Versicherungsbote: Wir wollen auf das Versicherungsjahr 2020 vorausblicken, soweit dies möglich ist. Sehen Sie Themen/neue Anforderungen, mit denen sich speziell Versicherungsmakler dringend beschäftigen sollten — und die vielleicht aktuell noch vernachlässigt werden?

Anzeige

Matthias Beenken: Versicherungsmakler müssen mehr denn je ihre Kunden beraten, wie sie in Zeiten des Negativzinses sinnvolle Altersvorsorge betreiben. Nach meinem Eindruck haben sich viele Makler/-innen in den letzten Jahren zu sehr auf „Biometrie“ – verstanden als Berufsunfähigkeits- und Risikoversicherungen – fokussiert und verdrängt, dass eine Rentenversicherung umso sinnvoller wird, je niedriger das Marktzinsniveau ist. Außerdem wird das Thema Kosten weiter an Bedeutung gewinnen, auf das Makler/-innen einen nicht unerheblichen Einfluss bei ihren eigenen Vergütungsforderungen und bei der Auswahl von Produkten haben.

Haben Sie News zum Provisionsdeckel in der Lebensversicherung? Noch auf der Branchenmesse DKM zeigte sich die Branche zuversichtlich, dass entweder gar keiner kommt — oder einer in abgeschwächter Form, der den Vermittlern nicht sehr weh tun wird. Ist das der aktuelle Stand?

Nach meiner Einschätzung könnten drei Szenarien eintreten. Erstens, es kommt recht bald ein Deckel, aber nur auf Restschuldversicherungen, was wohl derzeit der kleinste gemeinsame Nenner in der Großen Koalition ist. Zweitens, es kommt auch der Provisionsdeckel auf Altersvorsorgeprodukte, wie von der SPD gefordert. Und zwar in Gegenleistung für irgendein Anliegen von CDU/CSU, wahrscheinlich auf einem ganz anderen Politikfeld. Drittens, die GroKo bricht auseinander, es gibt Neuwahlen und eine Bundesregierung mit deutlich linkerem Profil, die auf die Branche überhaupt gar keine Rücksicht mehr nehmen wird. Hoffen wir mal auf Szenario eins, aber Unternehmer/-innen müssen alle Szenarien berücksichtigen und eine Vorstellung entwickeln, wie sie mit ihnen jeweils umgehen werden.

Versicherungsmakler verdienen im Schnitt weniger als Vertreter, so das Ergebnis einer Strukturanalyse, an der Sie auch beteiligt waren: wenn auch mit großer Streuung. Zu viele Maklerbüros arbeiten am Rand der Existenz. Provisionsdeckel und neue Aufsichtshürden könnten die Situation noch verschärfen. Mal in die andere Richtung gefragt: Sehen Sie auch Chancen für die kommenden Jahre, dass sich diese - für viele unbefriedigende - Situation ändert und die Maklerschaft finanziell gestärkt wird?

Ja, ich sehe eine Konsolidierung im Markt, die zu deutlich weniger, aber wirtschaftlich stabiler aufgestellten Vermittlerbetrieben führt. Besonders dynamisch entwickeln sich professionell gemanagte Finanz- und Strukturvertriebe. Auch könnte ich mir vorstellen, dass Portale mit Netzwerken lokaler Makler zusammenarbeiten, um Online-Leads offline zu Kunden zu machen und zu betreuen. Der „hybride Vertrieb“ ist erst in den Anfängen. 




Makler sind noch immer stark von Boni abhängig, so ein weiteres Ergebnis der Strukturanalyse. Diese sind heftig umstritten — aber ebenfalls für manche Büros überlebenswichtig. Muss sich das aus Ihrer Sicht ändern: und was kann getan werden, um eventuell wegfallende Einnahmen der Makler auszugleichen?


Zum Glück sind es kaut Strukturanalyse nur noch wenige Makler, allerdings noch fast jeder zweite Mehrfachvertreter, die nach eigenen Angaben teilweise recht erhebliche Sondervergütungen annehmen. Bonifikationen bei Maklern sind hoch problematisch, wenn sie dazu führen können (und sollen), dass der Makler die Beratungsgrundlage beschränkt, um an diese Gelder zu kommen. Ich kann weder Versicherer noch Makler verstehen, die so etwas ausloben bzw. annehmen.

