Im Schatten der Coronakrise gehen viele andere Reformvorhaben unter — so auch die Pflegereform, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schrittweise umsetzt. Im vergangenen Herbst hat er ein Eckpunktepapier für eine Pflegereform präsentiert. Und offenbar soll nun noch in dieser Legislaturperiode Bewegung in die Sache kommen. Das berichtet das „Handelsblatt“ in der letzten Woche.

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Mehrkosten für Bund, Länder und Pflegeversicherung

Laut „Handelsblatt“ kursiert aktuell ein interner Arbeitsentwurf für ein Gesetz, das zwar auf dem Papier vom Herbst beruht — aber wichtige Änderungen vorsieht. Und wie bereits die vorherigen Reformschritte Jens Spahns -etwa bessere Pflegeschlüssel- ist das Ganze nicht ohne Mehrkosten zu haben. Bund, Länder und Pflegeversicherung müssen sich demnach auf zusätzliche Ausgaben einstellen. Und die fallen keineswegs bescheiden aus: Immerhin 6,3 Milliarden Euro sollen die Reformen extra kosten.

Ein wichtiger Baustein: Spahn will die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen entlasten. Denn der Eigenanteil in den Pflegeheimen explodiert seit Jahren und wird für viele bedürftige Menschen zur Armutsfalle. Allein diese Reform soll 2,5 Milliarden Euro kosten. Aber entgegen dem ursprünglichen Entwurf ist nun nicht mehr vorgesehen, die Pflegekosten bei 700 Euro zu deckeln. Stattdessen soll ein Stufensystem für mehr Geld im Portemonnaie sorgen.

Im ersten Jahr des Pflegeheim-Aufenthalts sollen die Bedürftigen bzw. zahlpflichtige Angehörige die vollen Pflegekosten tragen. Im zweiten Jahr sollen die Eigenanteile dann um 25 Prozent sinken, nach mehr als 24 Monaten um die Hälfte. Bei Pflegebedürftigen, die 36 Monate und länger stationär betreut werden, soll sich der Eigenanteil gar um 75 Prozent reduzieren.

Hier sei daran erinnert, dass viele Menschen von diesen Erleichterungen nicht profitieren werden. Die durchschnittliche Verweildauer in stationären Pflegeeinrichtungen liegt bei 2,5 Jahren und viele Menschen versterben im ersten Jahr, wie aus dem DAK Pflegereport hervorgeht. Ein "harter" Deckel hätte folglich weit mehr Pflegebedürftigen genützt.

Monatliche finanzielle Belastung eines Pflegebedürftigen in der stationären Pflege - Zuschüsse der Krankenkassen bereits rausgerechnetVDEK

Die "reinen" Pflegekosten machen ohnehin nur einen Teil der Pflegeheim-Aufwendungen aus. Hinzu gesellen sich Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie für notwendige Investitionen. Rechnet man alles zusammen, sind die Aufwendungen, die Patientinnen und Patienten selbst zahlen müssen, in den letzten Jahren rapide angestiegen: nach Berechnungen der Ersatzkassen im Bundesschnitt von 1.772 Euro zum Jahresanfang 2018 auf 2.068 Euro zu Beginn 2021 (siehe Grafik).

Kinderlose sollen mehr Pflegebeitrag zahlen

Wie aber sollen die Mehrkosten finanziert werden? Schon für das laufende Jahr erwartet die gesetzliche Pflegeversicherung ein Defizit von 2,5 Milliarden Euro. Einen Teil sollen Kinderlose leisten, schreibt das "Handelsblatt": Als Beitrag zur Demokratiefestigkeit sollen sie einen Zuschlag von 0,1 Prozentpunkten zu den Pflegeversicherungs-Pflichtbeiträgen zahlen, so dass dieser auf 0,35 Prozent steigt. Diese Ausgaben sollen aber nicht direkt in das System fließen. Sie sollen zum Aufbau eines Fonds dienen, mit dem der Bund einen Kapitalstock anspart, um künftige Beitragssprünge in der Pflegeversicherung abzufedern.

Entlastung bei den Pflegeheim-Eigenanteilen könnte den Bewohnerinnen und Bewohnern aber eine andere Reformidee des Papieres bringen. Laut dem Bericht sollen sich nämlich die Bundesländer stärker an den Investitionskosten für Pflegeheimen beteiligen: pro vollstationär Betreutem mit einem monatlichen Zuschuss von 100 Euro. Bisher müssen die Heimbewohner auch hier hohe Zuschüsse leisten: im Schnitt derzeit 458 Euro pro Monat. Doch auch der Steuerzuschuss soll steigen: auf 5 Milliarden Euro pro Jahr. Ein deutlicher Hinweis, dass Spahn Pflege als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wertet.

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Mehr Geld für ambulante Pflege

Auch bei der ambulanten Pflege will Spahn nachbessern. Laut "Handelsblatt" sollen die Leistungen für ambulante Pflegesachleistungen, Pflegegeld und Tagespflege "spürbar angehoben werden", ohne dass hier Zahlen genannt werden. Nicht ohne Grund: 76 Prozent aller deutschen Pflegebedürftigen werden von Angehörigen in den eigenen vier Wänden betreut, wie das Statistische Bundesamt zu berichten weiß. Die pflegenden Angehörigen entlasten den Staat und die Krankenversicherer um Milliarden - im Vergleich zu den Kosten, die für stationäre Betreuung notwendig wären.

Die Schritte sind durchaus ambitioniert - aber eben mit deutlichen Mehrkosten verbunden. Und so geht es auch um Finanzierungsfragen. Nicht nur mit der SPD muss sich Jens Spahn einigen, es ist auch mit Widerstand durch die Länder zu rechnen. Und sogar in der eigenen Partei gibt es Gegenstimmen: die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) befürworte mehr Privatvorsorge.

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