Darin gehen Dr. Katja Rath und Martin Benner auf die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ein, die im Klimabeschluss formuliert wurden. So stellte das BVerfG fest, dass das Grundgesetz „[…] zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen“ verpflichtet. Aus dem Klimabeschluss würde folgen, dass „nicht einer Generation zugestanden werden darf, unter vergleichsweise milder Belastung große Anteile einer begrenzten Ressource zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Last überlassen würde und deren Leben schwerwiegenden Freiheitseinbußen ausgesetzt wäre.“

Anzeige

Der Sozialstaat ist also nicht nur in der Gegenwart zu garantieren, sondern auch künftigen Generationen zu erhalten. Die Juristen weisen darauf hin, dass selbst das BVerfG in Entscheidungen zum Ausbleiben der Rentenerhöhung bei gleichzeitiger Erhöhung der Krankenkassenbeiträge den Begriff ‚Generationengerechtigkeit‘ verwendet hat. Ganz neu ist der Gedanke also nicht. 2006 strebten einige Mitglieder des Bundestags fraktionsübergreifend gar eine Grundgesetzänderung an, die diesem Gedanken Rechnung trägt. So sollte die Staatszielbestimmung in Grundgesetz (Artikel 20b) wie folgt angepasst werden: „Der Staat hat in seinem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen künftiger Generationen zu schützen.“

Generationengerechtigkeit ist Forderung des Grundgesetzes

Einen vergleichbaren Ansatz verfolgte der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, der auch in der Versicherungsbranche kein Unbekannter ist. Sein Ergänzungsvorschlag für Artikel 20 im Grundgesetz: „Die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung berücksichtigen das Ziel einer dauerhaften Befriedigung des Gemeinwohls und der Belange auch künftiger Generationen.“

Dass Generationengerechtigkeit bei heutigen Entscheidungen mitgedacht werden sollte, ist also keineswegs exotisch, sondern eine Forderung des Grundgesetzes. Die Entscheidung des BVerfG lässt sich nach Auffassung von Dr. Rath und Benner auf andere Rechtsgebiete übertragen. Die beiden Autoren nennen explizit die sozialen Sicherungssysteme, allen voran die gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Gerade dort bestünde die „Gefahr künftiger Freiheitseinschränkungen, die im derzeit geltenden Recht angelegt ist und daher potentiell auch eine gegenwärtige und eigene Grundrechtsbetroffenheit begründet.“

Das erklären die beiden Autoren genauer: „Das bestehende System der Sozialversicherungen birgt vor allem mit Blick auf den demografischen Wandel die Gefahr, dass die Gesamtbeiträge schon im Jahr 2060 bei einem Status-Quo-Szenario auf über 50 Prozent steigen werden und das Rentenniveau auf 40 Prozent sinken wird. Ob diese Modellrechnung eintreten wird, lässt sich (noch) nicht feststellen. Das Risiko gravierender Beschränkungen, das mit ihr einhergeht, nimmt jedoch zu, wenn notwendige Strukturreformen weiterhin von Legislaturperiode zu Legislaturperiode verschoben werden. Denn dadurch könnte der Fall eintreten, dass künftigen Generationen nur noch signifikante Leistungseinschränkungen oder durchgreifende Strukturreformen bleiben, um derart immense Beiträge zu vermeiden. Hiermit wäre wiederum die Ausübung von allgemeinen Freiheitsrechten, die direkt oder indirekt mit dem Erhalt und der Finanzierung der gesetzlichen Sozialversicherungen zusammenhängen, bedroht.“

Anzeige

In diesem Satz steckt einige Sprengkraft. Gibt es in Sachen gesetzlicher Rentenversicherung nach der Bundestagswahl weiterhin nur ein ‚Weiter so‘, müsste ein enormer Anteil der künftigen Bundeshalte für die Rentenzuschüsse reserviert bleiben. Das Geld für Investitionen in Bildung oder Infrastruktur würde fehlen. Darin wäre - der Argumentation des BVerfG folgend - eine Beschneidung der Freiheitsrechte künftiger Generationen zu sehen.

vorherige Seitenächste Seite
Seite 1/2/3/

Anzeige