Versicherer machen sich nun ihre alten Listen zum Argument: Weil das Coronavirus Covid-19 erst im Januar 2020 durch das Bundesgesundheitsministerium als meldepflichtige Krankheit erfasst wurde, fehlt es in den meisten Verträgen – die Versicherer sehen sich sprichwörtlich aus dem Schneider und argumentieren, sie müssten für Betriebsschließungen wegen Covid-19 nicht zahlen. Wie aber bewertet Rechtsexperte Seitz dieses Argument?

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Wirksame Leistungsausschlüsse laut Experte selten

Zunächst: Auch aus Sicht des Experten gibt es in der Tat Vertragswerke mit wirksamen Leistungsausschlüssen. So ist deutlich in den AVB eines Versicherers formuliert: „Sind Krankheiten und Krankheitserreger, die im Infektionsschutzgesetz genannt sind, in den nachfolgenden Aufstellungen nicht enthalten, besteht hierfür im Rahmen dieses Vertrages kein Versicherungsschutz.“ Ein solch deutlicher Ausschluss nimmt den Versicherer laut Experte Seitz tatsächlich aus der Leistungspflicht, falls „Covid-19“ nicht genannt wird.

Freilich: Für das Produkt sprechen solche Bedingungen – trotz größerer Transparenz – dennoch nicht. Pointiert doch der Rechtsexperte: Weil neue Erreger hier tatsächlich nicht unter den Versicherungsschutz fallen, handle es sich um eine “eher unbrauchbare Versicherung gegen Betriebsschließungen“. Seitz sieht die Makler in der Pflicht, vor Nachteilen solcher Policen zu warnen.

Die meisten Versicherungen müssten trotz Nicht-Nennung des Virus zahlen

Jedoch: Die Vertragswerke der meisten Anbieter haben – trotz Auflistung von Krankheiten – keine wirksamen Leistungsausschlüsse. Und dies trifft immer dann zu, wenn der Versicherungsschutz für neue meldepflichtige Krankheiten nicht explizit und eindeutig ausgeschlossen wird. Bei fünf der sechs untersuchten AVB geraten die Versicherer demnach aus Sicht des Experten in die Leistungspflicht.

Pauschaler Verweis: Ein Problem der Versicherer

Das hat mehrere Gründe. Zum Ersten verweisen viele AVB pauschal auf die Paragraphen 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes. Ein solch pauschaler Verweis aber wird für die Versicherer zum Problem. Denn Paragraph 7 Abs. 2 IfSG definiert einen Auffangtatbestand – eine gesetzliche Vorschrift, die auch Fälle erfasst, die noch nicht durch eine andere Norm erfasst sind. Und eine Öffnungsklausel des Paragraphen ermöglicht, die Meldepflicht auf neue Krankheiten auszudehnen, die noch nicht in der Liste enthalten sind – auch diese werden meldepflichtig, sobald durch sie eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit besteht. Dadurch erhält die Auflistung in Paragraph 7 IfSG einen dynamischen und auf die Zukunft hin offenen Charakter. Eine pauschale Verweisung der AVB auf das Infektionsschutzgesetz ist demnach ebenfalls dynamisch zu deuten: Versicherungsschutz besteht auch für neue Krankheiten wie Corona.

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Zweck der Auflistung: Auch bei Mehrdeutigkeit zugunsten des Versicherungsnehmers

Zusätzlich zur pauschalen Verweisung gerät der Versicherer laut Rechtsexperte Seitz aber auch dann in die Leistungspflicht, wenn der Zweck der Auflistung von Krankheiten in den Versicherungsbedingungen nicht eindeutig ist. Wird einem Versicherungsnehmer nicht durch explizite Leistungsausschlüsse deutlich, ob eine Liste endgültigen oder vorläufigen Charakter hat, greift wieder Paragraph 305c Abs. 2 BGB: Die Liste ist als dynamische Bezugnahme zu verstehen, die mehrdeutige Klausel geht erneut zulasten des Verwenders und damit des Versicherungsunternehmens.

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