Herr Voss, nach dem Erhalt der BaFin-Lizenz im März 2018 ist Neodigital als digitaler Versicherer in Deutschland gestartet. Kannst du einmal kurz euer Geschäftsmodell skizzieren und uns einen Einblick in die nun fast zwei Jahre Geschäftstätigkeit gewähren?

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Die BaFin-Lizenz war ein erster wichtiger Schritt für uns, um mit dem Risikoträger Neodigital ein Role-Model für einen echten digitalen Versicherer in den Privatkunden-Sachsparten Tierhalterhaftpflicht-, Privathaftpflicht- sowie Hausrat- und Unfallversicherung zu schaffen. Seit einigen Wochen ist jetzt noch die Fahrrad-/Pedelec-Versicherung dazu gekommen. Wir vertreiben unsere Produkte über Makler und die großen Vergleichsplattformen. Es ging uns darum zu zeigen, dass es möglich ist, konsequent digital zu arbeiten und dennoch Vertriebspartner und Kunden optimal zu bedienen – und das bei hoher Automation und geringem Personaleinsatz. Dabei dient Neodigital als Innovations-Modell, denn die Technik dahinter, die Plattform, ist das eigentliche Business Modell. Wir nutzen die Neodigital mit ihren digitalen APIs zum Markt und Zugängen, um andere B2B-Kunden, z. B. andere Versicherer, in ihrer digitalen Transformation zu unterstützen. Mit dem Einstieg von ALSTIN Capital mit Carsten Maschmeyer und der Deutschen Rück im Januar haben wir zudem sehr starke Partner für die weitere Expansion von Neodigital als B2B-Plattform gewinnen können. Damit wollen wir nun auch unser Angebot innerhalb der Sachversicherung erweitern.

Stephen Voss, Vorstand und Gründer der Neodigital Versicherung AG mit Sitz in Neunkirchen im Saarland.Neodigital

Die Corona-Krise ist derzeit allgegenwärtig und betrifft Privatleben und Geschäftswelt gleichermaßen. Welche Auswirkungen siehst du konkret für die Versicherungsbranche und für versicherungsnahe Start-ups?

Natürlich führt eine Situation, wie wir sie aktuell rund um COVID-19 sehen, zu einer grundlegenden Überprüfung der eigenen Stress-Resistenz im Unternehmen. Das betrifft große Unternehmen genauso wie kleine oder aber eben Start-ups. Es gibt dabei vor allem einen Unterschied: Die neuen Gesellschaften nutzen Technologie und Infrastruktur, die eine physische Präsenz von Mitarbeitern an einem bestimmten festgelegten Ort, also gemeinhin das Büro, den Firmensitz, nicht mehr im vollen Umfang erfordert. Unternehmen mit großen Belegschaften, die stationär arbeiten (müssen), weil sie an Client Desktops ihren Aufträgen nachgehen, haben allein dadurch schon einen Nachteil, weil sie nicht mal eben schnell alle Mitarbeiter in den Home-Office-Modus versetzen können. Das geht aus vielerlei Gründen nicht: wegen der Technik, fehlender gesicherter Remote-Zugänge oder es hängt ganz banal an den Arbeitsverträgen, die Home-Office nicht vorsehen. Tritt dann der Ernstfall ein, ist also ein Zugang zu den Geschäftsräumen nicht möglich, brechen ganze Teile der Arbeitsabläufe eines Versicherers zusammen. Wir werden sehen, wie solche Unternehmen in den kommenden Wochen ihre Service-Levels einzuhalten versuchen. Wir beneiden die Kolleginnen und Kollegen hierbei nicht, ganz im Gegenteil, wir wissen welche Aufgabe hier vor dem Management steht. Anders gesagt, wir tun uns leicht mit 30 Mitarbeitern, mit 3.000 ist das eine ganz andere Geschichte.

Wie hat sich das Tagesgeschäft von Neodigital seit dem Ausbruch von Corona verändert und welche Vorkehrungen hab ihr bereits getroffen?

Es hat sich nicht viel geändert. Das Offensichtliche einmal zuerst: Die Umsätze sind auch bei uns, wenn auch nur ein wenig zurückgegangen. Wir merken die Unsicherheit der Kunden. Waren bis Mitte Februar gerade die Wochenenden unsere stärksten Tage, zeigt sich nun, dass samstags/sonntags, wenn die Kunden sich mit den aktuellen News und Anweisungen der Behörden beschäftigen, die Informationen dazu führen, dass man sich erstmal um sich und die Familie sorgt, bevor man sich um anstehende Versicherungsangelegenheiten kümmert.

