Aktuell 3,2 Millionen Ruheständler armutsgefährdet

Armut im Ruhestand – dieses Problem bedroht immer mehr Menschen mit niedrigem Einkommen und mit durchbrochenen Erwerbsbiographien. Darauf macht aktuell das ARD-Politmagazin Monitor aufmerksam und beruft sich auf unveröffentlichte Zahlen des Statistischen Bundesamts (Destatis). Demnach stieg die Zahl armutsgefährdeter Rentner und Pensionäre von 2,4 Millionen Betroffenen in 2010 auf 3,2 Millionen Betroffene in 2017 – ein Plus von 33 Prozent. Die Armutsgefährdungsquote der „Personen im Ruhestand“ lag in 2017 bei 18,7 Prozent.

Anzeige

Freilich: Gänzlich neu sind diese Zahlen – entgegen den Behauptungen des Magazins – dann doch nicht. Denn schon eine Pressemeldung zur Europäische Gemeinschaftsstatistik EU-SILC vom November 2019 nennt die entsprechende Armutsgefährdungsquote von 18,7 Prozent für Rentner und Pensionäre. Maßgebende Berechnungsgrundlage für die Armutsgefährdung ist hierbei der 60-Prozent—Median.

Nach EU-Definition gilt eine Person als armutsgefährdet, wenn sie mit ihrem verfügbaren Einkommen nicht über die Schwelle von 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung hinausreicht. Hierbei muss bedacht werden, dass es sich um Median-Einkommen handelt: Stark vereinfacht werden hierfür Gutverdiener mit besonders hohen Löhnen und auch sehr niedrigen Einkommen herausgerechnet, da sie den Wert verzerren würden. 2017 lag der Schwellenwert des 60-Prozent-Medians für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 13.628 Euro pro Jahr. Für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren lag der Schwellenwert bei 28.618 Euro pro Jahr. Kam man mit Transferleistungen nicht über diese Einkommensschwellen, galt man in 2017 als „armutsgefährdet“.

Überproportional betroffen sind vor allem Frauen

Als besonderer Risikofaktor für Altersarmut gelten hierbei durchbrochene Erwerbsbiographien. Aufgrund der Kindererziehung sind Frauen überproportional betroffen. Darauf wies bereits mit Gundula Roßbach die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung (DRV) hin (der Versicherungsbote berichtete). Und auch der ARD-Monitor greift das Thema auf.

Denn in dem Film wird der Zuschauer mit einer 79-jährigen Rentnerin bekannt gemacht. Die Erwerbsbiographie dieser Rentnerin wurde durch ihre Kinder geprägt – zehn Jahre blieb die Frau aufgrund der Erziehung ihrer Kinder ganz zuhause, arbeitete dann lange in Teilzeit. In Vollzeit hingegen arbeitete die Frau erst, als die Kinder schon älter waren.

Die Seniorin lebt in der teuren Stadt München – für viele Medien die teuerste Stadt Deutschlands. Monatlich 1.116 Euro erhält nun die Frau aufgrund ihrer Rente sowie ergänzender Grundsicherung ausgezahlt. Jedoch: Nach Abzug der Fixkosten bleiben der Rentnerin nur noch 8,30 Euro am Tag für Lebensmittel, Medikamente, Kleidung oder auch für Reparaturen, wie das ARD-Magazin veranschaulicht. Die Frau ist demnach durch Armut gefährdet.

Bereits unerwartete Kosten – der Monitor nennt eine kaputte Waschmaschine – werden bei solch niedrigem Einkommen schnell zu einer finanziellen Bedrohung. Und besonders ältere Menschen sind auf unterstützende Haushaltsgeräte angewiesen. Das Beispiel veranschaulicht: Armutsgefährdete Menschen unterliegen der steten Gefahr, tatsächlich in die Armut abzurutschen.

Die Gefahr, sich im Alter „arm zu wohnen“

Das Beispiel München aber deutet auf einen weiteren Zusammenhang. Denn nicht nur die Erwerbsbiographien vieler Frauen bedeuten eine erhöhte Armutsgefährdung. Ein weiteres Risiko für Seniorinnen wie auch Senioren sind die zunehmende Mietkosten insbesondere in teuren Ballungsräumen. In Großstädten zahlen Senioren schon derzeit durchschnittlich 630 Euro für die Miete. Dieser Durchschnittswert aber spiegelt nicht einmal die kritische Situation realistisch wieder, sobald Rentner*innen neue Wohnungen suchen – zum Beispiel, weil die alte Wohnung nicht mehr altersgerecht ist. Denn viele Rentner profitieren noch davon, dass sie teils Jahrzehnte in ihrer Wohnung lebten.

Wird hingegen ein Wohnungswechsel fällig, kann die Miete zum Teil wesentlich höher liegen, da Mieten in den letzten Jahren wesentlich teurer geworden sind. So hat zum Beispiel München zwischen 2008 und 2018 eine Preissteigerung von 61 Prozent erlebt, wie das Portal immowelt berichtet. Schon jetzt sind viele Rentner*innen durch steigende Mieten überfordert. Eine Studie des Hannoveraner Pestel-Instituts warnte deswegen auch vor der ganz konkreten Gefahr, sich im Alter regelrecht „arm zu wohnen“ (der Versicherungsbote berichtete).

