Ältere Autofahrer fühlen sich „abgezockt“

Zunehmendes Alter in der KFZ-Versicherung „kostet“. Das zeigte letztjährig unter anderem eine Studie des Versicherungsboten: Vergleicht man Angebote von 25 KFZ-Tarifen bei geplantem Neuabschluss und legt eine einheitliche Schadenfreiheitsklasse 15 zugrunde, zahlt ein 67-jähriger Lediger im Durchschnitt aller Tarife 196,96 Euro Euro jährlich mehr als ein 35-Jähriger. Und ein 85-jähriger Lediger muss sogar jährlich 1.232,27 Euro mehr im Durchschnitt für seine Prämie hinnehmen.

Anzeige

Ein solcher Alterszuschlag erregte schon länger die Wut von Betroffenen und Interessenverbänden. So fühlten sich ältere Autofahrer schlicht „abgezockt“. Auch wuchs der Verdacht, dass teure Prämien für ältere Autofahrerinnen und Autofahrer eine Form der Altersdiskriminierung darstellen. Im Büro gegen Altersdiskriminierung in Köln – dem umfangreichsten deutschsprachigen Dokumentations-Archiv für solche Diskriminierungsfälle – gingen aus diesem Grund unzählige Beschwerden gegen KFZ-Versicherer ein.

Zwar positionierte sich Büroleiterin Hanne Schweitzer schon in 2018, der Aufschlag sei gesetzlich legitim (der Versicherungsbote berichtete). Dennoch wog die Zahl der Beschwerden derart schwer, dass in der Folge auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) tätig wurde: Eine marktbreit angelegte Untersuchung wurde angestoßen, um zu ergründen, ob die Prämienkalkulation tatsächlich diskriminierend ist oder sie im Einklang mit bestehendem Recht erfolgt. Und Ergebnisse der Untersuchung liegen nun vor: Die altersabhängige Tarifierung in der Kfz-Versicherung ist gesetzkonform. Zumindest aus juristischer Sicht kann demnach nicht von einer unzulässigen Diskriminierung älterer Versicherungsnehmer gesprochen werden.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: definiert Benachteiligungsverbot

Gesetzliche Grundlage für die BaFin-Untersuchung ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Mit diesem wollte der Gesetzgeber ab 2006 eine Benachteiligung aus Gründen der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts, aber auch aus Gründen der Religion, einer Behinderung oder des Alters verhindern. Und nur, wenn Versicherer im Einklang mit diesem Gesetz handeln, ist ihre Tarifierung auch rechtskonform. So definiert Paragraph 19 AGG unter anderem ein „zivilrechtliches Benachteiligungsverbot“, das auch Ältere gegen Benachteiligung schützt. Dieses gilt bei der Begründung und Durchführung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse und gilt auch für die privatrechtliche Versicherung.

Paragraph 20 AGG: die zulässige unterschiedliche Behandlung

Allerdings darf ein solches Benachteiligungsverbot nicht dahingehend missverstanden werden, dass grundsätzlich jede unterschiedliche Behandlung verboten ist. Vielmehr ist eine unterschiedliche Behandlung dann zulässig, wenn ein „sachlicher Grund“ dies rechtfertigt. Bedingungen einer „zulässigen unterschiedlichen Behandlung“ gibt Paragraph 20 AGG vor.

Und hier musste die BaFin-Untersuchung ansetzen. Denn auch für die privatrechtliche Versicherung gibt der Paragraph Bedingungen zulässiger unterschiedlicher Behandlung vor: Eine unterschiedliche Tarifierung mit Alterszuschlägen ist dann erlaubt, wenn sie "auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation" beruht – insbesondere "auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen“.

Die Frage musste beantwortet werden: Rechtfertigen Statistiken einen Aufschlag?

Alterszuschläge verstoßen also unter der Bedingung nicht gegen das Gesetz, dass sie sich statistisch im Sinne einer Risikokalkulation legitimieren lassen. Eine Tatsache, die für die private Krankenversicherung selbstverständlich ist: Zunehmendes Alter kann höhere Prämien bedeuten, ohne dies als „diskriminierend“ zu werten. Denn zunehmende Gesundheitsrisiken im Alter und steigende Gesundheitskosten rechtfertigen dies.

