Als es darum ging, hochverzinste Altverträge in der Lebensversicherung abzuwickeln, wählte die Ergo einen eigenen Weg und nahm hierfür richtig viel Geld in die Hand. Anders als zum Beispiel die Generali oder Zurich gab die Ergo ihre Altbestände nicht an einen Drittanbieter ab, sondern entwickelte gemeinsam mit dem Tech-Riesen IBM eine eigene Run-off-Plattform. Immerhin 4,5 Millionen Verträge der Konzerntöchter Ergo Leben und Victoria Leben werden seit 2018 dorthin überführt, bisher seien nach Konzernangaben 450.000 Policen übertragen wurden.

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Dass sich die Düsseldorfer für eine interne Lösung entschieden, hatte stark vereinfacht zwei Gründe. Zum einen fürchtete man einen Imageverlust beim Kunden: Der Fall Generali führte zu einem Aufschrei in der Medienlandschaft, weil es als Vertrauensbruch gewertet wurde, dass sich Versicherer ihrer eigenen Kunden „entledigen“. Sogar bei Frank Plasberg wurde das Thema zur besten Sendezeit debattiert.

Zum anderen aber sah die Ergo auch die Chancen. Viele Versicherer liebäugelten damit, hochverzinste Altverträge auszulagern, da sie mit viel Eigenkapital unterlegt werden müssen: Das machte sich in Zeiten dauerhaft niedriger Zinsen schlecht in der Bilanz. Eine schlanke und funktionierende Run-off-Plattform erlaubte es folglich nicht nur, den eigenen Bestand günstig zu verwalten. Man konnte sich auch als Service-Dienstleister für andere Versicherer empfehlen.

Thipara - jetzt hat das Projekt einen Namen

Die Ergo und IBM machten nie ein Geheimnis daraus, dass sie die eigene Run-off-Plattform auch anderen Versicherern anbieten wollen: Dies wurde bereits in den ersten Pressetexten kommuniziert. Doch bisher spielte sich das eher im Hintergrund ab. „Die Plattform ist ausdrücklich auch für die Verwaltung von Vertragsbeständen anderer Unternehmen konzipiert“, sagte Thomas Rechnitzer, IBM Vice President Geschäftsbereich Versicherungswirtschaft DACH, 2020 im Interview mit dem Versicherungsboten.

Nun aber präsentieren die beiden Partner ihre Run-off-Plattform offensiv der Öffentlichkeit: und werben um Kunden aus der Branche. Hierfür hat das Joint Venture einen Namen bekommen: Thipara GmbH. Eine aufgeräumte Webseite preist an, weshalb sich Versicherer für diesen Partner entscheiden sollten:

„Wir wollen Ihr starker Partner für die nach­haltige und effiziente sowie qualitativ hoch­wertige Ver­wal­tung von Lebens­ver­si­che­rungs­be­ständen werden. Mit High-End IT-Lösungen und um­fassendem Ver­sicherungs-Know-how wollen wir Sie ver­trauens­voll und zu­verlässig bei Be­stands­mi­gra­tion und Ver­wal­tung unter­stützen“, heißt es da. Damit die Kunden zufrieden seien, die Rentabilität stimme - und sich die Versicherer auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Zuerst hat der Versicherungsmonitor über den neuen Markenauftritt berichtet.

Die Geschäftsführung von Thipara stellen Frank Wittholt und Joachim Fensch: beides erfahrene Ergo-Manager, die ebenfalls im Vorstand der Ergo Leben, Victoria Leben und Ergo Pensionskasse sitzen. Neben der Verwaltung der übertragenen Leben-Bestände und der Bestandsmigration bietet das Unternehmen auch ein „Consulting in allen Projektphasen“ an. Dabei soll bereits im Vorfeld Hilfe geleistet werden, wie neue IT-Strukturen und Systeme mit der bestehenden Technik kompatibel gemacht werden können, wie sich die Übertragung aktuariell auswirkt - und auch beim Managen der Kapitalanlagen will Thipara unterstützen. Hierfür wird der Vermögensverwalter der Munich Re eingespannt: MEAG.

Schwierig, Drittkunden zu gewinnen?

Die Ergo kennt die Vorteile einer schlanken IT-Plattform aus eigener leidvoller Erfahrung. Die Düsseldorfer haben einen langen und teuren Umbauprozess hinter sich, bei dem es auch darum ging, die marode und veraltete IT zukunftsfest zu machen: Auch die veraltete IT war ein Grund, weshalb der Versicherer in den Jahren 2015 und 2016 noch rote Zahlen schrieb. Andere Versicherer teilten die Sorgen. Speziell im Leben-Geschäft wirkte sich das nachteilig aus: So rüffelte die BaFin die Versicherer, weil viele Vertragsdaten noch händisch übertragen werden mussten. Das kostet Zeit und Ressourcen.

Gerade für kleine und mittelständische Versicherer kann es deshalb lukrativ sein, externe Dienstleister und Plattform-Betreiber für das Verwalten von Altbeständen zu beauftragen: Es wäre enorm teuer, hier eigene IT-Lösungen zu entwickeln. Aber das Modell hat Grenzen, wie ausgerechnet Deutschlands Platzhirsch der Branche erfahren musste:

Die Allianz hatte mit Syncier extra eine eigene Hightech-Schmiede ins Leben gerufen, um anderen Versicherern zum Beispiel ein Betriebssystem anzubieten. Bei den Versicherern fand das Projekt des blauen Riesen aber kaum Interesse. Laut „Süddeutscher Zeitung“ nutzten zuletzt lediglich zehn Anbieter das System: auch Leben-Bestands-Abwickler wie Athora oder die Frankfurter Leben.

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Die Allianz zog deshalb einen Schlussstrich. Zwar stampfte man Syncier nicht ein: aber die Tochter soll nun nicht mehr um Neukunden werben. Ein Grund, weshalb es schwierig ist, andere Versicherer für die eigenen Services zu gewinnen: Es erfordert einen enormen Aufwand, die Bestände zu übertragen und verschiedene IT-Systeme kompatibel zu machen, das kann Jahre dauern. Zugleich aber haben die Versicherer auch Bedenken, den Bestand an Anbieter zu übertragen, bei denen ein Wettbewerber im Spiel ist. Dieser könnte Einblicke in das Geschäft erhalten - und sich die Erkenntnisse selbst zu Nutze machen? Ergo und IBM müssen nun beweisen, dass sie das Vertrauen dritter Versicherer für sich gewinnen können.

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