Der zuletzt viel gescholtene Jens Spahn konnte kurz vor dem Ende der Legislaturperiode noch einen Triumph vermelden: Das Kabinett hat diese Woche seinen Gesetzentwurf für eine Pflegereform auf den Weg gebracht, nun soll der Bundestag darüber entscheiden. Kern der Reform ist es, Pflegekräfte besser zu entlohnen und den Pflegebeitrag stufenweise zu deckeln, um Pflegebedürftige und ihre Angehörigen ein Stück weit zu entlasten. Doch nun gibt es ordentlich Gegenwind: nicht zuletzt durch die Krankenkassen.

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“Stückwerk und unausgegoren“

Im Kern geht es um die zusätzlichen Kosten, die durch die Pflegereform entstehen. Mit deutlichen Worten kritisiert Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, die Reformpläne. „Die AOK-Gemeinschaft hat sich für eine umfassende Pflegestrukturreform stark gemacht. Was jetzt auf den letzten Metern der Legislaturperiode von der Koalition vorgelegt wird, ist dagegen unausgegoren, bleibt Stückwerk und zementiert die sektoralen Strukturen der Sozialen Pflegeversicherung“, positioniert sich der Kassenfunktionär.

Litsch fordert, dass pflegende Angehörige über Steuermittel entlastet werden: „nachhaltig und sachgerecht“, wie er sagt. Hierfür seien pro Jahr drei Milliarden Euro notwendig. Gleichzeitig werde die erforderliche und eigentlich schon eingeplante Dynamisierung aller Leistungen kassiert, klagt der AOK-Chef. Stark vereinfacht also, dass man Pflegebeiträge und Kosten an steigende Ausgaben und die Inflation anpasst, sodass sie ausreichend gegenfinanziert werden. Hierzu hatte der AOK Bundesverband im März ein Positionspapier vorgelegt. Unter anderem wird darin ein Finanzierungsmix der Pflegekosten gefordert: Der Bund solle jährlich 3,2 Milliarden Euro zuschießen, um Beitragszahler zu entlasten. Auch sollen die Bundesländer die notwendigen Investitionskosten in Pflegeheimen tragen, die aktuell auch über Eigenanteile auf stationär betreute Pflegepatienten umgelegt werden. Die Kosten: 5,2 Milliarden per annum.

Aus der Stellungnahme von Litsch spricht die Sorge, dass die Pflegereform überproportional auf Kosten der Krankenkassen-Beitragszahler finanziert wird: auch gesamtgesellschaftliche Ausgaben wie etwa die soziale Absicherung von pflegenden Angehörigen. Er befürchtet steigende Kosten: „Die beschlossenen Maßnahmen werden bei fehlender Gegenfinanzierung einen Ausgabenanstieg auslösen, der das Finanzierungsproblem der Sozialen Pflegeversicherung bereits im Jahr 2022 drastisch verschärfen wird“, sagt der 64jährige. Der vorgesehene Bundeszuschuss falle „viel zu gering“ aus. Anerkennend äußert er sich hingegen dazu, dass die Pläne -bessere Bezahlung von Pflegenden und Entlastung der Pflegebedürftigen- in die richtige Richtung gehen würden.

Zeitlich gestufter Pflegedeckel, bessere Bezahlung der Pflegenden

Konkret sieht die Pflegereform vor, dass künftig nur noch Pflegeheime sogenannte Versorgungsverträge mit den Krankenkassen abschließen dürfen, die nach Tarif bezahlen. So will er durchsetzen, dass Pflegerinnen und Pfleger flächendeckend besser entlohnt werden. Vor allem private Pflegeheim-Betreiber hatten hier oft unter Tariflohn gezahlt.

Ein zweiter Baustein: Spahn will die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen entlasten. Denn der Eigenanteil in den Pflegeheimen explodiert seit Jahren und wird für viele bedürftige Menschen zur Armutsfalle. Allein diese Reform soll 2,5 Milliarden Euro kosten:

Im ersten Jahr des Pflegeheim-Aufenthalts sollen die Bedürftigen bzw. zahlpflichtige Angehörige die vollen Pflegekosten tragen. Im zweiten Jahr sollen die Eigenanteile dann um 25 Prozent sinken, nach mehr als 24 Monaten um die Hälfte. Bei Pflegebedürftigen, die 36 Monate und länger stationär betreut werden, soll sich der Eigenanteil gar um 75 Prozent reduzieren. Um das notwendige Geld aufzubringen, sollen Kinderlose künftig 0,1 Prozent mehr Pflegebeitrag zahlen.

Zu bedenken ist hier aber, dass die "reinen" Pflegekosten nicht die einzigen Aufwendungen sind, die Pflegeheim-Bewohnerinnen und Bewohner derzeit stemmen müssen. Hinzu kommen Kosten für Unterkunft, Essen und notwendige Investitionen. So summierte sich zum Jahresanfang 2021 der zu zahlende Eigenanteil in Pflegeheimen im Bundesschnitt auf 2.068 Euro monatlich.

Pflegepläne verfassungswidrig?

Doch auch aus Kreisen der privaten Krankenversicherer kommt heftige: ja sogar grundsätzliche Kritik. So sagte der Bonner Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Teile der Reform könnten verfassungswidrig sein. Er bezieht sich auf den Plan, die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige künftig nicht mehr aus den Pflegeversicherungen zu bestreiten, sondern aus Bundesmitteln. Der Grund: in dem neuen Paragrafen 61a, der dies regelt, ist lediglich von der gesetzlichen „Sozialen Pflegeversicherung“ die Rede, nicht aber von der privaten Pflegepflichtversicherung, die dem Gesetz nach identische Leistungen erbringe. Dadurch würden die PKV-Versicherten benachteiligt. Als „ordnungspolitisch saubere Alternative“ fordert der PKV-Verband, dass der Bund das Geld für die Pflegepersonen an die Rentenversicherung überweist.

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Grundsätzlich stört sich PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther daran, dass die Reform keine Schritte vorsieht, wie die private Pflegevorsorge gestärkt werden könne, etwa durch Pflegezusatzversicherungen. „Das demografische Problem, dass immer weniger Beitrags- und Steuerzahler für immer mehr Leistungsempfänger aufkommen müssen, wird nicht gelöst, sondern sogar verschärft“, sagt Reuther.

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