Die Vorkehrungen, die wir als Neodigital getroffen haben, haben größtenteils gar nichts mit Corona zu tun. Unsere technische Plattform ist auf maximale Automation, Effizienz und intuitive Bedienung durch Kunden, Vertriebspartner und Service-Personal getrimmt – das war so von Anfang an, von überall und jederzeit. Wir arbeiten mit einer Gigabit/s-Datenleitung und haben damit eine der schnellsten Datenleitungen überhaupt. Das hilft jetzt natürlich. Weiterhin haben wir mit Start des Jahres 2020 unsere Verträge, die seit 2017 bereits einen großen Freiraum für Home-Office vorgesehen haben, nochmals angepasst, sodass jeder im Team zu 100 % frei entscheiden kann, Home-Office zu machen oder eben nicht. Davor war ein gewisser Präsenzanteil im Office noch Pflicht. Seit Januar ist das nun komplett flexibel.

Für Start-ups sind flexible Arbeitszeiten und Home-Office fast alltäglich. Sind Start-ups somit besser auf die aktuelle Situation vorbereitet bzw. könnt ihr euch auf eine solche Situation einfacher einstellen?

Ganz klares JA. Das liegt an der grundsätzlichen Struktur. Selbst wenn etablierte Player sich auf flexibles Home-Office direkt einstellen wollten, müsste erst einmal die dazu notwendige Infrastruktur geschaffen werden. Denn eines gilt auch für uns Start-ups: Mal eben den Zugriff auf Firmendaten über den privaten Laptop zulassen, mit dem der Junior des Nachts noch Multiplayer-Online-Games zockt – das ist nicht! Wir haben uns also in der Infrastruktur, aber auch bei den Zugangsrechten ganz klar einer maximalen Datensicherheit unterworfen. Nicht umsonst beschäftigen wir drei eigene IT-Admins. Das wird immer gerne übersehen. Auch bei einem Start-up muss Datenschutz und Sicherheit GANZ GROSS geschrieben werden. Wir sind ein reguliertes Unternehmen. Dazu gehört neben den ganzen tollen Ideen und Talent eben auch eine ganz gehörige Portion Disziplin. Unser Unternehmen, unser Start-up, ist ein vollwertiger Versicherer, wir brutzeln keine Burger oder Fajitas… Die sind bestimmt lecker und die Unternehmer dahinter bestimmt genauso engagiert. Aber ein Burger ist ein Burger, eine Versicherungspolice ist dagegen ein Leistungsversprechen mit weitreichenden Konsequenzen!

Kurzum: Digitale Infrastruktur, flexible Arbeitsverträge und Arbeitszeiten zusammen mit einer stringenten Sicherheitsphilosophie können moderne Unternehmen dabei unterstützen, besser mit Ereignissen umzugehen, wie wir es gerade rund um Corona erleben.

Wird die Corona-Krise aus deiner Sicht unsere Arbeitswelt nachhaltig beeinflussen, vor allem mit Hinblick auf die digitale Transformation?

Wir denken, das wird sogar ganz deutlich passieren. Sind wir doch einmal ehrlich. Die digitale Transformation wird vielerorts, es gibt Gott sei Dank immer positive Ausnahmen, noch immer als medienwirksames Innovationsthema vorgeschoben. Dahinter werden aber zu selten die Kernprozesse in den z. T. alten Systemen angegangen. Wir haben also bestenfalls ein digitales Front-End, das nach wie vor über viele Umwege, manuelle Prozesse und – „böses Wort“ – Workarounds mit uralten Host-Systemen kommunizieren muss. Über-Nacht-Batch-Lauf sagt dann eigentlich schon alles: Hier ist nichts in Echtzeit. Der Betrieb und die Wartung eines solchen Systems von außen, also Remote, ist dann schon eine große Herausforderung.

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Das war die Technikseite, die soziale Komponente ist eine andere. Wir finden es gut, dass nun ein Bewusstsein entsteht, dass nicht die Vor-Ort-Präsenz entscheidet, sondern das Ergebnis. Um das nachhaltig zu unterstützen, muss bei den Arbeitszeit- und Arbeitsortmodellen begonnen werden und die firmeninterne Kommunikation darauf ausgerichtet sein. Es gibt etliche moderne Tools, die das möglich machen; man muss es nur mal probieren. Bei all dem Negativen, mit dem wir aktuell als Gesellschaft, als Land und als Individuum umzugehen haben, ist das Umdenken in den Köpfen die große Chance für uns alle. Wir sind dabei, das zu nutzen.

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