Alkoholfahrt ist nicht gleich Alkoholfahrt

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Wer alkoholisiert mit einem Fahrzeug am Straßenverkehr teilnimmt, riskiert sein Leben und das Leben seiner Mitmenschen. Doch aus rechtlicher Sicht ist Alkoholfahrt nicht gleich Alkoholfahrt. Vielmehr unterscheidet der Gesetzgeber nach Art des Fahrzeugs und nach dem Ausmaß der Gefährdung.

Eine Rolle spielt zum Beispiel, ob ein Fahrzeug mit menschlicher Muskelkraft betrieben wird oder per Maschine als Kraftfahrzeug betrieben wird – gefährden Kraftfahrzeuge doch in einem höheren Maße auch andere Verkehrsteilnehmer als muskelbetriebene Fahrzeuge. Bei den Kraftfahrzeugen unterscheidet der Gesetzgeber zusätzlich nach dem Ausmaß der Gefährdung aufgrund einer Alkoholfahrt – die Alkoholfahrt stellt entweder eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat gemäß Strafgesetzbuch dar.

Alkoholfahrten mit Kfz als Ordnungswidrigkeit: Es drohen Strafen nach Bußgeldkatalog

Die glimpfliche Variante für Kraftfahrzeuge tritt ein, wenn der Fahrer eine Ordnungswidrigkeit gemäß Straßenverkehrsgesetz (StVG) beging. Dann greifen die Bußgelder des Bundeseinheitlichen Tatbestandskatalogs für Straßenverkehrs­ordnungswidrigkeiten (BT-KAT-OWI). Auch wird ein Fahrverbot verhängt und es gibt Strafpunkte im Zentralen Fahrzeugregister (ZFZR) in Flensburg.

Eine Ordnungswidrigkeit begeht beispielsweise, wer als Kfz-Fahrer gegen Paragraf 24a StVG verstieß und mit mehr als 0,5 Promille im Blut hinter dem Steuer saß. Ein Erstverstoß wird geahndet mit einer Geldbuße in Höhe von 500 Euro sowie mit einem Monat Fahrverbot. Zudem gibt es zwei Punkte in Flensburg.

Für Fahranfänger sind die Regeln strenger – Paragraf 24c StVG definiert ein gänzliches Alkoholverbot vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während der Probezeit. Hier drohen bis zur Grenze von 0,5 Promille 250 Euro Strafe bei Erstverstoß sowie ein Punkt in Flensburg.

Alkoholfahrten als Straftat gemäß StGB: Es drohen bis fünf Jahre Haft

Wer allerdings als Kfz-Fahrer mit einer Ordnungswidrigkeit aufgrund einer Alkoholfahrt davon kommt, der kann sich noch glücklich schätzen. Muss er sich doch nicht vor Gericht für eine strafbare Trunkenheitsfahrt verantworten gemäß Strafgesetzbuch (StGB).

Anders als das Straßenverkehrsgesetz gibt das Strafgesetzbuch (StGB) hierbei zunächst keine festen Promillegrenzen vor. Konsequenzen einer Trunkenheitsfahrt aber können weit folgenreicher sein:

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  • So sieht Paragraf 316 StGB für Trunkenheit im Verkehr ein Strafmaß vor beginnend bei einer Geldstrafe und endend bei einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Statt eines Fahrverbots folgt der Führerscheinentzug gemäß Paragraf 69 ff. StGB – die Sperrfrist für den Wiedererwerb beginnt bei sechs Monaten. Der Entzug kann bei schweren Vergehen und Wiederholungstaten aber sogar dauerhaft erfolgen. Auch gibt es drei Punkte in Flensburg.
  • Schlimmer noch ist das Strafmaß, wenn man während der Fahrt noch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet – in diesem Fall sieht Paragraf 315c StGB für die Gefährdung des Straßenverkehrs sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vor.

Fahruntüchtigkeit als Bedingung einer Straftat

Strafbar im Sinne des Strafgesetzbuches ist eine Trunkenheitsfahrt aber erst dann, wenn man durch den Alkohol nicht mehr in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen . Man spricht in diesem Fall auch von Fahruntüchtigkeit. Nimmt man trotz Fahruntüchtigkeit am Verkehr teil, droht die Verurteilung wegen Trunkenheit am Steuer oder wegen Gefährdung des Straßenverkehrs.

