Die 80 deutschen Lebensversicherer müssen immer höhere Garantie-Anforderungen erfüllen: 2020 stiegen sie binnen Jahresfrist um rund drei Prozent. Das zeigt eine Analyse von Henning Kühl, Chefaktuar bei Policen Direkt. Damit ist der Anstieg der Zinsverpflichtungen immerhin weniger stark ausgeprägt als im Vorjahr, als die Garantieanforderungen sogar um zwölf Prozent zugenommen haben. Trotzdem reichen die Kapitalerträge vieler Versicherer nicht mehr aus, um Garantiepflichten zu erfüllen und die gesetzlich vorgeschriebene Reserve zu bedienen: Sie müssen Erträge aus Risiko und Verwaltung in die Rechnung einbeziehen.

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Trotz Corona Finanzstärke relativ stabil

Aber Kühl hat auch positive Nachrichten: Trotz Corona und Niedrigzins zeigt sich die Finanzkraft der deutschen Lebensversicherer relativ stabil. Die Die Finanzstärke der Lebensversicherer -vereinfacht die Quote aus den Kapitalerträgen im Verhältnis zu den Rechnungszins-Aufwendungen- sank demnach nur leicht um 3,5 Prozent. Hatte die Quote im Marktschnitt 2019 noch 114,41 Prozent betragen, so waren es 2020 noch 110,40 Prozent. Für die Studie hat der Zweitmarkt-Anbieter Zahlen zur Mindestzuführungsverordnung (MindZV) ausgewertet.

Auf der Haben-Seite können die Versicherer immerhin verbuchen, dass sie Gewinne aus der Verwaltung deutlich erhöht haben: um fast fünf Prozent. Ein Grund ist auch, dass sich die Digitalisierung zunehmend in den Unternehmen niederschlägt und Einsparungen ermöglicht. Dennoch haben diese Einsparungen nicht den Rückgang bei den Risikogewinnen und Zinsgewinnen kompensieren können, berichtet Policen Direkt.

„Beim Blick auf die einzelnen Unternehmen zeigt sich, dass es bei der Hälfte der Unternehmen nur darum geht, die garantierten Anforderungen zu erfüllen“, erklärt Kühl. „Insgesamt bleibt für die Branche die Situation trotz der COVID-19-Krise unverändert.“

Quersubventionierung der Garantien notwendig

“Unverändert“ bedeutet: Wie im Vorjahr muss eine nicht kleine Zahl an Lebensversicherern die Garantien quersubventionieren. Bei 33 Anbietern reichen die erwirtschafteten Erträge aus der Kapitalanlage nicht aus, um die Garantieverpflichtungen zu erfüllen und die gesetzlich vorgeschriebene Reserve zu bedienen. Diese Versicherer müssen quasi ihre Pflichten gegenüber den Kundinnen und Kunden querfinanzieren: etwa durch höhere Risikogewinne oder Einsparungen durch effizientere Verwaltung. Allein für die sogenannte Zinszusatzreserve, eine Art Risikopuffer für langfristige Garantiepflichten, mussten die Assekuranzen im letzten Jahr rund 10 Milliarden Euro zurückhalten.

Positiv wertet Kühl, dass das Gros der Anbieter immer weniger von Garantien abhängig ist: Ihr Neugeschäft haben sie schon seit einigen Jahren auf kapitalmarktnahe Produkte umgestellt, etwa Fondspolicen. Diese sehen nur stark eingeschränkte Garantien vor. Folglich sind hierfür geringere Rückstellungen notwendig: und die Versicherer sind weniger verpflichtet, die Kundengelder in festverzinsliche Anleihen zu investieren, die aktuell kaum noch Ertrag bringen.

Wie konkret der eigene Versicherer dasteht, zeigt Policen Direkt auf seiner Webseite in einer Übersichtstabelle. Auch Versicherungsbote hat bereits mit einem Artikel die Anbieter aufgezählt, die auf Quersubventionierung angewiesen sind.

Gesamt-Ertragstärke ebenfalls leicht gesunken

Die Gesamt-Ertragsstärke ist eine weitere zentrale Kennzahl aus der Analyse der Pflichtveröffentlichung gemäß §15 der Mindestzuführungsverordnung (MindZV). Sie zeigt im Vergleich mit der Finanzstärke an, in welchem Maß eine Quersubventionierung stattfindet. Die Kennzahl stellt sämtliche aktuellen Erträge (Kapital-, Risiko- und sonstige Gewinne) ins Verhältnis mit den Rechnungszinsanforderungen (Garantiezinsen und Zuführung zur Zinszusatzreserve). Diese ist ebenfalls um rund 3,6 Prozent gesunken: von 140,07 Prozent in 2019 auf 135,02 Prozent in 2020.

Die Gesamt-Ertragsstärke ist auch wichtig, weil sich Biometrie-Spezialisten unter den betroffenen Querfinanzierern finden. Das sind Anbieter, die ihren Schwerpunkt in der Absicherung von Invalidität und Berufsunfähigkeit haben, weniger in der privaten Altersvorsorge. Sie erwirtschaften tendenziell geringere Kapitalerträge und dafür höhere Risikogewinne.

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Policen Direkt beobachtet, dass viele Kunden aufgrund der aktuellen Nachrichtenlage eine Kündigung ihrer Police in Betracht ziehen. Eine akute Verschlechterung der Finanzstärke stelle indes keinen hinreichenden Grund für die vorzeitige Beendigung des Vertrages dar, schreibt der Anbieter auf seiner Webseite: So seien die Garantien durch die Quersubventionierung gesichert. Gerade lang laufende Verträge sichern die Kundinnen und Kunden oft noch einen einträglichen Zins, so dass ein vorzeitiges Abstoßen des Vertrages auch Verluste bedeuten kann. Wenn doch darüber nachgedacht werde, sein ein Verkauf auf dem Zweitmarkt in der Regel einträglicher als eine Kündigung.

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