Die Coronakrise hat schonungslos die Situation der Pflegekräfte offengelegt. Schon jetzt sind laut „Bundesagentur für Arbeit“ rund 40.000 Pflegestellen unbesetzt: Der Anteil könnte sich wegen der Alterung der Gesellschaft künftig noch deutlich erhöhen. Für eine körperlich und psychisch auszehrende Arbeit bedeutet das nicht nur Stress und Überforderung: Zudem wird auch nur circa jede zweite Pflegekraft nach Tariflohn bezahlt.

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Das nutzte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor wenigen Tagen für einen Vorstoß. Der „Bild am Sonntag“ sagte er, dass er ein „Pflege-Tariftreuegesetz-Gesetz" durchsetzen und hierfür Paragraf 72 des Sozialgesetzbuchs XI ändern wolle. Künftig sollen nur noch Pflegeheime sogenannte Versorgungsverträge abschließen dürfen, die Pflegerinnen und Pfleger nach Tarif bezahlen. Ein Angriff auch auf Jens Spahn: Heil bemängelte, dass dieser noch kein Konzept für einen besseren Lohn der Pflegenden vorgelegt habe.

Jens Spahn erweitert seine Pflegereform

Ein Vorwurf, den der Bundesgesundheitsminister nicht auf sich sitzen lassen will. Und so hat nun auch Jens Spahn eine sogenannte Formulierungshilfe für das Parlament vorgelegt, die genau das vorsieht: Zahlt ein Pflegeheim keinen Tariflohn oder zumindest tarifähnlichen Lohn, soll es vom Versorgungsvertrag ausgeschlossen werden. Damit zwingt man die Heime quasi zum Tariflohn: der Zugang zu den Töpfen der Gesetzlichen Krankenversicherung bzw. der Sozialen Pflegeversicherung wäre dann verwehrt. Das berichten Medien der "Funke Medien Gruppe" sowie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Die Formulierungshilfe solle an ein laufendes Gesetzgebungsverfahren angehängt werden, mit dem Spahn bereits Verbesserungen in der Pflege durchsetzen will. Entsprechend stichelte er gegen Heil auch zurück. "Im Gegensatz zum Plan des Arbeitsministers werden dabei nicht nur die Interessen der Pflegekräfte berücksichtigt, sondern auch die der Pflegebedürftigen", sagte Spahn.

Allerdings war nicht bekannt, dass Spahn ursprünglich auch die Tariflöhne mit seinen Reformplänen im Blick hatte. Die Formulierungshilfe wurde wohl kurzfristig an das "Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung" angekoppelt. Auch Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen, hat diese Woche gefordert, dass Pflegeheime nur noch dann Geld aus der gesetzlichen Pflegeversicherung erhalten, wenn sie ihren Beschäftigten mindestens Tariflohn zahlen.

Stufenweiser Deckel bei Pflegekosten

Gelten soll das neue Gesetz ab dem 1. Juli 2022, aktuell wird es noch zwischen den Ressorts verhandelt. Und tatsächlich geht es dabei auch darum, künftig Pflegebedürftige und ihre Angehörigen finanziell zu entlasten. Denn der Eigenanteil in den Pflegeheimen explodiert seit Jahren und wird für viele bedürftige Menschen zur Armutsfalle. Auch für die ambulante Pflege soll mehr Geld fließen.

Geplant ist ein zeitlich gestaffeltes Stufensystem, um den Eigenanteil zu den reinen Pflegekosten in Heimen zu deckeln. Laut Ersatzkassen müssen vollstationär Betreute im Schnitt derzeit 831 Euro im Monat für ihre Pflege zahlen, allerdings mit großen regionalen Unterschieden.

Hier setzen Spahns Pläne an: Im ersten Jahr des Pflegeheim-Aufenthalts sollen die Bedürftigen bzw. zahlpflichtige Angehörige die vollen Pflegekosten tragen. Im zweiten Jahr sollen die Eigenanteile dann um 25 Prozent sinken, nach mehr als 24 Monaten um die Hälfte. Bei Pflegebedürftigen, die 36 Monate und länger stationär betreut werden, soll sich der Eigenanteil gar um 75 Prozent reduzieren.

Zu bedenken ist hier aber, dass die "reinen" Pflegekosten nicht die einzigen Aufwendungen sind, die Pflegeheim-Bewohnerinnen und Bewohner derzeit stemmen müssen. Hinzu kommen Kosten für Unterkunft, Essen und notwendige Investitionen. So summierte sich zum Jahresanfang 2021 der zu zahlende Eigenanteil in Pflegeheimen im Bundesschnitt auf 2.068 Euro monatlich.

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Doch die Pläne rufen auch Kritik hervor. Denn sie sind teuer. „Man kann nicht über höhere Löhne sprechen, ohne zu sagen, wer sie finanziert“, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Denn sie müssen mit Sozialhilfe einspringen, wenn Pflegebedürftige und ihre Angehörigen die Gelder nicht mehr bezahlen können. „Wir setzen uns dafür ein, dass eine Verbesserung der Löhne und der personellen Ausstattung der Pflegeheime nicht zulasten der Pflegebedürftigen oder ihrer Angehörigen geht", so Sager. Er fordert vom Bund ein belastbares Finanzierungskonzept.

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