Allerdings muss man bei Befragungsergebnissen auch immer etwas vorsichtig sein. Ich kann nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass jeder Befragte die Fragen richtig versteht und sachgerecht beantwortet. Denn es gibt durchaus auch Vergütungen für bestimmte Dienstleistungen, die Makler oder Mehrfachvertreter für Versicherer erbringen, die vermutlich unproblematisch sind. Die waren aber mit einer Frage nach Bonifikationen nicht gemeint.

Ein Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums sieht vor, die Aufsicht über 34f-Vermittler von den Industrie- und Handelskammern auf die BaFin zu übertragen. Vor allem Makler, die zu Versicherungen und Finanzen beraten, müssten dann wohl zweifach Rechenschaft ablegen. Ganz naiv gefragt: Warum das nun wieder — und drohen hier neue bürokratische Fallstricke für die Vermittler?

Das Ganze ist das Ergebnis einer von Beginn an wenig durchdachten Umsetzung der Richtlinien MiFID und IDD. Es gibt heute drei Kategorien Aufsichtsbehörden, die je nach Rechtsstellung und je nach Finanzdienstleistung mal indirekt (BaFin) und mal direkt (Industrie- und Handelskammern oder Gewerbeämter) bei einem Vermittler in Frage kommen, letztere je nach Sachverhalt noch ergänzt durch lokale Ordnungsbehörden. Das ist ein Wirrwarr, der gegen ein zentrales, europäisches Regulierungsprinzip verstößt: Wettbewerbsgerechtigkeit (Level Playing Field). Denn es ist so nicht sicherzustellen, dass ein Makler im Ort A nach denselben Maßstäben überwacht wird wie in Ort B, oder ein Makler nach denselben Maßstäben überwacht wird wie ein gebundener Vertreter.

Anzeige

Auch wenn es für Ihre Leser/-innen unpopulär sein mag, will ich nicht verschweigen, dass ich große Sympathie für eine einheitliche Aufsicht für alle Vermittler gleich welcher Rechtsstellung und gleich welcher Finanzdienstleistung hätte: IHKn als Erlaubniserteilungsbehörde wegen der lokalen Nähe für die Fragen des Marktzugangs, BaFin als Überwachungsbehörde für das Marktverhalten gegenüber vor allem den Kunden, aber auch den Wettbewerbern. Das ist fair für die Betroffenen und gut für die Kunden.

Debatte über Pseudomakler: "Ich teile diese Kritik"

Versicherungsbote: Die Forderung einer einheitlich(er)en Aufsichtspraxis ist verständlich, wenn man auf erste Erfahrungen mit den Weiterbildungspflichten für Makler schaut. Es fehlt an einheitlichen Standards: Makler berichten, dass manche Industrie- und Handelskammer Seminar-Inhalte nicht anerkennt, die andere Kammern wiederum akzeptieren. Was läuft hier schief — und wie kann dafür gesorgt werden, dass einheitlichere Regeln herrschen?

Matthias Beenken: Das ist in der Tat ein Problem. Hinzu kommt, dass auch BaFin und IHKn nicht immer einig sind. Aber ich habe gehört, es soll wohl inzwischen eine Abstimmung zwischen IHKn und BaFin geben, wichtige Fragen in gleicher Weise auszulegen. Ob das aber auch für die Öffentlichkeit transparent oder wie so oft als Geheimnis der genannten Behörden behandelt wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich fände es mehr als fair für die Betroffenen, die Kriterien öffentlich zu machen, nach denen entschieden wird, ob eine Weiterbildung anzuerkennen ist oder nicht.

Anzeige

Ein Kritikpunkt, der bei der DKM in diesem Jahr auffällig oft debattiert wurde, war die zunehmende Abhängigkeit der Versicherungsmakler von großen Pools und der Rückgriff auf standardisierte Vergleichsprogramme. Dies könne stark vereinfacht dazu führen, dass man sich eher dem Pool als dem Kunden verpflichtet fühle, von „Pseudomaklern“ ist sogar die Rede. Teilen Sie diese Kritik? Könnten diese Tendenzen in den kommenden Jahren noch zunehmen?

Ja, ich teile diese Kritik, und ja, ich fürchte das wird zunehmen. Pools werden ihre Produktangebot und ihre Produktempfehlungen nach übergeordneten, standardisierten Kriterien zusammenstellen, die nicht immer dem individuellen Bedürfnis des Kunden eines Poolmaklers optimal entsprechen. Verlässt sich aber der Poolmakler aus Bequemlichkeit auf die Empfehlung seines Pools, wird er seinen Anforderungen als Makler nicht gerecht. Es wäre dann ehrlicher, wenn sie sich als Handelsvertreter des Pools verpflichten lassen und dies dem Kunden so mitteilen.

