Die 19. Wahlperiode des Bundestages neigt sich dem Ende: Anlass für den DGB, Dachverband der deutschen Gewerkschaften, ein Fazit zu ziehen. Und das fällt überraschend positiv aus. Traditionell treten die Gewerkschaften als Arbeitnehmervertreter für höhere Renten ein: hier hätten Reformen spürbare Verbesserungen gebracht, positioniert sich der Verband in einem aktuellen Pressetext.

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Verband begrüßt Leistungsverbesserungen

So seien mit dem RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz drei zentrale Punkte zumindest teilweise umgesetzt worden, die der Gewerkschaftsverband gefordert hatte:

  1. Es sei erstmals seit 2001 wieder ein Leistungsziel in der Rentenversicherung fesgeschrieben worden: Das Rentenniveau bis 2025 bei 48 Prozent zu stabilisieren. Damit habe das „fatale Beitragssatzdogma“ an Bedeutung verloren. Auch nach dem Jahr 2025 solle das Rentenniveau beibehalten oder angehoben werden, positioniert sich der Verband. Für das Rentenniveau wird die Nettorente eines sogenannten Standardrentners (das ist ein Rentner mit 45 Beitragsjahren als Durchschnittsverdiener) ins Verhältnis gesetzt zu dem jeweils aktuellen Nettoarbeitsentgelt eines Durchschnittsverdieners bzw. einer Durchschnittsverdienerin.
  2. Die Bundesregierung hat dazu beigetragen, dass Erwerbsminderungsrentner bessergestellt werden. Durch die sogenannte Zurechnungszeit werden Erwerbsminderungsrenten so berechnet, als ob die betroffenen Menschen nach Eintritt der Erwerbsminderung wie bisher weitergearbeitet hätten: bis zur Regelaltersrente. Somit erhalten sie mehr Geld. Diesbezüglich bemängelt der DGB, dass die Regel nur für Neurentner gilt, die seit dem 1.1.2019 als erwerbsgemindert anerkannt werden. „Und weiterhin werden regelmäßig 10,8 Prozent Abschlag fällig, obwohl diese bei Erwerbsminderungsrenten überhaupt nicht zu rechtfertigen sind“, schreibt der Verband.
  3. Ebenfalls als ein Erfolg rechnet sich der DGB an, dass Kindererziehungszeiten bei der Rente auch für Kinder besser angerechnet werden, die vor 1992 geboren wurden. Diese Zeiten wurden auf 30 Monate erhöht. Allerdings gibt es hier immer noch Ungleichheiten für ab 1992 geborene Kinder: hier erhalten Mütter bis zu 3 Jahre pro Kind. „Aus Sicht des DGB gibt es keinen sozialpolitisch sinnvollen Grund, wieso Kinder vor und ab 1992 unterschiedlich viel in der Rente wert sein sollten“, mahnt der DGB.

Ebenfalls als Erfolg bezeichnet wird die 2021 eingeführte Grundrente. Damit sollen die Altersbezüge von Menschen aufgebessert werden, die lange Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben: aber teils nur einen niedrigen Lohn erhielt. Anspruch hat, wer mindestens 33 Jahre an Beitragszeiten für Beschäftigung, Erziehung oder Pflege vorweisen kann. „Der DGB lehnt jedoch die Einkommensanrechnung einschließlich der Einkommen von Eheleuten rigoros ab. Aus unserer Sicht ist die Rentenversicherung kein Almosen. Sie ist eine mit eigenen Beiträgen finanzierte und einem solidarischen Ausgleich verpflichtete Sozialversicherung der Erwerbstätigen“, schreiben die Gewerkschafter. Aber immerhin rund 1,3 Millionen Menschen würden davon profitieren.

Rentenniveau "nicht schönrechnen"

Trotz des teilweisen Lobes macht der DGB viele Baustellen aus. Eine wichtige Forderung: Selbstständige sollen verpflichtend für das Alter vorsorgen müssen. Eigentlich war dieses Vorhaben im Koalitionsvertrag vereinbart: aber nach Ansicht der Gewerkschafter stehen vor allem CDU und CSU bei der Vorsorgepflicht auf der Bremse. Selbstständige, die nicht bereits gesetzlich versichert sind, sollen demnach in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert werden. Sie können auch eine gleichwertige private Versicherung abschließen. Die Koalition solle noch in dieser Legislaturperiode ihr Vorhaben umsetzen, fordert der Verband: Ziel sei eine Erwerbstätigenversicherung.

Nachhaltigkeitsrücklage soll angehoben werden

Eine weitere Forderung: Die Nachhaltigkeitsrücklage in der Rentenversicherung solle angehoben werden. Seit einer Gesetzreform 2004 ist hier ein unterer Wert von 0,2 Monatsausgaben vorgesehen: wird diese zum Jahresende unterschritten, muss der Renten-Beitragssatz angehoben werden. Hier sei die Rücklage zu sehr auf Kante genäht, bemängelt der DGB: auch, weil Einnahmen und Ausgaben der Rentenkasse unterjährig schwanken. Die Mindestrücklage solle auf 0,4 Monatsausgaben angehoben werden.

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Zu ergänzen wäre hier, dass die Rentenversicherung aktuell gut dasteht: trotz Coronakrise. „Die guten Jahre vor der Krise haben uns eine relativ hohe Nachhaltigkeitsrücklage von aktuell rund 35 Milliarden Euro beschert. Sie wurde 2020 um rund vier Milliarden Euro abgebaut. Der Rückgang war aber deutlich kleiner als noch vor einem Jahr erwartet“, sagt Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, in einem heute veröffentlichten Interview. „Wir werden die Rücklage auch in diesem Jahr abbauen müssen, aber nicht so stark, dass wir von einer Schieflage sprechen könnten. Bis 2025 können wir nach heutigem Stand beide Haltelinien halten: Der Beitragssatz wird nach den Prognosen nicht über 20 Prozent steigen und das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken“, sagt Roßbach.