Anzeige

Wichtig für die BaFin-Untersuchung ist deswegen die Frage, ob auch in der KFZ-Versicherung ein sachlicher Grund für die vermeintliche Ungleichbehandlung vorliegt. Und eine Legitimation im Sinne des Gesetzes kann sich nur aus der Schadenstatistik der KFZ-Versicherer oder der offiziellen Unfallstatistik ergeben. Muss doch die Frage beantwortet werden: Rechtfertigt das Unfallgeschehen einen „Risikoaufschlag“ für ältere Menschen?

Senioren hinter dem Steuer: Mehr Gefahr?

Die Statistiken gewährleisten hier auch Sachlichkeit bei einem emotional aufgeheizten Thema. Denn schlagzeilenträchtige Unfälle verursachen ein verzerrtes Bild in der Öffentlichkeit: Senioren hinter dem Steuer gelten als grundsätzliche Gefahr, lautet ein verbreitetes Vorurteil. Insbesondere Unfälle mit Todesopfern, bei denen Senioren als Hauptverursacher gelten, führen zu häufig kontroversen Reaktionen.

Als Beispiel eines solch medienwirksamen Unglücks kann die Irrfahrt eines 84-Jährigen in Bad Säckingen genannt werden: Aufgrund einer "generellen, altersbedingten Leistungsminderung“ verlor der Mann die Kontrolle über seinen Wagen und raste in eine Fußgängerzone. Weil der Mann nicht mehr in der Lage war, Gas und Bremse zu unterscheiden, verloren zwei Menschen ihr Leben.

Anzeige

Die Auseinandersetzung um die Fahrkompetenz älterer Menschen wird wesentlich durch solche Meldungen bestimmt – populär in der Bevölkerung sind verbindliche Fahrtests ab einem bestimmten Alter. So sprechen sich laut einer Umfrage von Auto-BILD immerhin 70 Prozent der Befragten für so genannte „Fahrtauglichkeitstests“ aus. Und wütende Kommentare in sozialen Netzwerken fordern gar ein Fahrverbot für Höherbetagte – beispielhaft unter einem Artikel der Welt zu diesem Unglück. Unfallstatistiken und Unfallforschung hingegen ergeben ein sachlicheres, aber dennoch widersprüchliches Bild über das "Risiko" durch Senioren hinter dem Steuer.

Senioren: Die rücksichtsvolleren Fahrer

Demnach dürfen Ältere zunächst sogar als rücksichtsvollere Fahrer gelten: Sie verursachen laut Unfallstatistik seltener Unfälle wegen überhöhter Geschwindigkeit oder wegen zu geringem Abstand zu Fußgängern oder Radfahrern. Den Grund nennt eine Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV): Einschränkungen (zum Beispiel des Seh- oder Reaktionsvermögens) gleichen ältere Fahrerinnen und Fahrer häufig durch passivere Fahrweise wieder aus. Auch werden häufig bekannte Strecken oder verkehrsarme Zeiten gewählt, um sicher ans Ziel zu kommen. Vorsicht also kompensiert häufig Defizite der Alterung.

Einzig bei unerwarteten Situationen, die plötzlich auftreten, können sich Folgen biologischer Alterung nachteilig auswirken. Auch verzichten ältere Fahrerinnen und Fahrer häufiger auf einen Schulterblick in Situationen, in denen er ratsam wäre. Trotz solcher Beobachtungen aber verbieten sich generelle Verbote oder Pauschalisierungen. Denn es gibt eine Vielzahl ausgleichender Faktoren gegen altersbedingte Einschränkungen, wie auch weitere Fahreignungsstudien immer wieder zeigen: Das Lebensalter eines PKW-Fahrers allein rechtfertigt keinen Zweifel an dessen Fahreignung.

