Der Streit um die Leistungspflicht aus Betriebsschließungsversicherungen war auch Thema auf dem Onlinekongress „Aktives Schadenmanagement 2021“ von Businessforum21, über den das VersicherungsJournal berichtet. Einer der Referenten dort: Rechtsanwalt Dr. Mark Wilhelm von der Kanzlei Wilhelm Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, die bereits mehrere Urteile im Sinne der Versicherungsnehmer erkämpfen konnte. Der Jurist berichtete auf dem Kongress, dass seine Kanzlei in über 1.000 Verfahren mit Versicherern streitet. Mehr als 200 Klagen seien eingereicht, weitere 500 in Vorbereitung. Im Durchschnitt würde die Anspruchshöhe bei 107.570 Euro liegen.

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Nach Schätzungen von Wilhelm gäbe es 73.000 versicherte Betriebe; wären alle Ansprüche in vollem Umfang anerkannt worden, hätte die Versicherungsbranche nach Auffassung des Anwalts zwischen drei bis vier Milliarden Euro zahlen müssen. Offenbar zu viel für die Branche, um weiteren Vertrauensverlust und Imageschäden zu vermeiden. Andersherum formuliert: Nun weiß man, welchen Wert die Branche einem guten Ruf beimisst.

Sicher, es gab auch angenehme Ausnahmen. Wilhelm nannte HDI und LVM. Doch das Gros der betroffenen Versicherer lässt Gerichte entscheiden und verhindert durch Vergleichsangebote Urteile, sobald sich andeutet, dass die Richter im Sinne der Versicherten entscheiden würden, so Wilhelm.

Der Jurist argumentierte, dass dadurch der Eindruck erweckt werde, die Gerichte würden mehrheitlich pro Versicherer entscheiden. So finden sich in einer Urteilssammlung der FU Berlin, die beim C.H.Beck-Verlag zugänglich ist, überwiegend Urteile, die keinen Versicherungsschutz durch Betriebsschließungsversicherungen attestieren.
In der Urteilsdatenbank der Kanzlei Michaelis sieht es ganz ähnlich aus. Dort findet sich aber auch der Aufsatz „Versicherungsschutz bei hoheitlich angeordneter Betriebsschließung“ des Hamburger Universitätsprofessors (Emeritus) Dr. Manfred Weber. Darin führt der Jurist u.a. aus, warum die Verwendung des Wörtchens ‚namentlich‘ in den AGB der Versicherer, die auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nehmen, eben nicht als Indiz für eine abschließende Aufzählung zu verstehen sein kann.

Gericht: Versicherer muss zahlen

Diese Frage ist in vielen Urteilen unterschiedlich von Gerichten ausgelegt worden. Zuletzt in einem aktuellen Urteil des Landgerichts Görlitz (Az. 5 O 248/20), das in den genannten Urteilsdatenbanken noch nicht verfügbar ist. Hier entschieden die Richter zugunsten des Versicherten. Der Kanzlei Stolpe zufolge, die das Urteil erstritten hat, begründete das Gericht seine Entscheidung damit, dass eine Begrenzung des Versicherungsschutzes auf die namentlich im Versicherungsvertrag aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger den hier vorliegenden Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung nicht entnommen werden könne. Weiter heißt es in der Urteilsbegründung: „Hätte der beklagte Versicherer eine Beschränkung des Versicherungsschutzes ausschließlich auf die in den Versicherungsbedingungen namentlich bezeichneten Krankheiten und Erreger vornehmen wollen, hätte er dies durch geeignete sprachliche und stilistische Mittel zum Ausdruck bringen müssen.“
Zudem vertrat das Landgericht die Auffassung, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer (hier ein Gewerbetreibender) nicht zu erkennen vermag, dass der Versicherungsschutz nur auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses tatsächlich bereits im Infektionsschutzgesetz namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger beschränkt sein soll.

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Stolpe empfiehlt deshalb betroffenen Versicherungsnehmern, ablehnende Entscheidungen des Versicherers oder dessen Kulanzangebote nicht ohne anwaltliche Unterstützung zu akzeptieren. Ein Rat, dem sich wohl auch seine Anwaltskollegen Wilhelm, Michaelis oder Wirth anschließen würden.

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