DGB fordert Anerkennung von DDR-Härtefällen bei Rentenüberleitung

Ein weiteres Thema, das den Gewerkschaftern unter den Fingern brennt: Defizite bei der Anerkennung von DDR-Renten, nachdem sie in westdeutsches Recht überführt worden. Ganze Berufsgruppen seien davon betroffen, dass ihre damalig erworbene Zusatzversorgung nicht anerkannt werde: etwa Beschäftigte der Reichsbahn, im medizinischen Dienst, der Braunkohleveredelung. Aber auch in der DDR Geschiedene, Spätaussiedler oder Kontigentflüchtlinge: etwa vietnamesische oder albanische Bootsflüchtlinge. Zuletzt wurde im Sommer über einen Härtefallfonds verhandelt: Der DGB wünscht sich, dass er noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird. Doch nach Informationen des MDR könnten 98 Prozent der Betroffenen leer ausgehen. Demnach sollen nur "echte Härtefälle" Geld aus dem Fonds bekommen: jene mit Minirenten unterhalb der Grundsicherung.

Der Hintergrund: in manchen wichtigen Berufen waren die Löhne in der DDR sehr niedrig: etwa bei Krankenschwestern, Altenpflegerinnen, Bergbaukumpel oder Hebammen. Deshalb erließ der Staat 1979 eine Verordnung, um deren Rentenansprüche anzuheben. Als im Zuge des Rentenüberleitungsgesetzes diese Regeln an bundesdeutsches Recht angepasst wurden, wurde die Zusatzversorgung jedoch gestrichen bzw. nur für Rentner bis 1995 gezahlt. Viele, die damals anstrengende und zehrende Jobs hatten, müssen heute mit Mini-Renten von wenigen hundert Euro leben.

Rentenniveau beschönigt?

Letztendlich mahnt der DGB, das Rentenniveau nicht künstlich schönzurechnen. Und verweist darauf, dass die Rentenanpassungen anhand der Lohnentwicklung berechnet werden. Der DGB schreibt: "Die Rentenerhöhung wird anhand der Rentenanpassungsformel sowie vielfältiger Übergangs- und Schutzmechanismen berechnet. Zentral für die Rentenanpassung ist die Lohnentwicklung. Die Lohnentwicklung ist dabei eine komplexe Mischung aus der Bruttolohnentwicklung des Vorjahres (2020) nach den Daten des Statischen Bundesamtes und der Differenz der versicherungspflichtigen Entgelte des Vor-Vorjahres (2019) zu den Bruttolöhnen des Statischen Bundesamtes im gleichen Jahr (2019). (...) Die komplexen Rückwirkungen sind selbst für eingeweihte kaum noch nachvollziehbar beziehungsweise vorhersehbar".

In diesem Jahr spielen bei der Rentenanpassung zwei Sondereffekte eine Rolle, schreibt der Verband:

  • einerseits durch das Kurzarbeitergeld infolge der Coronakrise. Die Löhne nach Statistischem Bundesamt seien aufgrund der Kurzarbeit leicht gesunken. Denn Kurzarbeit bedeutet weniger Lohn, da das Kurzarbeitergeld nicht eingerechnet wird. Die eigentlichen Einkommen der Beschäftigten inkl. Kurzarbeitergeld seien aber gar nicht gesunken, das spiele folglich bei der Rentenhöhung 2021 keine Rolle.
  • Erstmals beziehe die Rentenversicherung in die Statistik rund eine Million Menschen mit ein, die bereits die Regelaltersgrenze überschritten haben und einem Minijob bis 450 Euro haben. „Die Zahl der Beschäftigten hat sich nicht verändert. Aber sie werden nun statistisch mit einbezogen, so dass die beitragspflichtigen Entgelte in 2019 rechnerisch kaum gestiegen sind. Sie sind daher statistisch um etwa zwei Prozentpunkte langsamer gestiegen als die vom Statischen Bundesamt ermittelten Löhne“, argumentiert der DGB. Da in den Lohnfaktor diese Differenz eingehe, weiße die maßgebliche Lohnentwicklung insgesamt ein Minus von rund 2,3 Prozent aus.

"Diese beiden Sondereffekte erwecken den Eindruck, die Löhne seien massiv gesunken. Tatsächlich sind es aber statistische Effekte. Die eigentlichen maßgeblichen Entgelte der Versicherten sind in 2020 sogar leicht gestiegen. Auf der Grundlage wäre sogar eine Rentenerhöhung angezeigt", argumentiert der Verband.

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Letztendlich würden sich diese Effekte sowohl auf den Nachhaltigkeitsfaktor auswirken als auch auf den Rentenfaktor selbst. Das Sicherungsniveau vor Steuern werde bis 2025 um einen Prozentpunkt zu hoch ausgewiesen: und liege bei nur 47 Prozent. Entsprechend solle die Bundesregierung die Anpassungsformel zur Berechnung der Renten korrigieren. "Findet dies nicht statt, dann setzen sich Regierung und insbesondere die CDU/CSU-Fraktion zu Recht dem Vorwurf aus, dass sie das Rentenniveau schön rechnen wollten", schreibt der DGB.

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