aus der Misere des Fachkräftemangels? Eine Hoffnung könnte in einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen liegen, sofern hier Hürden -schlechtere Aufstiegschancen bei Teilzeitarbeit, fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf etc.- abgebaut werden. Noch immer verbringen in Paarhaushalten Frauen deutlich mehr Zeit mit Hausarbeit, Pflege Angehöriger und Kinderbetreuung, so Studien des DIW Berlin. Wobei Frauen eher Arbeiten übernehmen, die häufig anfallen und zeitlich unflexibel sind. Das spiegelt sich auch in der Arbeitsmarktstatistik wieder. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen war 2021 über alle Altersgruppen hinweg merklich geringer als die der Männer, berichtet Destatis anhand des Mikrozensus.

Für die Bevölkerung zwischen 30 und 39 Jahren lag die Erwerbsquote der Frauen rund 11 Prozentpunkte niedriger als die der Männer. Für die Altersgruppen zwischen 40 und unter 65 Jahren lag die Differenz im Schnitt bei etwas über 8 Prozentpunkten. "Eine größere Arbeitsmarktpartizipation von Frauen könnte somit zur Aktivierung eines insgesamt größeren Erwerbspersonenpotenzials beitragen", schreibt das Statistische Bundesamt.

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Eine weitere Lösung: qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland. Hier kamen jüngst Stimmen aus der FDP, ausgerechnet mit der gesetzlichen Rente um ausländische Fachkräfte zu werben. „In Zeiten von akutem Fachkräftemangel und der teilweise verzweifelten Suche nach Personal sollten wir unseren Exportschlager Rente noch selbstbewusster bei Anwerbungsversuchen betonen“, sagte Markus Herbrand, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der Zeitung "Welt". Nicht nur „die vernünftigen Lohnzahlungen, sondern auch die mindestens mögliche Grundabsicherung im Alter“ würden Deutschland als attraktiven Arbeitsort auszeichnen.

Eine weitere Option wäre, dass ältere Menschen länger arbeiten, auch freiwillig: zum Beispiel durch flexiblere Möglichkeiten, sich im Ruhestand etwas hinzuzuverdienen. Hier geht der Trend eher in die andere Richtung. Die vergleichsweise niedrige Erwerbsbeteiligung von 63,6 Prozent bei den 60- bis 64-Jährigen zeige, "dass sich diese Altersgruppe schon in der Übergangsphase in den Ruhestand befindet", berichtet Destatis. Auch die Digitalisierung bietet die Chance, in bestimmten Bereichen Fachkräfte zu ersetzen - durch Künstliche Intelligenz und Maschinen.

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