In diesem Jahr stellt die Rentenkommission der Bundesregierung ihre Ergebnisse vor, wie die gesetzliche Rente über das Jahr 2025 hinaus reformiert werden soll. Das kann der Versicherungsbranche und Vermittlerschaft nicht egal sein. Welche Hoffnungen/ Erwartungen haben Sie, wenn nun die Weichen für die Zukunft der Rente gestellt werden?

Eine auskömmliche Rente ist ein überaus wichtiges, gesellschaftspolitisches Anliegen. Das geht einzelwirtschaftlichen Interessen vor. Deshalb halte ich es für richtig, sich Gedanken zu machen, wie eine auskömmliche Rente in Kombination aus einer gesetzlichen, umlagefinanzierten sowie einer privatwirtschaftlichen, kapitalgedeckten Leistung entsteht. Letzteres funktioniert aber meines Erachtens nicht, wenn es ausschließlich freiwillig ist. Das Ergebnis ist eine unzureichende Breite in der Abdeckung, mit anderen Worten muss am Ende die Allgemeinheit aus Steuermitteln für diejenigen aufkommen, die aus welchen Gründen auch immer nicht ausreichend selbst vorgesorgt haben. Daher fände ich eine verpflichtende betriebliche Altersvorsorge sowie eine vergleichbare Lösung für Selbstständige sinnvoll, am besten mit einer Opt-out-Lösung für diejenigen, die auf andere Weise ausreichend vorgesorgt haben.

Verfolgt man den Diskurs zur Reform der Rente, schält sich heimlich ein Favorit heraus: ein Staatsfonds nach dem Vorbild Schwedens oder Norwegens als quasi vierte Säule der Altersvorsorge, der auch am Aktienmarkt investieren darf. Er findet parteiübergreifend Fürsprecher, wenn auch mit verschiedenen Modellen. Wie bewerten Sie einen solchen Staatsfonds — ein mögliches Zukunftsmodell für Deutschland?

Die Vergleiche mit anderen Ländern hinken. Wenn wir ein Modell vergleichbar wie in Norwegen aufbauen wollten, müsste man beispielsweise bereit sein, sämtliche Einnahmen Deutschlands aus erneuerbaren Energien in diesen Fonds zu lenken. Das funktioniert nicht. Ein Fonds ohne ganz erhebliche eigene Mittel wird aber nur wieder ein weiteres Deckmäntelchen werden, die Not zu verwalten. Und dass der Staat oder staatsnahe Institutionen per se besser investieren als der Bürger, das erlebe ich tagtäglich auf deutschen Rüttelpisten, genannt Straßen, oder als häufiger Nutzer der Deutschen Bahn anders.

Der Staatsfonds wird auch als Alternative zur Riester- und Rürup-Rente debattiert. Welche Auswirkungen hätte ein solcher auf das Altersvorsorge-Geschäft der privaten Versicherer? Müssten sie mit einem radikalen Einbruch im Neugeschäft rechnen? Oder ist das auch eine Chance — wenn sie konkurrenzfähige Alternativen bieten?

Unvergleichbare Systeme können nicht fair miteinander konkurrieren. Es gibt Erfahrungen aus dem Ausland, dass kapitalgedeckte Zwangsvorsorge mit Opt-out-Lösung zwar zu einer erheblichen Verbreiterung der Teilnahme führt, aber gleichzeitig auch zu einer sinkenden Nachfrage nach darüberhinausgehender, freiwilliger Vorsorge. Ich bin aber gar nicht so pessimistisch. Wenn die Bundesregierung weiter so vorgeht wie bei der Nahles-Rente und es der SPD nicht einmal gelingt, die Gewerkschaften dabei mitzunehmen, dann brauchen private Altersvorsorge-Anbieter die neue Staatskonkurrenz nicht zu fürchten. Allerdings müssen alle, Versicherer wie Vermittler, dabei mithelfen die mögliche neue Konkurrenz alt aussehen zu lassen. Dafür müssen sie konkurrenzfähige und kostengünstige Angebote machen, die nicht durch veraltete IT, unflexible Prozesse und überzogene Provisionsforderungen beeinträchtigt werden.

Anzeige

Die Fragen stellte Mirko Wenig

Seite 1/2/

Anzeige