Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) hat neue biometrische Rechnungsgrundlagen (BU-Tafeln) erarbeitet. Dafür wurden Versichertendaten aus den Jahren 2011-2015 ausgewertet; insgesamt 59 Mio. Beobachtungsjahre, wie die DAV mitteilte.

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Die BU-Tafel bestehen aus altersabhängigen Eintrittswahrscheinlichkeiten für Berufsunfähigkeit, Sterblichkeit der Aktiven und Berufsunfähigen und Reaktivierung der Berufsunfähigen. Genutzt werden diese Grundlagen, um u.a. zu berechnen, wie hoch die Reservierung für Bestände von Berufsunfähigkeitspolicen sein muss. Die Überprüfung und Anpassung dieser Datengrundlage erfolgt regelmäßig. Zuletzt wurden diese Daten 1997 erhoben - in einer Zeit also, in der man sich noch mit 56k-Modem ins Internet einwählen musste, die DM noch anerkanntes Zahlungsmittel in Deutschland war und die Europäische Zentralbank (EZB) gerade gegründet wurde.

Seitdem haben in vielen gesellschaftlichen Bereichen, die für die Berufsunfähigkeitsversicherung relevant sind, tiefgreifende Veränderungen stattgefunden. Am deutlichsten ist vielleicht der Wandel der Arbeitswelt: „Zum einen sind immer weniger Personen in körperlich anstrengenden Berufen tätig und zum anderen sinken generell die körperlichen Anforderungen in vielen Berufen“, so DAV-Vorstandsvorsitzende Dr. Herbert Schneidemann. Das spiegelt sich den Zahlen. So sank bei Frauen und Männern über 40 Jahre die Wahrscheinlichkeit, berufsunfähig zu werden, bei weiblichen Versicherungsnehmern um 36 Prozent und bei männlichen um etwa 45 Prozent.

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Anstieg der Schäden aufgrund psychischer Erkrankungen überkompensiert

„Dieser positive Trend überkompensiert glücklicherweise den auch in dieser Altersklasse zu beobachtenden Anstieg der Schadenfälle durch psychische Erkrankungen“, konstatiert Dr. Schneidemann. Insgesamt resultiert derzeit beinahe jeder dritte BU-Leistungsfall (31,88 Prozent) laut einer Untersuchung von Morgen & Morgen aus psychischen Erkrankungen. Noch vor zehn Jahren waren es nur circa 20 Prozent. Erkrankungen des Skelett- und Bewegungsapparates (20,33 Prozent) sowie Krebserkrankungen und andere bösartige Geschwülste (17,77 Prozent) stellen die zweit- beziehungsweise dritthäufigste Ursache dar. Anfang der 1990er-Jahre sah das noch anders aus. Hauptursache für Berufsunfähigkeit waren damals körperliche Gebrechen.

Frauen unter 40: „Erheblich mehr Schadenfälle aufgrund psychischer Erkrankungen“

Im Vergleich zur vorangegangenen DAV-Untersuchung vor zwanzig Jahren hat das Risiko, berufsunfähig zu werden, bei einer Gruppe sogar deutlich zugenommen: Frauen haben bis zu ihrem 40. Geburtstag ein um über 30 Prozent erhöhtes BU-Risiko. „Denn in dieser Versichertengruppe sind laut Daten der Rentenversicherung erheblich mehr Schadenfälle aufgrund psychischer Erkrankungen festzustellen“, erläutert Dr. Schneidemann. Bei Männern gibt es hingegen in dieser Altersgruppe keine signifikanten Veränderungen.

Doch die BU-Tafeln zeigen auch die Folgen fortschrittlicher Behandlungsmethoden. So kehren Erkrankte schneller in ihren Beruf zurück: Kehrten vor 20 Jahren noch elf Prozent der Erkrankten innerhalb der ersten 24 Monate in ihren zuletzt ausgeübten Beruf zurück, waren es nun 19 Prozent. Anders verhält es sich aber bei Personen, die drei bis zehn Jahre berufsunfähig sind. Während nach der DAV-Tafel 1997 I rund 26 Prozent der Invaliden in diesem Zeitraum in den Job zurückkehrten, sind es nach der neuen 16 Prozent.

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Neue BU-Tafeln: Wird BU-Prämie nun günstiger?

Welche Folgen sich aus den neuen Rechnungsgrundlagen auf die Höhe der Prämie ergeben, lässt sich allerdings nicht sagen, so die Aktuare. Zum einen dienen die BU-Tafeln zur Berechnung der Reservierung. Also wieviel Geld für Zahlungsfälle bereitgehalten werden muss. Die Prämienhöhe hängt aber auch von unternehmensindividuellen Größen wie Überschussbeteiligung und Bestandszusammensetzung ab. Schneidemann geht dennoch nicht von großen Veränderungen bei den BU-Prämien aus.

Was den Aktuaren zufolge ganz sicher zu höheren Prämien führen würde, wäre ein Verbot der Differenzierung nach Beruf, warnte die DAV. Würden die Möglichkeiten zur Differenzierung eingeschränkt, würde das am Ende zu höheren Prämien für alle Versicherten führen - und damit die wichtige Absicherung der Arbeitskraft für breite Bevölkerungsschichten einschränken, sind sich die Mathematiker sicher.

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Eine Sichtweise, die unter Vermittlern nicht unumstritten ist. So beschrieb Biometrie-Experte Gerd Kemnitz das „Dilemma der Berufsgruppendifferenzierung“ bereits 2015 auf Versicherungsbote und forderte u.a., dass Erwerbsunfähigkeits-, Multi-Risk- oder Dread-Disease-Versicherungen mit einer Beitragsfreistellung im BU-Fall ausgestattet sein müssten.

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