Unterschieden wird n der Rechtsprechung zwischen einer relativen und einer absoluten Fahruntüchtigkeit:

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  • Relative Fahruntüchtigkeit kann bereits sehr zeitig vorliegen: Schon bei einem Blutalkoholwert von 0,3 Promille. Allerdings muss in diesem Fall bei Anklage bewiesen werden, dass der Fahrer tatsächlich fahruntüchtig war – weitere Beweisanzeichen müssen hinzu treten.
  • Anders verhält es sich bei absoluter Fahruntüchtigkeit: Hier reicht der Promillewert als Beweis. Sobald der Blutalkoholgehalt den Grenzwert für absolute Fahruntüchtigkeit erreicht hat und sobald dennoch ein Fahrzeug bedient wird, begeht der Fahrer stets eine Straftat laut StGB – in diesem Fall hat er keine Möglichkeit mehr, später vor Gericht einen Gegenbeweis für die eigene Fahrtüchtigkeit anzutreten.

Grenzwert für absolute Fahruntauglichkeit: Der medizinische Grenzwert

Der Grenzwert für absolute Fahruntauglichkeit orientiert sich an gesicherten medizinischen Erkenntnissen – niemand ist mit einem solchen oder einem höheren Blutalkoholgehalt aus medizinischer Sicht mehr fahrtüchtig. Für Autofahrer liegt der Grenzwert für absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,1 Promille – nimmt ein Kfz-Fahrer mit 1,1 Promille oder mehr am Verkehr teil, begeht er unwiderleglich eine Straftat.

Doch nicht nur Fahrer eines Kraftfahrzeugs können sich bei Trunkenheitsfahrten strafbar machen. Sondern dies trifft auch für Fahrer eines Fahrzeugs zu, das durch Muskelkraft betrieben wird – zum Beispiel für Fahrräder. Für die Unterscheidung des Grenzwerts für absolute Fahruntauglichkeit maßgebend ist Paragraf 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG). Denn ein höherer Grenzwert gilt für Fahrzeuge, die keine Kraftfahrzeuge im Sinne dieses Paragrafen sind.

Alkoholisiertes Radeln gilt nicht als Ordnungswidrigkeit

Bedingungen scheinen zunächst wesentlich milder, zu denen Fahrradfahrer alkoholisiert am Straßenverkehr teilnehmen dürfen. So gelten Alkoholfahrten mit Fahrrad auch jenseits der 0,5-Promille- Grenze nicht als Ordnungswidrigkeit – Radfahrer werden also von Bußgeldern, von entsprechenden Punkten in Flensburg und den Fahrverboten verschont.

Hoher absoluter Grenzwert für Fahrräder und E-Bikes: 1,6 Promille

Auch liegt der Grenzwert für absolute Fahruntauglichkeit bei Fahrrädern wesentlich höher als bei Kraftfahrzeugen – bei hohen 1,6 Promille. Erst ab 1,6 Promille begeht ein Radfahrer also unwiderleglich eine Straftat gemäß Strafgesetzbuch. Mit einem solchen Blutalkoholwert dürften viele Menschen schon starke Anzeichen von Trunkenheit zeigen. Und wie nun ein Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe vom 14.7.2020 zeigt, gilt dieser Grenzwert auch für E-Bikes oder sogenannte Pedelecs (Az. 2 Rv 35 Ss 175/20).

Mit 1,59 Promille pedelec-radelnd gegen abbiegende Radfahrerin: Das Strafverfahren

Grund für den Hinweisbeschluss ist ein Strafverfahren: Ein Pedelec-Fahrer hatte doch einiges getrunken und wurde auf der Heimfahrt in einen Unfall verwickelt – 1,59 Promille wurden bei ihm gemessen, nachdem er mit einer abbiegenden Fahrradfahrerin zusammengestoßen war. Deswegen sollte er sich vor Gericht verantworten.

Die Anklage lautete auf fahrlässige Trunkenheit im Verkehr. Folgt man nun aber dem Hinweis des Oberlandesgerichts, wird der Mann wohl trotz des hohen Blutalkoholwerts freigesprochen. Damit folgt das Gericht den Vorinstanzen. Denn schon Amts- und Landgericht gingen auch bei E-Bikes von dem höheren Grenzwert für Fahrräder aus – und sprachen in ihren Urteilen deswegen den Mann von der Anklage frei. Das E-Bike wurde demnach nicht als Kraftfahrzeug im Sinne des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) gewertet, sondern nur als muskelbetriebenes Fahrzeug – eben vergleichbar einem Fahrrad.

