Als Gerhard Schick, Finanzexperte der Grünen, im Jahr 2018 sein Bundestagsmandat aufgab, geschah dies aus der Überzeugung heraus, Missstände im Finanzsystem über den parlamentarischen Weg allein nicht wirkungsvoll bekämpfen zu können. Stattdessen präsentierte er ein neues Zugpferd: Die Bürgerbewegung Finanzwende, deren Vorstand er seitdem ist. Als zivilgesellschaftliche und parteiübergreifende Bewegung soll sie Druck auf die Politik ausüben, ohne an Parteiinteressen gebunden zu sein. Das Ziel: Die Finanzwirtschaft „soll den Menschen dienen und nicht umgekehrt“, wie es auf der Seite der Bewegung heißt.

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Ob der Verein tatsächlich mehr bewegen kann als über den parlamentarischen Weg, darüber darf diskutiert werden: Zumindest in den Medien ist die Bürgerbewegung recht präsent. Und meldet sich nun auch mit einem Positionspapier zur Bundestagswahl zu Wort. Einen bunten Katalog an Forderungen richtet man an die neue Bundesregierung: und will „wichtige Stellschrauben für die Politik“ vorstellen, „damit die Finanzmärkte wieder mehr den Menschen dienen“. Aus Sicht der Finanz- und Versicherungswirtschaft dürften diese Vorschläge eher auf Misstrauen stoßen, zumal sich auch einige pauschale Aussagen hierin finden.

Aus für Provisionen gefordert

Aus Sicht des Versicherungsvertriebs betrifft die wichtigste Forderung jenen Punkt, der unter „Verbrauchern und Anlegerinnen zur Seite stehen“ aufführt. Darin spricht sich der Verband für ein Provisionsverbot in der Finanzberatung aus. Der Verband argumentiert: „Die provisionsbasierte Finanzberatung setzt falsche Anreize und schafft Interessenkonflikte. So erhalten Anlegerinnen und Anleger immer wieder ungeeignete oder überteuerte Produkte. Zudem geht der Staat oftmals zu spät oder zu zaghaft gegen schädliche Finanzprodukte vor und unterstützt an anderer Stelle ineffiziente Altersvorsorgeprogramme“.

Verbraucherinnen und Verbraucher seien gegenüber Produktanbietern und Dienstleistern in der Finanzindustrie oftmals strukturell unterlegen, argumentiert der Verein: Die Produkte seien komplex und risikoreich. Dies werde durch die Provisionsberatung verschlimmert, weil hier Fehlanreize für Beratende entstehen würden. „Provisionen führen immer wieder dazu, dass Verbraucherinnen keine passenden Produkte erhalten, sondern solche, die wegen hoher Provisionen im Eigeninteresse der Vermittler sind“, heißt es im Positionspapier. Die Lösung aus Sicht des Vereins: die Vergütung solle ähnlich wie bei Steuerberatern und Rechtsanwälten geregelt sein. Ohne, dass der Verband auf weitere Details eingeht, könnte hiermit eine Art Honorarordnung gemeint sein.

Vermittlerverbände wie der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) und der Bundesverband Finanzdienstleistung (AfW) hatten gegen solche Einwände zu bedenken gegeben, dass die Beschwerdequoten über Vermittler im Versicherungsvertrieb bei den zuständigen Behörden niedrig sind, was für eine hohe Qualität spreche: und auch die Honorarberatung Nachteile für Verbraucherinnen und Verbraucher mit sich bringen kann. Etwa, wenn für gesondert vereinbarte Honorare keine Stornohaftung vorgesehen ist. Das kann im Falle eines unpassenden Altersvorsorge-Produktes zum Beispiel dazu führen, dass ein Sparer seinen Vertrag zeitnah kündigt: aber weiterhin das Berater-Honorar bedienen muss, auch wenn er schlecht beraten wurde.

…“klarer Schlussstrich für die Riester-Rente“

Eine weitere Forderung: Die Bürgerbewegung will der Riester-Rente den Garaus machen. Ein klarer Schlussstrich bei der Riester-Rente solle gezogen werden, denn bei typischen Riester-Versicherungen fließe „fast jeder vierte eingezahlte Euro in die Kosten. Das Konzept hat als zusätzliche Altersvorsorge versagt und ist nicht mehr zu retten. Der Bund sollte die Riester-Rente abschaffen und sich für ein günstiges und einfaches Altersvorsorgeprodukt nach schwedischem Vorbild starkmachen“, so heißt es im Positionspapier. Begraben will der Verein zunächst nur das Riester-Neugeschäft: „Laufende Riester-Verträge müssen natürlich weiter wie bisher gefördert werden“, schreibt der Verband.

Im Dezember 2020 hatte die Bürgerbewegung eine Studie anhand von 65 Riester-Verträgen präsentiert, wonach „bei einem durchschnittlichen [Riester]-Vertrag nahezu jeder vierte eingezahlte Euro in die Kosten [fließt]". Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) hatte die Studie hingegen als „irreführend“ kritisiert. „Die Kapitalanlagekosten, etwa jährliche Fondskosten, alle gedanklich den eingezahlten Beiträge zu belasten, ist irreführend. Die so gehebelte Kostenquote steigt mit der Rendite und der Laufzeit. Sinnvolle Kostenvergleiche oder Effizienzaussagen sind nicht sinnvoll möglich“, schrieb Peter Schwark, Hauptgeschäftsführer des Verbands, auf Twitter. Ein Statement, das man allerdings auch so werten kann, dass bei der Kosten-Transparenz einiges im Argen liegt.

Einige weitere Forderungen:

  • Die Bürgerbewegung fordert eine Schuldenbremse für Banken. Deutschland solle auf internationaler Ebene darauf hinwirken, dass Banken nie mehr als 90 Prozent ihrer Aktivitäten mit Schulden finanzieren dürfen, also immer mindestens 10 Prozent ihrer ungewichteten Bilanzsumme aus Eigenkapital finanzieren. Das soll die Banken stabiler machen, um einen ähnlichen Crash wie bei der Finanzkrise 2008 zu vermeiden.
  • Ein Trennbankensystem in Europa: Das Privatbankengeschäft soll vom Investment-Banken abgetrennt werden. Das soll dazu beitragen, dass private Vermögen bei der Bank nicht durch spekulative Geschäfte gefährdet werden.
  • Eine wirksame Regulierung des Schattenbanken-Systems: Fast die Hälfte der weltweiten Wertpapiere werde von Schattenbanken gehalten, die nahezu unreguliert seien. Hier fehle es an Mindeststandards, um die Stabilität der Banken zu gewährleisten: etwa für Liquidität sowie Stresstests. Sie seien eine Quelle grundlegender Instabilität im Finanzsystem.
  • Eine Finanztransaktionssteuer, die schädliche Transaktionen unrentabel mache. Dabei sei es wichtig, dass die Steuer auf Derivate und kurzfristige Transaktionen wirke.
  • Kreditnehmer und Überschuldete schützen, zum Beispiel, indem überteuertes Inkasso untersagt und Dispozinsen gedeckelt werden. Es solle einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung geben.

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