Moderne Autos können mehr, als nur ihre Insassen von A nach B zu bringen. Es sind moderne Computer, die über Sensoren, Assistenz- und Navi-Systeme immerzu Daten sammeln: ganz gleich, ob das Auto fährt oder steht. Wo sich das Auto befindet, wie der Fahrer lenkt, beschleunigt und bremst: All dies kann ein Auto messen. Und sogar, ob Fahrzeugteile verschleißt oder defekt sind, folglich ausgewechselt werden müssen. Oder, wann sich ein Fahrer zu welchem Restaurant begibt, um Mittag zu essen. Solche Daten sind viel Geld wert: Sie können zum Beispiel von Autoherstellern und Werkstätten genutzt werden, um den Austausch eines Ersatzteiles zu empfehlen. Und von Versicherern, die ebenfalls mit Werkstätten kooperieren, aber auch die Prämien von Kfz-Versicherungen nach solchen Fahrdaten bemessen könnten.

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Um diese Daten ist eine Debatte entbrannt, wer sie nutzen darf – und wer nicht. Vor allem die Versicherer hatten gemahnt, dass die wertvollen Informationen nicht allein den Autoherstellern vorbehalten bleiben dürfen. Deshalb hat die Allianz im Jahr 2018 vorgeschlagen, ein unabhängiger Treuhänder solle über diese Daten wachen. „Wichtig ist dabei, dass weder die Autohersteller, die Versicherer noch andere beteiligten Interessengruppen einen exklusiven Zugang darauf bekommen“, hatte sich Joachim Müller positioniert, damals noch für das Sachgeschäft des Versicherers zuständig und aktuell CEO der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS). Die Allianz hob einen Vorteil des Treuhänder-Modells hervor: auch Behörden könnten so Zugriff auf die Daten bekommen.

Automobilbranche lehnt Treuhänder-Modell ab

Aber nun drohen die Versicherer im jahrelangen Hickhack um die sensiblen Daten leer auszugehen. Denn die Automobilbranche will das Treuhänder-Modell nicht mittragen. Die Begründung: Es erzeuge zusätzliche Bürokratie und sei vor einem Missbrauch der Daten nicht sicher. Das berichtet die Deutsche Presse-Agentur (dpa). "Für die Übertragung der Daten lehnt der VDA jedoch das sogenannte Treuhänder-Modell ab, da es aus unserer Sicht verschiedene Nachteile mit sich bringt", zitiert der Nachrichtendienst Joachim Damasky, Geschäftsführer beim Verband der Automobilindustrie (VDA). Das Bundesverkehrsministerium habe sich nicht zu dieser Frage positioniert.

Dass die Versicherer fürchten müssen, von diesen Daten ausgesperrt zu werden, zeigt das Beispiel Tesla. Der Tech-Gigant testet derzeit eine eigene Kfz-Versicherung in Texas. Dabei ist der Konzern von Elon Musk nicht auf die üblichen Tarifmerkmale einer Autoversicherung angewiesen. „Ihre monatlichen Zahlungen basieren auf Ihrem Fahrverhalten und nicht auf den herkömmlichen Faktoren wie Kreditwürdigkeit, Alter, Geschlecht, Schadenverlauf und Fahrtenbuch, die bei anderen Versicherungsanbietern verwendet werden“, schreibt Tesla. Mit anderen Worten: rein theoretisch ermöglichen es die permanent gemessenen Daten, dass die Autobauer ihre eigene Kfz-Versicherung anbieten. Diese wäre quasi beim Kauf eines Neuwagens inbegriffen.

Dabei hat die Versicherungsbranche durchaus Argumente, dass auch die Autofahrer davon profitieren könnten, wenn sie Zugriff auf die Daten haben. Beispiel Schadenregulierung: Sie könnten einen Beitrag dazu leisten, den genauen Ablauf eines Unfalls zu rekonstruieren, etwa anhand von Informationen, wann ein Auto mit welcher Geschwindigkeit auf ein anderes Auto aufgetroffen ist. Und so dazu beitragen, dass ein Unfallopfer schneller seinen Schaden ersetzt bekommt.

Autobauer beharren auf Datenhoheit

Doch die Autohersteller wollen die Versicherer nicht gänzlich vom Zugriff auf die Daten ausschließen: Sie beharren aber darauf, weiterhin die Hoheit über das sensible Material zu haben. Die Automobilindustrie sei grundsätzlich zum Teilen der im Fahrzeug generierten Daten bereit, sagte Autolobbyist Damasky der ARD Tagesschau. "Wir möchten die Fahrzeugdaten für Dritte zugänglich machen, dabei aber sicherstellen, dass diese bei der Übertragung nicht manipuliert werden können", so Damasky. Der Verband will die Autodaten in der Obhut der Industrie belassen und ein sogenanntes Trust Center einrichten. Dieses soll die Datenqualität zertifizieren und entscheiden, welche Infos weitergegeben werden. Zudem soll nach dem Willen der Autobranche der Fahrzeughalter entscheiden dürfen, welche Autodaten mit Dritten geteilt werden.

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Hoffnung dürfte den Versicherern der Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen machen. Darin wird ein Modell vorgeschlagen, das sich stark am Allianz-Modell zu orientieren scheint: wenn auch noch sehr unkonkret formuliert. Die amtierenden Regierungsparteien schreiben darin: "Zur wettbewerbsneutralen Nutzung von Fahrzeugdaten streben wir ein Treuhänder-Modell an, das Zugriffsbedürfnisse der Nutzer, privater Anbieter und staatlicher Organe sowie die Interessen betroffener Unternehmen und Entwickler angemessen berücksichtigt."

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