Ältere gelten jedoch häufig als Hauptverursacher eines Unfalls

… und doch: Die Zahl älterer Autofahrer wirkt sich auf die Schadenbilanzen der Versicherer aus. Denn ab einem bestimmten Alter steigt das Risiko, dass ältere Autofahrer als Hauptverursacher einen Unfall verschulden. Das wiederum führt zu steigenden Kosten für die Haftpflicht und für die Vollkaskoversicherung. Hierauf können sich die Versicherer berufen, wie auch die Publikation „Verkehrsunfälle“ des Statistischen Bundesamts (Destatis) für das Jahr 2018 (Fachserie 8 Reihe 7) offenbart.

Senioren: Sogar öfters Hauptverursacher als Fahranfänger

Eine Kennzahl der offiziellen Unfallstatistik gibt die „Hauptverursacher je 1.000 Beteiligte“ unter den PKW-Fahrern an – unfallverursachende Fahrer werden also ins Verhältnis zu allen unfallbeteiligten Fahrern gesetzt. Die Kennzahl bezieht sich also einzig auf jene Unfallbeteiligte, die während des Unfalls hinter dem Steuer saßen. Hauptunfallverursacher werden für diese Kennzahl zudem getrennt nach Altersgruppen. Und es zeigt sich: Überdurchschnittlich viele Hauptverursacher hinter dem Steuer finden sich im Seniorenalter ab 65 Jahre.

Die Zahl älterer Hauptverursacher übersteigt sogar noch die Zahl der Hauptverursacher unter den jungen Fahrerinnen und Fahrern und damit unter den Fahranfängern. Denn Folgendes offenbart der Generationenvergleich laut Statistik für das Jahr 2018:

  • Von 1.000 unfallbeteiligten Fahrern gelten in der Altersgruppe von 18 Jahren bis 25 Jahre 646 Fahrer als Hauptverursacher.
  • In der Altersgruppe von 25 Jahren bis 65 Jahre sinkt die Kennzahl auf den geringsten Wert: 513 unfallbeteiligte Fahrer gelten hier als Hauptverursacher.
  • In der Altersgruppe ab 65 aber steigt allerdings der Wert und übertrifft sogar die jungen Fahrer – 679 beteiligte Fahrer von 1.000 gelten hier als Hauptverursacher.

Ein Bild, dass sich wiederholt, wenn man Durchschnittswerte für die Zeit von 2012 bis 2018 errechnet:

  • Am geringsten ist der Wert der Kohorte ab 25 Jahren bis 65 Jahre: rund 509 unfallbeteiligte Fahrer gelten hier je 1.000 Fahrer als Hauptverursacher eines Unfalls.
  • In der Kohorte der „Jungen“ von 18 Jahren bis 25 Jahre gelten hingegen schon rund 656 Fahrer von 1.000 als Hauptverursacher des Unfalls.
  • Am höchsten aber ist der Durchschnittswert für beteiligte PKW-Fahrer ab 65 Jahre: Rund 673 Beteiligte gelten hier als Hauptverursacher.

Fahrer Ü75: Tragen besonders oft die Hauptschuld an einem Unfall

Dieser Befund wird auch durch andere Kennwerte bestätigt. Denn die Zahl der Hauptverursacher steigt nochmal an bei jenen Fahrerinnen und Fahrern, die mindestens 75 Jahre alt sind. Die Publikation des Statistischen Bundesamtes führt hierzu aus: „Drei Viertel (75,6 Prozent) der PKW-Fahrer dieser Altersgruppe trugen die Hauptschuld an dem Unfall, an dem sie beteiligt waren.“

Versicherer dürfen Prämienzuschlag kalkulieren

Und solche statistischen Befunde rechtfertigen auch die Tarifierung mit Seniorenzuschlägen gemäß Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz, sobald die höhere Zahl der Unfallverursacher im Alter tatsächlich auch zu höheren Schadensummen für die Versicherer führt. Laut Untersuchung der BaFin ist dies tatsächlich der Fall.

Zwar wird eigenes Zahlenmaterial der Behörde erst durch einen Artikel im BaFinJournal veröffentlicht werden. Eine erste Meldung zur Untersuchung erklärt jedoch: Bei „eher gleichbleibendem Schadendurchschnitt“ steige "die durchschnittliche Schadenhäufigkeit bei älteren Personen“. Insofern dürften die Versicherer „einen entsprechenden Prämienzuschlag kalkulieren“, ohne dass Altersdiskriminierung vorliegt.