Anzeige

Demografischer Wandel vergrößert das Armutsrisiko

Ein Problem, das durch den demografischen Wandel und die zunehmende Alterung der Gesellschaft noch verschärft wird. Denn wenn immer weniger Beitragszahler mit ihren Zahlungen immer mehr Rentner finanzieren müssen, bedeutet dies ein sinkendes Rentenniveau. Renten werden also zukünftig im Verhältnis zu den Durchschnittslöhnen sinken. Wissenschaftliche Studien – als Beispiel genannt sei eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin – prognostizieren demgemäß massive Rentenlücken. Von heute 48 Prozent auf 43 Prozent im Jahr 2045 könnte demnach das Rentenniveau sinken. Folglich droht laut DIW Berlin jedem fünften Rentner die Altersarmut.

Grundrente: Als Sicherungsnetz ungeeignet?

Was aber tut die Regierung gegen drohende „Altersarmut“? Unter dieser Fragestellung thematisiert das Monitor-Magazin auch die von der Bundesregierung geplante Grundrente. Durch eine Aufwertung von Entgeltpunkten sowie durch Freibeträge bei der Grundsicherung und bei Wohngeld sollen Rentnerinnen und Rentner belohnt werden, die mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse der gesetzlichen Rentenversicherung (DRV) eingezahlt haben. Insgesamt 1,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner sollen so mehr Rente erhalten – vier von fünf Anspruchsberechtigte auf die neue Leistung sind Frauen. Die Bundesregierung sieht in diesem Schritt eine wichtige Maßnahme im Kampf gegen Altersarmut.

Jedoch: Ob die Grundrente wirklich eine wirkungsvolle Maßnahme ist oder nicht eher eine Verschwendung von Steuergeldern, ist umstritten. Schon in der Debatte um die Ausgestaltung der Rente nämlich wurde deutlich: Keineswegs steht die Armutsbekämpfung bei der Grundrente im Vordergrund. Stattdessen geht es zunächst einmal um Anerkennung für Lebensleistung gemäß dem Prinzip der Teilhabeäquivalenz.

Anzeige

Und die Voraussetzungen sind problematisch. Denn eine Kappungsgrenze für die Grundrente legt nach jetzigem Stand fest: Wer zwar durchschnittlich unterhalb von einem Entgeltpunkt in der Rentenkasse lag und damit jährlich weniger verdiente als den Durchschnittslohn, aber dennoch oberhalb einer Grenze von 0,8 Entgeltpunkten, der hat auch bei 35 Beitragsjahren nichts von der neuen Leistung. Wer die Wartezeit von 35 Jahren nicht erfüllte und stattdessen zum Beispiel kürzer einzahlte, rutscht sowieso durchs Netz – er erhält keine Grundrente und kann auch die Freibeträge für die Grundsicherung und für Wohngeld nicht nutzen. Viele Menschen erfüllen Bedingungen für die Grundrente folglich nicht. Deswegen ist die geplante Maßnahme zu weitmaschig gestrickt als Sicherungsnetz gegen die Altersarmut.

"Ordentliches Einkommen" hilft

So pointiert auch der Kölner Soziologe und Armutsforscher Christoph Butterwegge: Altersarmut lasse sich „so nicht bekämpfen“. Und für Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sind höhere Einkommen ein weit wirksameres Mittel gegen Altersarmut, wie er im Beitrag des ARD-Monitor ausführt. Äußert der Experte doch: „Die einzige Art und Weise“, wie Menschen in ihrem Alter abgesichert sind, ist: Wenn sie im Arbeitsleben „genug arbeiten könnten“ und „ein ordentliches Einkommen erzielen“. Denn nur so erwerben die Menschen über die gesetzliche Rente Ansprüche und können zudem zusätzlich privat vorsorgen. Demnach werden niedrige Löhne als wesentliche Ursache der Altersarmut gesehen.

Denn 12,63 Euro pro Stunde müsste aktuell ein Arbeitnehmer verdienen, um nach 45 Beitragsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente oberhalb des Niveaus der Grundsicherung zu erhalten. Das ergab eine Berechnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Derzeit aber beträgt der gesetzliche Mindestlohn – seit dem 1. Januar 2020 – 9,35 Euro.

Anzeige

Rund 4,17 Millionen Menschen bzw. 19,8 Prozent der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten in Deutschland gelten laut Bundesregierung als Niedriglöhner und verdienen weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns – das unter Bedingungen des Arbeitsmarkts, die eine Wartezeit von 45 Jahren bei heutigen Erwerbsbiographien fast als Ausnahme erscheinen lassen. Politiker des linken Spektrums nutzen diese Tatsache momentan und machen mobil gegen den Niedriglohn in Deutschland, wie der Versicherungsbote berichtete. Als dritte Partei nach Der Linken und nach der SPD fordert demnach aktuell die Partei Bündnis 90/ die Grünen einen Mindestlohn in Höhe von mindestens zwölf Euro.

Seite 1/2/

Anzeige