Statistische Daten zu dieser Behauptung nennt der Spiegel nicht. Stattdessen wird Jürgen Hennemann zitiert, Fachanwalt für Versicherungsrecht aus Buchholz bei Hamburg. „Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass Sie eine trügerische Sicherheit haben“, wird Hennemann zitiert. Mit einer BU-Police erwerbe man auch die Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Auseinandersetzung, weil die Versicherung sich weigere, die Rente zu zahlen. „Meiner Erfahrung nach sind in keiner anderen Versicherungssparte die Erträge größer, in keiner anderen ist die Ablehnungsquote höher“, sagt der Jurist.

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Die Versicherungsbranche wehrt sich vehement gegen das Image als Neinsager - auch anhand statistischer Zahlen. Knapp 80 Prozent aller Leistungsanträge werden in der Berufsunfähigkeitsversicherung bewilligt, rechnet der Branchenverband GDV vor. Wenn bis dahin auch einige Zeit vergehe: Im Schnitt dauere es 106 Tage bis zur Bewilligung der Rente, also knapp dreieinhalb Monate. Auf ähnliche Werte kommt das Analysehaus Franke & Bornberg, das Stichproben von BU-Leistungsfällen aus dem Jahr 2019 untersucht hat. Demnach gehen vier von fünf Leistungsentscheidungen (79,04 Prozent) zu Gunsten der Versicherten aus. Hier könnte man einwenden: Wenn jeder fünfte Vertrag abgelehnt wird, ist das immer noch vergleichsweise viel.

Gründe für abgelehnte BU-Rente

Wenn ein Antrag abgelehnt werde, sei der wichtigste Grund, dass nach Ansicht des Versicherers der BU-Grad nicht erreicht werde, berichtet der GDV. Dies sei in 46 Prozent aller Fälle die Ursache, wenn der Versicherer „nein“ sagt. Zweitwichtigste Ursache für Ablehnungen: die sogenannte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Fast jeder achte nicht bewilligte BU-Antrag (14 Prozent) wird aus diesem Grund zurückgewiesen. Hier wird dem Versicherten angelastet, dass er beim Ausfüllen des Antrages auf Versicherungsschutz bzw. den Gesundheitsfragen falsche oder unvollständige Angaben machte, etwa Vorerkrankungen verschwieg.

Dritthäufigste Ursache für abgelehnte BU-Renten: 13 Prozent der BU-Anträge scheitern, weil sich der Versicherte für längere Zeit nicht mehr zurückmeldet: auch auf Nachfrage. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Arzt eine Berufsunfähigkeit nicht attestieren möchte oder sich der Gesundheitszustand des Betroffenen gebessert hat.

Morgen & Morgen

Wie gehen die Rechtsstreite um BU-Rente aus?

Interessant ist mit Blick auf die Ablehnungsquote, wie oft Rechtsstreite um eine BU-Rente zugunsten der Versicherungsnehmer ausgehen, wenn diese auf Erhalt der Rente klagen. Verlieren die Versicherer überproportional oft, könnte das ein deutliches Indiz sein, dass Berufsunfähigen tatsächlich häufig zu Unrecht die Leistung verweigert wird.

Hierzu hat das Analysehaus Morgen & Morgen anlässlich des „M&M Rating Berufsunfähigkeitsversicherung 2021“ Zahlen präsentiert. Auffällig ist hierbei die hohe Zahl an Gerichtsstreiten, die mit einem Vergleich enden statt mit einem Urteil. Das trifft auf immerhin 57,10 Prozent der gerichtlichen Prozesse zu. 24,95 Prozent der Rechtsstreite gingen zugunsten der Versicherer aus, während knapp jeder achte Fall (12,62 Prozent) im Sinne des klagenden Versicherungsnehmers entschieden wurde. In 5,34 Prozent wurde die Klage wieder zurückgenommen.

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Der pauschale Vorwurf, BU-Versicherer seien Neinsager, lässt sich anhand dieser Zahlen nicht aufrecht erhalten. Doch könnte die auffällig hohe Zahl der Vergleiche ein Hinweis darauf sein, dass die Versicherer Urteile scheuen und sich regelrecht aus dem Rechtsstreit herauskaufen? Das wäre Spekulation. Es ist letztendlich die Branche selbst, die Transparenz hinsichtlich solcher Zahlen missen lässt: So rät auch der "Spiegel" in seinem Erklärstück, zusätzlich zum BU-Schutz eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen. Ein Ratschlag, der auch in der Versicherungsbranche selbst häufig erteilt wird.

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