Schadenfreiheitsrabatte wirken ausgleichend

In diesem Kontext verweist die Behörde auch darauf, dass andere Tarifmerkmale ausgleichend wirken. Dies trifft insbesondere auf das Rabattsystem der Schadenfreiheitsrabatte zu. Drehte sich die Debatte um die Altersdiskriminierung doch wesentlich auch um die Frage, ob weitere Faktoren die Prämienzuschläge im Alter ausgleichen und ob sich die Versicherer darauf berufen dürfen.

Grund ist ein indirekter Zusammenhang zwischen dem „ Belohnsystem“ der Schadenfreiheitsrabatte und dem Alter eines Versicherungsnehmers: Die Versicherer belohnen Kunden, die lange unfallfrei fahren. Und je länger sie ohne Schaden bleiben, desto günstiger werden in der Regel Prämie und Vertrag. Nach jedem Jahr kommt der unfallfreie Fahrer in eine günstigere SF-Klasse. Landet er nach 15 Jahren in der Regel in SF 15, ist es nach 35 Jahren die SF 35. Das ist meist auch die günstigste Schadenfreiheitsklasse. Und meist profitieren Ältere davon, die schon eine lange Fahrpraxis vorweisen.

Aus Sicht der Versicherer haben Ältere also die Möglichkeit, das „Risiko Alter“ durch individuelle Fahrpraxis auszugleichen. Kritiker freilich monieren, dass dieser Zusammenhang nicht zwingend besteht: Während der Kalkulationsfaktor „Alter“ direkt zu Prämiensprüngen führt, dienen die Schadenfreiheitsrabatte – unabhängig vom Alter – zunächst als Belohnung für schadenfreies Fahren. Daraus ergibt sich sogar ein Transparenz-Problem: Ältere würden aufgrund des Rabattsystems die Altersaufschläge auf die Prämien oft gar nicht bemerken. So gesehen verstellt das Rabattsystem sogar das Problem der Alterszuschläge (der Versicherungsbote berichtete).

Tarifmerkmale „dämpfen“ Altersprämien erheblich

Allerdings folgt die BaFin nicht einer solch skeptischen Sicht, Alterszuschläge und Schadenfreiheitsrabatte streng getrennt zu bewerten. Sondern auch für die BaFin stellt das Rabatt-System ein Tarifmerkmal unter mehreren dar, um die altersabhängige Tarifierung auszugleichen. Würde doch die Prämienbelastung eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers im Alter durch eine höhere Schadenfreiheitsklasse und eine geringere jährliche Fahrleistung „nicht unerheblich gedämpft“, wie die BaFin mit Blick auf eigene Zahlen ausführt.

Ältere zahlen trotz Zuschlag oft niedrigere Prämien

Das zeige sich unter anderem daran, dass bei einem signifikanten Anteil der untersuchten Kraftfahrtversicherer selbst ältere Versicherungsnehmer bis unter 79 Jahren eine niedrigere durchschnittliche Prämie zahlen würden als etwa die 27- bis 41-jährigen Versicherungsnehmer – und damit sogar eine niedrigere Prämie als jene Altersgruppe, die mit Blick auf den isolierten Kalkulationsfaktor „Alter“ besonders günstig davon kommt in der Risikokalkulation. So gesehen ist das Tarifmerkmal „Alter“ tatsächlich nur eines unter vielen Merkmalen und lässt sich durch weitere Faktoren ausgleichen.

Anzeige

Und diese Tatsache hebelt den Vorwurf der Altersdiskriminierung – zusätzlich zum Vorliegen eines sachlichen Grunds für die Alterszuschläge – ebenfalls aus. Die BaFin will konkretere Ergebnisse ihrer Untersuchung in einem der kommenden BaFinJournale ausführlicher vorstellen, wie die Behörde in einer ersten Mitteilung zu den Untersuchungsergebnissen erklärt.

Seite 1/2/3/

Anzeige