Staatsanwaltschaft: In der medizinischen Beweispflicht

Die Urteile der Vorinstanzen wollte die Staatsanwaltschaft allerdings nicht in Kauf nehmen und legte Revision vor dem Oberlandesgericht in Karlsruhe ein. Ein ungewöhnlicher Schritt, wenn man bedenkt: Paragraf 1 Abs. 3 Straßenverkehrsgesetz (StVG) zählt E-Bikes mit bestimmten technischen Eigenschaften ausdrücklich nicht zu den Kraftfahrzeugen. Allerdings muss der elektrische Antrieb zum Beispiel bei 25 km/h gedrosselt sein, was aber auf das E-Bike des Mannes zutraf.

Die Staatsanwaltschaft meinte für die Anklage aber, getrennte Richtlinien für Straßenverkehrsgesetz und Strafgesetzbuch annehmen zu dürfen. Und der Grenzwert für absolute Fahruntauglichkeit spielt für die Anklagestrategie eine wesentliche Rolle – die Anklage hätte nur dann Erfolg, wenn die Staatsanwaltschaft durch wissenschaftliche Gutachten nachweisen kann: Für E-Bikes muss allgemein ein geringerer Promillewert gelten als für Fahrräder, da hier schon zeitiger die absolute Fahruntauglichkeit eintritt. Dieser Beweis, bei dem der Grenzwert stets den medizinisch verallgemeinerbaren Maximalwert angibt, gelang nach jetzigem Stand jedoch nicht. Mit Hinweisbeschluss zeigt der zuständige Senat des Gerichts: Er plant, den Freisprüchen der Vorinstanzen zu folgen.

Hinweisbeschluss: Kein rechtskräftiges Urteil

Der Hinweisbeschluss allerdings ist noch nicht rechtskräftig – die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Äußerung innerhalb einer bestimmten Frist. So kann die Staatsanwaltschaft das Urteil der Vorinstanzen noch angreifen. Solange der Staatsanwaltschaft aber nicht der medizinisch verallgemeinerbare Beweis gelingt, dass für E-Bikes der Grenzwert zu hoch ist, gilt für E-Bikes das Gleiche wie für Fahrradfahrer – ein hoher Grenzwert von 1,6 Promille.

Was aber gilt bis dahin? Können nun E-Bike- Fahrer oder Fahrradfahrer fröhlich trinken, um dann in Schlängellinien nachhause zu radeln? Nicht ganz. Denn zwar gibt es für Fahrrad- und E-Bike- Fahrer – anders als für Kfz-Fahrer – keine Rechtsnorm für eine Ordnungswidrigkeit. Man sollte allerdings nicht die Gefahr unterschätzen, aufgrund einer relativen Fahruntauglichkeit zur Verantwortung gezogen zu werden.

Zwar: Zur Anklage wegen Trunkenheit im Straßenverkehr reicht bei relativer Fahruntauglichkeit der Promillewert allein nicht aus. Kommen aber andere Anzeichen für Fahruntauglichkeit hinzu, Schlängellinien zum Beispiel, kann der Fahrradfahrer wie auch ein PKW-Fahrer schon ab 0,3 Promille vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden... und hat sich im schlimmsten Fall mit wesentlich geringeren Werten als 1,6 Promille strafbar gemacht. Der Angeklagte vor dem OLG Karlsruhe hatte nur Glück, dass ein solcher Beweis relativer Fahruntüchtigkeit der Staatsanwaltschaft bisher nicht gelang.

Gibt es aber ab 0,3 Promille weitere Anzeichen einer relativen Fahruntüchtigkeit, drohen alle Folgen, die das Strafgesetzbuch für Trunkenheitsfahrten vorsieht. Und auch für den Versicherungsschutz kann Ungemach drohen, wenn man alkoholisiert auf das Fahrrad oder E-Bike steigt. Schließen doch zum Beispiel viele Anbieter privater Unfallversicherungen – über die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) – Unfälle vom Versicherungsschutz aus, die durch Bewusstseinsstörungen in Folge von Alkoholkonsum verursacht wurden. Der Hinweisbeschluss ist auf denSeiten der Landesrechtsprechung Baden-Württemberg verfügbar.


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